Genf

[87] Genf, eine große, schöne, vollreiche Stadt im Herzogthum Genevois in Savoyen, am westlichen Ausfluß des durch die unbeschreibliche Schönheit der Gegenden um denselben so berühmten Genfersees, [87] durch den die Rhone mitten hindurch fließt, und dessen Länge 18 bis 20, die größte Breite aber 5 bis 6 Stunden ist. Die Rhone, welche hier aus dem Genfersee ausfließt, sondert Genf in drei ungleiche Theile, welche durch Brücken zusammen hängen, und im J. 1790 26,300 Einwohner enthielten. Genf hing anfangs von Savoyen ab: allein es setzte sich im sechzehnten Jahrhundert, als Franz I. Savoyen besetzt hielt, in Freiheit; es bekannte sich zur reformirten Religion, und konnte sich um so eher als Republik behaupten, da es mit den reformirten Cantons, sonderlich mit Bern und Zürich, in ein Bündniß trat. Indeß hatte es noch immer Streitigkeiten mit Savoyen, und wäre beinahe in der Nacht vom 11.–12. Dec. 1602 durch Verrätherei von den Savoyarden mit Leitern überstiegen worden. Man nennt diese Uebersteigung die Escalade (die Uebersteigung einer Stadt mit Leitern): noch zeigt man in der Kirche des heil. Gervais die Gräber der siebzehn Bürger, welche diese Nacht erschlagen worden; und alljährlich wird deßhalb das Escaladefest gefeiert. In dem gegenwärtigen Jahrhundert erwarben sich die Genfer durch ihre Industrie (es werden viele künstliche Arbeiten, vornehmlich Uhren, in Gens verfertigt) und Handlung große Reichthümer; eben so sehr zeichneten sie sich durch eine vorzügliche Aufklärung, aber auch durch immerwährende bürgerliche Unruhen aus, von welchen wir (mit Uebergehung der Unruhen in den Jahren 1707, 37, 38, 64, 68, 70) bloß die neuesten in den Jahren 1782, 89 und 94 bemerken wollen. Die Revolution von 1782, bei welcher die répresentans (so nannten sich die Volksfreunde; die Aristokraten, welche den Vorstellungen derselben kein Gehör gaben, hießen negatifs), nachdem eine dem kleinen Rath übergebene Vorstellung verworfen worden, sich der Personen der bisherigen Obrigkeit und der ganzen Regierung bemächtigten, endigte sich mit einer neuen Constitution (Edit de pacification), die unter den drei Mächten, Frankreich, Sardinien und Bern (welche als Garants einer i. J. 1738 errichteten Constitution die Stadt umsetzten und sich bei der ganzen Sache überaus uneigennützig zeigten) zu Stande kam, nachdem die Demagogen sich gefügt und in der Nacht auf den 1. Jul. in der Stille die Thore geöffnet hatten. Diese Constitution,[88] welche dem Rath von 200, unter dem Beirath von 36 aus der Bürgerschaft gewählten Männern, die Festhaltung der Verfassung übertrug, sollte der allgemeinen Versammlung der Bürger ihre wesentlichen Rechte erhalten. Allein in der Folge waren die meisten Genfer darin einstimmig, daß die neue Gesetzgebung äußerst verderblich, die darauf gegründete Regierung eben so verhaßt als despotisch sei; und es entstand im J. 1789 eine neue Revolution, in welcher die Constitution von 1782 abgeschafft und die alte Verfassung wieder hergestellt wurde. Man hatte diese Revolution schon im J. 1782 fast auf die Zeit, da sie wirklich ausbrach, prophezeiht; und eine Liebesgeschichte, die sich zwischen einem Patrizier und einer Actrice angesponnen hatte, trug vieles zu der Art bei, wie sie erfolgte. Indessen haben andere denkende und billige Männer, selbst von den Aristokraten, eingestanden, daß in der Zeit von Aufhebung der ehemahligen Verfassung (1782) bis zu der Wiedereinführung derselben (1789) die Stadt volkreicher und blühender als jemahls gewesen sei, und der Magistrat sich äußerst billig bezeigt habe. Durch die Französische Revolution litt Genf überaus, da das Geld der Genfer größten Theils in den Französischen Fonds versteckt war, und die Zeitumstände ihre Handlung schwächten. Schon im Jahr 1792 entstanden neue Unruhen, welche jedoch nicht blutig waren. Allein i. J. 1794 äffte man förmlich die Revolution der Franzosen nach; und es wurde, unter Einfluß des Französischen Residenten Soulavie, den 16. Jul. beschlossen, eine Insurrection zu machen: man beraubte und mordete mehrere Angesehene und Reiche, unter diesen den Syndicus Cayla, einen sehr geachteten Mann, welcher, nachdem er bereits durch stumme Stimmen losgesprochen worden war, durch laute verurtheilt werden mußte. Mehrere hatten die Absicht, Genf mit der Französischen Republik zu verbinden. Nach Robespierreʼs Tode wurde Soulavie sogleich zurück berufen. – Unter den Sehenswürdigkeiten in und um Genf zeichnen wir noch aus: das Haus, wo Rousseau geboren worden (es stößt an das so genannte Chateau Royal, am Eingang einer breiten Straße); Calvins Grabmahl, ohne Inschrift und Monument, auf dem Kirchhofe vor der Stadt; das Cabinet von Saussure, das schönste in der Schweiz; 1½ Stunde [89] von Genf Ferney, welches seit Voltaireʼs Tode verfällt, und wo die untern Zimmer noch so sind, wie er sie bewohnte; und die Gletscher von Chamouny, eine Tagereise von Genf.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 2. Amsterdam 1809, S. 87-90.
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