Die Notabeln

[275] Die Notabeln; so nannte man die Angesehenen des Reichs, welche die ehemahligen Französischen Könige bisweilen zusammenrufen ließen, um sich ihres Raths zu bedienen. Sie hatten keine entscheidende Stimme, und unterschieden sich dadurch von einer allgemeinen Stände-Versammlung; vielmehr glichen sie einem großen Staatsrathe, in welchem die Beisitzer wohl ihre Meinung sagen durften, allein dem König die höchste Entscheidung überlassen mußten. In der ältern Französischen Geschichte kommen mehrere Beispiele solcher Versammlungen der Notabeln vor; das letzte war vom Jahre 1626 unter der Regierung Ludwigs XIII. Der Französische Hof würde sich in neuern Zeiten schwerlich zu diesem Mittel entschlossen haben, wenn nicht die [275] Cassen gänzlich erschöpft, der Credit der Regierung verloschen und daher außerordentliche Geldbewilligungen nöthig gewesen wären. Man getraute sich nicht mehr, sie dem Volke unter der lästigen Form neuer Abgaben aufzulegen, und schritt daher zu diesem ungewöhnlichen Mittel. Am 22. Febr. 1787 eröffneten die Notobeln ihre Sitzungen. Sie bestanden aus 146 Personen, aus Erzbischöfen, Bischöfen, Adelichen, General-Procuratoren der Parlamenter und Municipalbeamten aus verschiedenen Städten. Man vertheilte sie in 7 Büreaur oder Kanzleien, wovon eine jede einen Prinzen von Geblüt zum Director erhielt. Mehrere Männer, die sich nachher in der Revolution ausgezeichnet haben, befanden sich unter ihnen, und redeten schon damals mit der größten Freimüthigkeit. Dahin gehörten la Fayette, Rochefoucauld dʼEstaing und Andre. Man hatte mit der größten Zuversicht erwartet, daß die Notabeln die ihnen gemachten Anträge ohne Widerrede annehmen und mit einem gefälligen Ja sanctioniren würden; und in dieser Hinsicht hatten die Pariser schon im Voraus Pasquille aller Art auf sie ausgestreut: aber dieß geschah nicht. Sie widersetzten sich vielmehr den Anträgen des damahligen Finanzministers Calonne aus allen Kräften, bewirkten dadurch seinen Fall, und drangen auf die Zusammenberufung eines allgemeinen Reichstags. Da ihre Sitzungen zu Versailles gehalten wurden, so hatten sie Gelegenheit, die übermäßige Verschwendung der Hofleute zu beobachten, ihre schlechten Sitten und den Gang der Cabalen kennen zu lernen, die unter ihnen herrschten. Die Achtung der Männer aus den Provinzen für den Hof mußte dadurch um ein Beträchtliches vermindert werden. Es war daher nicht zu verwundern, daß dieser die Sitzungen einer Versammlung, die seinen Erwartungen so wenig entsprach, so bald als möglich aufhob, und daher am 25. Mai 1787 die Notabeln wieder entließ. Für die Verbesserung der Finanzen war weiter nichts gewonnen worden, als die Eröffnung einer neuen Anleihe von 60 Millionen Livres. Wenn man bedenkt, was für eine große Summe allein auf die Auszierung des Saales verwendet wurde, in welchem die Notabeln ihre Sitzungen hielten, und wie stark die Auslösung war, die jeder Beisitzer bekam; so sollte man glauben, daß die Französischen [276] Finanzen damals im höchsten Flor gewesen sein müßten. Auf das erstere wendete man einige Millionen, und die letztere betrug für jeden Deputirten aus den umliegenden Gegenden 4000 und 6000 Livres, für solche aber, die aus entlegenen Provinzen angekommen waren, sogar 8000. Necker berief am 5. Oct. 1788 die Notabeln zum zweiten Mahle, um ihre Meinung über den künftigen Reichstag zu hören; sie wurden aber schon im December wieder entlassen, weil die meisten unter ihnen darauf bestanden, die Stände-Versammlung so zu organisiren, wie sie es zum letzten Mahle im Jahre 1614 gewesen war.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 275-277.
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