[362] Die Steganographie oder Kryptographie (a. d. Griech.), d. h. die Geheimschreibekunst, ist die Kunst, so zu schreiben, daß die Züge oder der wahre Sinn einer Handschrift nur durch Anwendung gewisser, zwischen den Correspondenten verabredeten, Hülfsmittel sichtbar oder verständlich werden. – Der Gebrauch derselben ist sehr alt, und entweder mit Erfindung der Schreibekunst gleichzeitig, oder wenigstens nicht viel jünger. Die ältesten Beispiele liefern die Hieroglyphen (s. dies. Art.) und der Sanskritt (s. d. Art. Sanskrittsprache). Die Arten der geheimen Schrift sind verschieden; doch lassen sie sich auf folgende vier Hauptarten zurückbringen. Es kann nehmlich überhaupt und im weitläuftigen Sinne eine Handschrift geheim sein I) in Ansehung der Art der Uebersendung, wenn entweder der Ueberbringer selbst nicht entdeckt werden kann, oder die handschriftliche Nachricht sich bei ihm in so genauer Verwahrung befindet, daß sie selbst das sorgfältigste Nachsuchen vergeblich macht. Schon die Griechen und Römer waren in dieser Art der geheimen Correspondenz sehr erfinderisch. Man ließ z. B. die geheimen Briefe durch abgerichtete Tauben, Hunde etc. überbringen, buck sie in Brod, steckte sie in Aepfel, Birnen, auch wohl in ein Stück Fleisch, das man einem Hunde zu verschlucken gab, den sodann der, der die Nachricht erhalten sollte, tödtete; man höhlte eine Haselnuß aus, steckte die geheime Nachricht in die ausgehöhlte Schale hinein, deren Oeffnung man mit Wachs zumachte und die Nuß selbst von dem Ueberbringer verschlucken ließ u. s. w. II) Geheime Schrift in Ansehung der Schreibematerialien ist diejenige: 1) welche erst nach [362] gewissen mit dem Papiere vorgenommenen Veränderungen sichtbar wird; 2) bei der die Farbe des Papiers ihre besondere Bedeutung hat; 3) bei der anstatt des Papiers ein anderes ungewöhnliches Material gebraucht wird. Zur geheimen Schrift der erstern Art bedient man sich besonders der sympathetischen Dinten, deren Gebrauch und Verfertigung die natürliche Magie lehrt; auch gehört zu derselben die so genannte Noten-Chiffre1. Ein Beispiel der zweiten Art lieferte des Grafen von Vergennes geheime Polizeischrift (s. unter IV.); Beispiele der dritten sind sehr gewöhnlich, und schon die Griechen waren in derselben bis zur Grausamkeit erfinderisch. So schor z. B., nach der Erzählung einiger alten Schriftsteller, ein Feldherr, der einem andern eine geheime Nachricht geben wollte, seinem treuesten Sclaven die Haare ab, brannte ihm die Nachricht mit sechs Worten auf den Kopf, und sandte ihn, als ihm die Haare wieder gewachsen waren, an den andern Feldherrn ab, der ihm von neuem die Haare abscheeren mußte, und nun die unter denselben verborgene Schrift las. – Am gewöhnlichsten ist [363] III) diejenige Art der geheimen Schrift, deren Geheimniß in den Schriftzügen selbst liegt, und die man im eigentlichsten und genauesten Sinne geheime Schrift nennt. Sie geschieht durch besondere, zwischen den Correspondenten festgesetzte, Zeichen oder Chiffren (Schiffern); daher man eine mit solchen Zeichen gefertigte Schrift eine Chiffre-Schrift oder eine Chiffre, und die Kunst, sie zu enträthseln, Dechiffrirkunst (s. d. Art.) nennt. Diese Chiffren sind zwar sehr verschieden, jedoch vorzüglich folgende: 1) ganz ungewöhnliche, von den Correspondenten besonders erfundene Buchstaben; – eines der wichtigsten Beispiele einer Chiffre-Schrift dieser Art lieferte im J. 1794 die Telegraphie (s. d. Art.) – 2) gewöhnliche Buchstaben, die man jedoch nach einer Uebereinkunft der Correspondenten verwechselt. Die Stellung der Worte, oder der Periodenbau, bleibt hierbei unverändert. Es dient bei dieser Art von Chiffre-Schrift ein Buchstabe, eine Sylbe oder ein Wort als Schlüssel der ganzen Schrift. Schon Julius Cäsar wählte bei seiner geheimen Correspondenz, statt des jedes Mahl zu gebrauchenden Buchstabens, den dritten im Alphabet darauf folgenden; Kaiser August aber den nächstfolgenden. Jener brauchte also z. B. statt a ein d, dieser statt a ein b. Wählt man eine gewisse Sylbe, oder ein ganzes Wort, als Schlüssel der Schrift, so muß nach demselben das Alphabet der Correspondenten eingerichtet werden. Anweisung hierzu, nebst vielen Beispielen, findet man in G. L. (Le Mang) Kunst der Geheimschreiberei, oder deutliche Anweisung zu einer geheimen Correspondenz. Leipz. 1797. 4. Daß jedoch diese und noch mehr die erstere Art der Chiffre-Schrift der Dechiffrirkunst leicht unterliegen muß, ist schon nach dem, was darüber Th. 1, S. 326 f. gesagt worden, leicht zu erachten. Weit vorzüglicher und wirklich unauflöslich sind hingegen 3) diejenigen Chiffren, die, ohne eine Verwechselung der Buchstaben, bloß auf einer besondern Stellung derselben, oder auch einzelner Sylben, nach einer von den Correspondenten festgesetzten Ordnung, beruhen. Diese Art der geheimen Schrift geschieht am leichtesten durch ein Gitter, d. h. ein aus Pappe oder Pergament verfertigtes Viereck, welches[364] man, wie ein Damenbret, in eine beliebige Anzahl kleiner Vierecke oder Fächer abtheilt, in einige dieser Fächer runde Oeffnungen ausschneidet, die übrigen aber ganz läßt, und sodann durch jene Oeffnungen auf das unter das Gitter gelegte Papier schreibt. Es muß jedoch das Ausschneiden der Oeffnungen so geschehen, daß dieselben, so oft man die Lage der Pappe ändern kann, jederzeit auf ganz andere Stellen des Papiers treffen, als vorher. Hat man dieß beobachtet, so kann man dieses Gitter nun für immer brauchen. Man legt, wenn man sich dessen bedienen will, solches auf das zum Schreiben bestimmte Papier, und schreibt nun auf diejenigen Theile desselben, welche durch die Pappenöffnungen hindurch scheinen, einzelne Buchstaben oder Sylben in willkührlicher (jedoch mit dem Correspondenten verabredeter) Ordnung, bis man in alle Oeffnungen geschrieben hat. Man dreht sodann eine andere Seite der Pappe wieder nach oben hin, da denn die Oeffnungen wieder auf leere Stellen des Papiers fallen, und durch sie aufs neue geschrieben wird. Das Umdrehen der Pappe kann vier Mahl geschehen, bis alle vier Seiten derselben oben hin gelegt worden sind, und es werden auf diese Art, wenn die Pappe gehörig ausgeschnitten ist, nach und nach alle Stellen des Papiers beschrieben. Bei diesem Verfahren kommen Buchstaben und Sylben zusammen, die nach der gewöhnlichen Ordnung gelesen, gar keinen Sinn haben, und die nur der Empfänger der Schrift, der mit seinem Correspondenten eine ganz gleiche Pappe oder Gitter haben muß, mittelst demselben wieder zusammenfinden kann, welches hingegen einem jeden Andern durchaus unmöglich ist. Denn ein Fremder kann nicht wissen, wie viele Fächer das bei der Schrift gebrauchte Gitter hat, wie und wo die Oeffnungen desselben sind, in welcher Ordnung die Schrift geschrieben wurde, z. B. von unten nach oben, von der linken zur rechten Hand etc. Man vergleiche über diese so genannte Gitterschrift C. F. Hindenburgs Archiv der rein. u. angewandt. Mathematik, 3. u. 5. Heft, und von Prasse Programm de reticulis cryptographicis. Leipz. 1799. 4., wo sich auch Zeichnungen solcher Gitter befinden. 4) Kann eine mit gewöhnlichen Buchstaben oder Worten geschriebene Schrift dadurch Chiffre-Schrift sein, daß in derselben[365] die zum eigentlichen Sinne der Schrift nöthigen Buchstaben oder Worte unter andere, entweder ganz überflüssige, oder doch zum eigentlichen Sinne nicht gehörige Buchstaben oder Worte zerstreut sind. Ist der Correspondent im Stande, die Schrift so einzurichten, daß sie für jeden Leser einen vollkommenen Sinn hat, und doch zugleich eine, nur seinem Vertrauten verständliche, geheime Nachricht enthält; so verdient unstreitig diese Art der Chiffre-Schrift unter allen die erste Stelle, da nicht einmahl die Form sie verdächtig macht, mithin, wenn sie auch in unrechte Hände fällt, schon deßhalb eher an ihren eigentlichen Empfänger befördert wird, als eine Schrift, die sogleich durch unleserliche Chiffren Verdacht erregt. Allein da die Vereinigung jener beiden Erfordernisse allerdings schwer ist; so ist auch diese Art von Chiffre Schrift immer die seltenste. Indeß war sie zu Anfange des Französischen Revolutionskrieges wirklich im Gebrauche. Man bediente sich bei derselben eines, nach der Abrede der Correspondenten, an gewissen Stellen durchschnittenen Papieres, das, auf einen solchen Chiffre-Brief gelegt, dem Empfänger sogleich die Hauptworte oder den eigentlichen Sinn des an sich unbedeutend scheinenden Briefes sichtbar machte. (Man s. d. Revolutions-Almanach v. 1795, S. 293, wo ein solcher Brief2), nebst [366] dem dabei als Schlüssel gebrauchten durchschnittenen Papiere, befindlich ist.) 5) Gebraucht man zur Chiffre-Schrift Zahlen, oder auch Zahlen und Buchstaben zugleich; 6) besondere willkührliche Zeichen. Ueber eine geheime und ohne Schlüssel unentdeckbare Chiffre-Schrift dieser letztern Art versprach der als Pädagog berühmte Hofrath Ch. H. Wolke schon vor 11 Jahren, Jedem auf sein Verlangen nähere Auskunft zu ertheilen. Zu Bestimmung aller Worte und Gedanken, in jeder Sprache, sollten in seiner Chiffre-Sprache bloß die fünf Zeichen † ñ –. gebraucht werden. – Die letzte Hauptart der geheimen Schrift überhaupt ist IV) diejenige, die sowohl in Ansehung der Schreibematerialien, als auch in Ansehung der Schriftzüge geheim ist. Sie ist ebenfalls sehr verschieden. So können z. B. Correspondenten mit sympathetischer Dinte und in Chiffre-Schrift, aber auch bloß und allein durch gedruckte Bücher einander geheime Nachrichten mittheilen, wenn sie, nach einer Verabredung, einzelne Buchstaben, Sylben oder Worte des Buchs bezeichnen. Ein sehr merkwürdiges Beispiel dieser Art der Kryptographie war die von dem Grafen von Vergennes in den letzten Regierungsjahren König Ludwigs XV. erfundene geheime Polizeischrift, die jedem Französischen Minister und Gesandten als ein Staatsgeheimniß anvertraut wurde. Man gebrauchte sie bei den Empfehlungsschreiben, welche sich angesehene, auch fürstliche Personen. die nach Paris reisen wollten, von einem Französischen Gesandten oder Residenten geben ließen, um in Paris desto besser aufgenommen zu werden und bald in große Zirkel zu kommen. Diese Empfehlungsschreiben, die ein solcher Gesandter nur dann erst ertheilte, wenn er über den Empfänger hinlängliche geheime Nachricht eingezogen hatte, waren sehr einfach, in Rücksicht der Form, Größe und Einrichtung den Visitenbillets vollkommen ähnlich, und wurden, um allen Verdacht zu verhüten, den Empfängern offen überreicht. Allein kein Zug, kein Strich, kein Punkt, nicht einmahl die Farbe[367] des Papiers Ő wenigstens bei den Anfangs gewöhnlichen Empfehlungsschreiben dieser Art – waren ohne Bedeutung; sondern durch gewisse bestimmte Zeichen die Herkunft, Vaterland, Ort des Aufenthalts, Absicht der Reise, Amt, Gesichtszüge, Statur, Talente, Leidenschaften, Tugenden und Laster des Empfängers bemerklich gemacht, ohne daß Jemand in diesen Empfehlungsschreiben – besonders in der frühern Art derselben – ein Geheimniß vermuthen konnte. Bloß die Namen des empfehlenden Gesandten und des Empfängers waren für Jeden lesbar. Copien und weitläuftige Erklärung dieser Empfehlungsschreiben findet man in der Geheimen Polizeischrift des Grafen von Bergennes. Eisenach 1793. 8. – Wenn übrigens, sobald die Frage von dem Nutzen der Steganographie ist, allerdings zugestanden werden kann: daß solcher nur in so weit allgemein sei, in so weit sie die Stenographie (s. dies. Art.) befördert; so bedarf es doch, schon nach einigen angeführten Beispielen, keines Beweises, daß sie nicht bloß zum Gebrauche oder zur Unterhaltung einzelner Personen dienen, sondern daß sie in mehrern Fällen für den Staat selbst von großer Wichtigkeit sein könne.
1 Sie wird auf folgende Art verfertigt: Man legt ein Papier, nach Art eines Panzers, in so vielfache Falten, als die Schrift etwa Zeilen einnehmen kann; auf diese Falten schreibt man so, daß jeder Buchstabe halb auf das obere in eine Falte gelegte Papier und halb auf das untere Papier kommt, und fährt so fort, bis die Schrift fertig ist. Zieht man nun das Papier aus einander, so erscheinen statt der Schrift bloß Striche und Häkchen. Wo diese sich endigen, zieht man mit dem Notenzieher Linien, auf welche man ein musikalisches Stück, und zwar die Noten in einer solchen Entfernung schreibt, daß der Schwanz einer jeden Note sich unten an einen Strich oder Haken der Schrift anschließt. Das Ganze erscheint nun als ein musikalisches Stück, und man findet keine Spur von einem Briefe daran; legt man aber das Papier wieder in Falten, so kommen die zum Schein geschriebenen Noten gerade unter die Falten, und werden ganz verdeckt, die Schrift aber erscheint wieder wie vorher.
2 Um auch Lesern, die diesen Almanach nicht bei der Hand haben, ein Beispiel dieser Art von Chiffre-Schrift zu geben, setze ich den dort befindlichen Brief her. Er wurde wahrscheinlich von einem Deutschen am 12. Octbr. 1793 geschrieben, um dem Empfänger den am folgenden Morgen bevorstehenden (und bekanntlich vom General Wurmser glücklich ausgeführten) Sturm der Weißenburger Linien bekannt zu machen. Die Worte oder Sylben, die durch die Oeffnungen des durchschnittenen Papiers durschauten und das eigentliche Geheimniß des Briefs enthalten, sind hier mit Lateinischen Buchstaben bemerklich gemacht. »Lieber Bruder! Morgen früh reise ich auf 8 Monathe fort, ungeachtet der so stürmen den Winde. Gott wird uns die Freude geben, uns wohl wieder zu sehen. Diese Linien sollen Zeugen meiner Liebe sein, bis wir uns wieder sehen.«
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