Carrier

[238] Carrier, ein ehemaliger Advocat und Deputirter aus dem Departement Cantal bei dem National-Convente. Dieser Mensch hatte nach der Beschreibung, die der Deputirte Ferron von ihm entwirft, so ziemlich das Ansehen eines Ungeheuers, das bloß aus Füßen und Armen besteht. Aus seinen kleinen tief liegenden Augen blickte etwas Wildes und Gräßliches, und überhaupt war sein Körper der treuste Abdruck seiner Seele. Die Natur beging einen Irrthum, daß sie diesem Tiger keine Klauen gab. – Carrier hatte sich immer durch blutdürstige Motionen ausgezeichnet, und erhielt, da er mit noch einigen andern Deputirten als Commissar in die Vendee geschickt wurde, eine erwünschte Gelegenheit, seiner Grausamkeit und Mordlust zahllose Opfer zu bringen. Unter dem Vorwande, die Ruhe in jenen unglücklichen Gegenden wieder herzustellen und die Friedensstörer zu bestrafen, ließ der Bösewicht mit Hülfe seiner Getreuen, welche das Revolutions-Tribunal der Stadt Nantes ausmachten, eine Menge Schlachtopfer durch die Guillotine hinrichten. Aber bald that dieses Mordinstrument seiner Thätigkeit keine Genüge. Er fand es [238] zweckmäßiger, die Gefangenen in Reihen erschießen oder in der Loire ersäufen zu lassen. Um sich dabei eine höllische Augenlust zu verschaffen, ward er der Erfinder der so genannten republicanischen Heirathen, wo man allemal zwei Gefangene verschiedenen Geschlechts nackend zusammen band und mit einigen Säbelhieben in den Fluß stürzte. Schwangere Weiber, Kinder, die noch nicht einmal neun Jahr alt waren – nichts wurde geschont; wer das Unglück hatte, dem Proconsul Carrier und seinen Genossen zu mißfallen, wurde hingerichtet ohne gerade Royalist zu sein. Carrier kehrte in Schooß des National-Convents zurück, und würde neue Mordaufträge übernommen haben, wenn nicht Robespierreʼs Sturz auch ihm den Fall bereitet hätte. Die öffentliche Meinung hatte ihn längst gebrandmarkt, und der Prozeß der 94 Nanteser, der um diese Zeit vor dem Revolutions-Tribunal in Paris anhängig war, stellse seine Schandthaten in volles Licht. Der Conventschien anfänglich den Tyrannen nicht angreifen zu wollen, weil vermuthlich mehrere Mitglieder in den Prozeß verwickelt zu werden befürchteten: aber endlich siegte doch die gute Sache; eine Anklage-Acte, die aus nicht weniger als 74 Punkten bestand, wurde gegen Carrier abgegeben, und seine Vertheidigung, worin er zwar anführte, daß er auf Befehl des ehemaligen Wohlfarths-Ausschusses so gehandelt, und sich dadurch den Beifall des Convents unter Robespierre erworben habe, konnte ihn nicht retten. Auch die Bemühungen der Jacobiner, welche ihm zu Gunsten einen Aufstand bewirken wollten, blieben fruchtlos. Den 16. Decemb. 1794 mußte er die Guillotine besteigen, und seine Hinrichtung gewährte jedem rechtschaffenen Bürger Beruhigung.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 238-239.
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