Ludwig Sebastian Mercier

[123] Ludwig Sebastian Mercier, ein vorzüglich berühmter Französischer Schriftsteller, dessen Werke bei uns eben so häufig in Uebersetzungen als in der Grundsprache [123] gelesen werden. Er ist 1740 geboren, und war vor der Revolution Advocat bei dem Parlament zu Paris. Bei dem Nationalconvent erhielt er eine Stelle; weil er aber unter den Deputirten war, welche gegen die Begebenheiten des 31. Mai protestirten, so wurde er eingekerkert und erst nach der Zerstörung der Schreckensregierung, zu Ende d. J. 1794, in den Convent zurückgerufen. Nachher ward er Mitglied im Rathe der Fünfhundert, und zeichnete sich darin durch Liebe zum Frieden und der Ordnung und durch Begünstigung eines gesetzlichen katholischen Gottesdienstes aus. Wider den Vorschlag, wodurch man der Asche des berühmten Philosophen Descartes die Ehre des Pantheon verwilligen wollte, erklärte er sich sehr freimuthig, und äußerte bei dieser Gelegenheit seine Meinung über einige schlechte Züge in Voltaireʼs Charakter. Mercier soll durch seine sanfte und gefällige Bildung und durch eine gewisse offenherzige Gutmüthigkeit jeden für sich einnehmen, der seine Bekanntschaft zum ersten Mahle macht. Sein häusliches Leben ist einfach und anspruchlos; und er verwendet, in der Gesellschaft einer tugendhaften Gattin, die Zeit, die ihm von seinen öffentlichen Geschäften übrig bleibt, zu literarischen Arbeiten. Ein Gemählde von Paris, wie es nach der Revolution beschaffen ist, wird von ihm als Fortsetzung seines ältern Werks dieses Namens erwartet. Unter seinen frühern Schriften zeichnet sich das im Jahre 1772 erschienene Jahr 2440 immer noch ganz vorzüglich aus, und hat durch die Bestätigungen, welche viele, gleichsam im prophetischen Geiste geweißagte, Stellen in diesem Werke während dem Laufe der Revolution erhalten haben, neues Interesse gewonnen. Daß Mercier dadurch die Revolution habe herbeiführen helfen, läßt sich eben so wenig behaupten, als daß sie durch die Schriften anderer Gelehrten veranlaßt worden sei; und überhaupt äußert Mercier in seinen Schriften nie gefährliche demokratische Grundsätze, sondern gründet seine Vorschläge zu Verbesserungen auf Philosophie und Moral. Die dramatischen Stücke, die er geliefert hat, sind reich an edeln Grundsätzen, und zeigen von eben so viel Kenntniß des Menschen, als von Feinheit der Sprache und des Ausdrucks. Uebrigens rühren viele Schriften, die den [124] Namen von Mercier führen, nicht von diesem, sondern von andern Verfassern gleiches Namens her. Neuerlich ist Mercier auf einige sonderbare Grillen verfallen, und bat allen schönen Künsten, namentlich der Mahlerei, ein Fehde angekündigt. Er hält diese Kunst für die Urheberin des Götzendienstes und für eine unerschöpfliche Quelle irriger und gefährlicher Ideen für das Menschengeschlecht. Wie er dieses im Ernste habe behaupten können, ist unbegreiflich; aber er hat eine bekannte Vorliebe für Declamationen. – Gegenwärtig ist er bei der Lotterie angestellt, gegen welche er sonst so sehr zu eifern pflegte.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 123-125.
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