[306] Die Vendee, ein Französisches Departement, das einen Theil der ehemahligen Provinz Poitou ausmacht. Die Einwohner desselben haben sich durch einen Aufstand, der drei Jahre lang unter dem Namen des Vendeekriegs dauerte, ihren Landsleuten furchtbar gemacht, und den Heeren der Republikaner noch gefährlichere Wunden geschlagen, als die Armeen der [306] gegen Frankreich verbundenen Mächte. Die Ursachen, welche die Bewohner jener Gegend zum Aufstand reitzten, blieben lange unbekannt. Schon im Jahre 1791 bemerkte man daselbst unruhige Bewegungen; und der König sandte Commissionairs ab, um die Ordnung wieder herstellen zu lassen. Die großen Ereignisse, welche das folgende Jahr in Paris vorfielen, brachten die Vendee gewisser Maßen in Vergessenheit, und man hörte nicht eher wieder davon sprechen, als bis die weiße königliche Fahne am 10. März 1793 daselbst aufgesteckt war, und sich, außer der eigentlichen Vendee, die benachbarten Departements der Nieder-Loire, der beiden Sevres u. a. welche zusammen das ehemahlige Nieder-Poitou und einen Theil von Bretagne und Anjon ausmachen, in vollem Aufruhr befanden. Die Aushebung der jungen Mannschaft zum Kriegsdienst, welche der Convent in jenen Gegenden anbefohlen hatte, wurde zwar für die nächste Veranlassung dazu gehalten; allein man konnte sich bald überzeugen, daß die eigentlichen Ursachen dieser Meuterei ganz andere, und weit wichtigere, sein müßten. Die Abgeschiedenheit, in der die Einwohner von dem übrigen Frankreich lebten; die Einfalt ihrer Sitten; ihre Anhänglichkeit an altväterliche Gewohnheiten; ihr blinder Gehorsam gegen die Geistlichkeit; ihre stumme Unterwürfigkeit gegen den Adel – alles dieses wirkte auf sie, und machte, daß sie die alte Regierung ängstlich zurück wünschten. Bedenkt man nun noch die Schwäche der constitutionellen Autoritäten daselbst; die unsichern und schwankenden Maßregeln, die sie zur Dämpfung der Unruhen ergriffen; die Schandthaten und Grausamkeiten der republikanischen Heere, und die empörende Tyrannei der Conventscommissarien: so kann man sich leicht die lange Dauer eines Kriegs erklären, der die fruchtbarsten Provinzen Frankreichs verwüstete, tausende der tapfersten Krieger hinwegraffte, und eine unzählbare Menge wehrloser Familien in Jammer und Elend stürzte. Die Vendeer würden, wenn sie beständig vereinigt gewirkt hätten, der neuen Republik wahrscheinlich den gänzlichen Untergang bereitet haben: allein der Neid, der unter ihren Anführern herrschte, trennte ihre Operationen, und wurde zuletzt die einzige Ursache ihrer Niederlagen. Bis zum [307] 29. Juni 1793, wo Nantes von ihnen bedroht wurde, standen sie auf der höchsten Stufe des Glücks. Die Klugheit des Generals Canclaur rettete noch diese Stadt, deren Verlust für die Republikaner unersetzlich gewesen sein würde. Von dem Augenblicke an war es auch um die vereinte Macht der Vendeer geschehen. Zwar erfochten sie in der Folge wieder ansehnliche Vortheile, und erschienen nach jedem Siege, den die Republikaner über sie erfochten hatten, furchtbarer als jemahls; aber das Glück war nur von kurzer Dauer: man schien auf beiden Seiten einen Kampf auf Leben und Todt zu beginnen, ohne daß die Royalisten sich um die Erweiterung ihres Gebiets und um die Behauptung der festen Platze in demselben sonderlich bekümmert hätten. Seit den mörderischen Gefechten bei Mons und Savenay (im Dec. 1793) konnte sich die Armee der Vendeer, welche in den Zeiten ihres höchsten Glucks 200,000 streitbare Männer zählte, nie recht erhohlen. Der Rest, der über die Loire zurück ging, erkannte nun Charette als Oberbefehlshaber an; ein anderer kleiner Theil blieb jenseits des Flusses, und vereinigte sich mit den Chouans (vergl. dies. Art.). Die Vendeer hatten in der Periode ihres höchsten Glücks, in der Zeit, da Saumur und Angers in ihren Händen war, einen hohen Rath (conseil souverain) in Chatillon niedergesetzt, der die Kriegsbewegungen leiten, und überhaupt das höchste Tribunal sein sollte. Dieser hohe Rath. bestand aus den Anführern und einigen angesehenen ehemahligen Adelichen der Provinz; der Bischof von Agre war darin Präsident. Alle Urkunden wurden im Namen Ludwigs XVII. ausgefertigt, und überhaupt alles auf den alten Fuß gesetzt. General dʼElbee, ein Mann, der mit den Eigenschaften eines vollendeten Kriegers die sanfte Ueberzeugungsgabe eines gewandten Redners vereinigte, war zwar zum Hauptanführer erklärt worden; allein der ehrgeitzige Charette trennte sich bald mit einem Corps von 40,000 Mann von ihm, und bewog einige Unteranführer, ein gleiches zu thun. Der tapfere dʼElbee wurde am 3. Januar 1794 auf der Insel Noirmontier von den Republikanern gefangen genommen, und bald darauf erschossen. Es fehlte übrigens den Vendeern in dem ganzen Kriege nicht an [308] tapfern Heerführern, unter welchen wir nur Charette, Stofflet (m. s. d. Art.) Beauchamp und Laroche-Jacquelin nennen wollen. Alle diese Männer waren größten Theils unter den Waffen grau geworden, und besaßen, außer einer vollständigen Kenntniß der geheimsten Schlupfwinkel ihres Landes, das wegen der vielen Kanäle, die es durchkreuzen, und wegen der Hecken und Gebüsche, womit es überall überdeckt ist, den Marsch einer Armee ungemein erschwert, die seltene Kunst, sich der Gemüther der Landbewohner und Soldaten zu bemächtigen. Sie rühmten sich zuweilen höherer Eingebungen, oder göttlicher Wunder, und feuerten dadurch die gutmüthigen Vendeer zu einer verzweifelnden Tapferkeit an. Desto auffallender ist das bunte Gemisch der republikanischen Generale, welche in diesem Kriege, wie in einer Zauberlaterne, aufstanden und verschwanden. Man weiß, daß der Wohlfahrtsausschuß über die Begebenheiten der Vendee einen dichten Schleier warf, und die Dauer dieses Kriegs vorsätzlich zu verlängern suchte, weil er darin eine reichlich fließende Quelle fand, aus der er die Raubgierde seiner Diener und Söldner befriedigen konnte. Absichtlich wurden daher unwissende Generale in die Vendee geschickt, oder die erfahrnen, wie z. B. Canclaux, schlecht unterstützt. Keiner behielt das Commando lange: Sieg oder Niederlage – beides beschleunigte das Anklagedecret. Wir finden daher, daß bald ein ehemahliger Herzog (Biron), bald ein Goldschmidsgeselle (Roßignol), nachher ein Arzt (Sepher), darauf ein Viehhändler (Grignon), und endlich gar ein Tanzmeister (Müller) commandirten. Außer diesen traten noch eine Menge andere Generale von mehr oder weniger Verdiensten auf, z. B. Westermann, Lechelle, Beyster, Haxo und Türreau, welcher letzterer eine brauchbare Geschichte des Vendeekriegs geschrieben hat. Die größten Heldenthaten der meisten dieser Anführer bestanden in einer Reihe der abscheulichsten Schandthaten und muthwilligsten Frevel, womit sie einen jeden ihrer Märsche bezeichneten. Sie erhielten vom Wohlfahrtsausschuß die schärfsten Befehle, alles in der Vendee zu verheeren, überall zu sengen und zu brennen und keines Einwohners zu schonen, gesetzt auch, daß er ein [309] Patriot gewesen wäre. Ungeheuer von Commissarien wurden von Zeit zu Zeit vom Convent abgeschickt, um zu sehen, ob die Generale den Willen des Wohlfahrtsausschusses pünktlich erfüllten. Wir dürfen hier bloß einen Carrier, Hentz (eben derselbe, der das Dorf Kußel abbrennen ließ) und Francastel nennen, um die Erzählungen der gräßlichsten Schandthaten, deren die verruchteste Boßheit je fähig war, nicht unglaublich zu finden. Noyaden, Füsilladen, republikanische Heirathen waren die Erfindungen dieser Unmenschen und das Vergnügen ihrer Rache dürstenden Seelen. Aber die gemeinen Krieger wollten sich auch Erhohlungen verschaffen, und ahmten daher die teuflischen Ergötzlichkeiten ihrer Vorgesetzten getreulich nach. Raub, Mord und Nothzucht wurden von ihnen ungescheut begangen. Nicht genug, daß sie die Weiber und Töchter der Eingebornen auf den öffentlichen Landstraßen schändeten, gingen sie sogar so weit, die unschuldigen Opfer ihrer viehischen Lüste nach vollbrachter That mit eigner Hand zu morden. Hätte nicht der 9. Thermidor diesem Blutsystem ein Ende gemacht, so würde das ganze schöne Land der Vendee noch in die gräßlichste Einöde verwandelt worden sein. Aber unglücklicher Weise hörten doch erst dann die Bedrängnisse auf, als sie schon den höchsten Grad erreicht hatten. Der Convent erließ am 2. Dec. 1794 einen allgemeinen Aufruf an die unruhigen Departements, worin er sie ermahnte, in den Schooß der Republik zurück zu kehren; zugleich wurden bald darauf drei Repräsentanten von anerkannter Rechtschaffenheit, Rüelle, Bollet und Delaunay, dahin abgesandt; der Erfolg entsprach der Erwartung. Charette, der jetzt Generalissimus war, machte in Verbindung mit Sapineau, einem andern Chef, am 17. Febr. 1795 zu Nantes mit den Republikanern Frieden. Ueber die eigentlichen Bedingungen dieses Friedens ist man jedoch noch so wenig unterrichtet, daß man nicht zuverlässig angeben kann, wer nachher zuerst bundbrüchig ward, ob Charette oder die Republikaner. Ersterer erließ wenigstens am 26. Juni ein Manifest, worin er über die Treulosigkeit der Republikaner klagte, und namentlich anführte, daß sie ihm die Wiederherstellung des Königthums garantirt hätten, wozu bis jetzt nicht der[310] geringste Anschein mehr vorhanden sei, indem sogar der junge König (er meinte Ludwig XVII. im Tempel) plötzlich, und nicht ohne ungegründete Muthmaßung an empfangenem Gift, am 9. Juni gestorben wäre. Gerade um diese Zeit unternahmen die Emigrirten von England aus die Expedition auf Quiberon. Charette hoffte nun zuverlässig, sich mit ihnen vereinigen und Ludwig XVIII. auf den Thron setzen zu können. Er griff aufs neue zu den Waffen; aber die Emigranten wurden durch Hoche zurückgetrieben (am 20 Juli.), und die Landung, welche Graf Artois im September versuchte, lief eben so unglücklich ab. Die Vendeer waren muthlos, und unterwarfen sich in einzelnen Abtheilungen den Republikanern; die Anführer der Chouans thaten ein gleiches. Nur der kühne Charette wollte mit einem kleinen Heer seiner getreuesten Anhänger nichts vom Unterwerfen wissen. Man hielt den Vendeekrieg für noch nicht geendigt, so lange dieser noch umherschweifte. General Hoche bot alles auf, um ihn gefangen zu bekommen; und dieses geschah endlich am 23. März 1796. Er wurde nach Nantes abgeführt, und am 29. März erschossen. Mit ihm sanken die letzten Hoffnungen der noch übrigen Mißvergnügten. Sie lieferten die Waffen ab; und seitdem kehrte Ruhe und Wohlstand in die verheerten Provinzen zurück. Aber lange noch wird Frankreich die Folgen dieses grausamen Bürgerkriegs fühlen, denn er kostete ihm wenigstens eine halbe Million Menschen. Der verdienstvolle D. Posselt hat uns in seinen schätzbaren Annalen eine treffliche Geschichte des Vendeekriegs geliefert, welche wir bei gegenwärtigem Artikel vorzüglich benutzt haben.
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