[102] Refraction der Lichtstrahlen (Naturlehre). Wenn ein Lichtstrahl aus einem durchsichtigen Mittel in ein anderes von verschiedener Dichtigkeit schief übergeht, so wird er von seiner Bahn abgelenkt und in eine andere Richtung gebracht; dieß ist es, was man Refraction, Brechung des Lichts nennt; ein Phänomen, das wir für viel zu wichtig halten, als daß wir ihm nicht einige Blätter weihen sollten. Da wir übrigens nicht erwarten dürfen, daß ein jeder unserer Leser das Licht, das jene Veränderung erleidet, physisch kennen werde, so wollen wir erst einiges über diesen räthselhaften Stoff und über die Eigenschaften sagen, die ihm der Erfahrung zu Folge eigen sind.
Die außer uns befindlichen sichtbaren Gegenstände wirken auf die Nervenmaterie unsers Gesichtssinnes, und wecken durch die Rührungen dieser in unserer Seele diejenige [102] Empfindung, welche wir Sehen nennen. Diese Veränderungen bringen die sichtbaren Objecte vermittelst des Lichts hervor, das entweder aus ihnen sich entwikkelt oder von ihnen zurückgeworfen wird. So wie wir einen Ton nur durch die Luft empfinden, so nehmen wir einen sichtbaren Körper nur durch das Licht wahr; und wir erhalten daher in einem finstern Zimmer keine Vorstellungen von den uns umgebenden Gegenständen. Hieraus erkennen wir auch, daß nicht allen Objecten unsers Gesichtssinnes der Stoff eigenthümlich sei, durch den wir jene empfinden. Die meisten der Dinge, die uns in der Natur erscheinen, sind dunkle, und können nur in so fern unser Auge rühren, wie fern sie von einem Körper, welcher Licht aus sich entwickelt, wie z. B. von der Sonne, erleuchtet werden. Wir unterscheiden aber nicht bloß leuchtende und erhellte, sondern auch durchsichtige und undurchsichtige Körper; denn nicht alle Materien sind fähig, das Licht, das von leuchtenden oder erhellten Gegenständen zu ihnen dringt, durch sich hindurch zu lassen. Wenn wir in den Raum, der zwischen unserm Auge und dem brennenden Dochte einer Lampe sich befindet, eine Tafel von Holz, ein Platte von Blech bringen, so werden wir die Flamme des Dochtes nicht mehr wahrnehmen. Aber wir können diese noch bemerken, wenn wir die zwischen ihr und unserm Sinnorgane liegenden Linien durch Scheiben von Glas oder Horn unterbrechen. Diese Materien sind durchsichtige, denn sie verwehren dem Lichte, durch welches wir die Flamme des Dochtes sehen, den Durchgang nicht; jene müssen wir als undurchsichtige betrachten, weil sie das Wahrnehmen des leuchtenden Gegenstandes gänzlich hindern.
Da die Gründe, welche einige Neuere für die Immaterialität des Lichts aufstellen, uns nicht überzeugen, so nehmen wir, und zwar zu Folge gewisser Phänomene, die für das Gegentheil zu sprechen scheinen, mit Gren und Andern an, daß das Licht ein körperliches Wesen sei. Erfahrungen lehren, daß die Theilchen dieser Materie da, wo sie frei oder zurückgeworfen werden, in geraden Linien sich fortbewegen. Läßt man durch eine kleine Oeffnung Licht in ein finsteres Zimmer eingehen, so stellen die erhellten Theile der Luft eine gerade Linie dar. Ein dunkler Körper wird ferner von einem leuchtenden nicht mehr erhellt, wenn ein undurchsichtiger Gegenstand zwischen ihm und diesem tritt. Dieses würden wir nicht [103] beobachten können, wenn nicht wirklich die Bewegung der Lichttheilchen eine geradlinigte wäre. Das Licht pflanzt sich aber nicht bloß in geraden Linien, sondern in diesen auch nach allen Seiten fort. Jede Stelle, an der bei einem leuchtenden oder erhellten Körper Licht ausströmt oder zurückgeworfen wird, kann gleichsam als das Centrum einer Kreisfläche betrachtet werden, von welchem die fortgehenden Lichttheilchen wie die Radii einer Kugel nach der Peripherie sich bewegen. Und von dieser Verbreitung des Lichts überzeugr uns jede Lichtsphäre, mit welcher wir die Flamme einer brennenden Materie umgeben sehen, überzeugt uns der Anblick jedes erleuchteten Gegenstandes, bei welchem das zurückgeworfene Licht alle Seiten bemerkbar macht. Diese Erscheinungen sagen es nun, daß das Licht eine inponderabele, elastische oder von der Expansivkraft afficirte Flüssigkeit sei. Die Geschwindigkeit übrigens, mit welcher die Theile dieses flüssigen Stoffes sich bewegen, ist so groß, daß sie bei kleinen Räumen, welche jene durchlaufen, nicht bestimmt werden kann. Sonst nahm man mit Descartes eine instantane Bewegung des Lichtes an; aber die Beobachtungen der Elipsen der Jupitersmonden, welche Olof Römer und der ältere Cassini von 1671 bis 1675 zu Paris anstellten, zeigten das Irrige dieser Meinung. Bradley setzte endlich den successiven Fortgang des Lichts außer allem Zweifel, und lehrte, daß ein jeder Strahl, der von der Sonne zu unserer Erde dringt, den Raum zwischen dieser und jener in 8 Minuten und 7½ Secunde durchläuft. Das Licht legt diesem zu Folge in einer jeden Secunde einen Weg von 40 000 geographischen Meilen zurück; eine Bewegung, mit weicher wir in Hinsicht der Geschwindigkeit keine andere vergleichen können. Sie ist beinahe um 976,000 großer, als die des Schalls.
Die Theilchen des Lichts, welche hinter einander in geraden Linien sich fortbewegen, nennt man Lichtstrahlen Diese Strahlen gehen, ohne eine Veränderung in Ansehung ihrer Richtung zu erleiden, durch die durchsichtigen Körper hindurch, wenn sie auf diese senkrecht fallen. Dringen sie hingegen aus einem durchsichtigen Mittel in ein anderes, dichteres oder dünneres, schief ein, so werden sie von ihrem vorigen Wege abgelenkt. Der Strahl also, der aus der Luft in Wasser schief übergeht, wird an der Oberfläche des [104] Wassers eine Brechung erleiden, und folglich in dem letztern Mittel nicht dieselbe gerade Linie darstellen, die er in jenem bildet. Die Refraction erfolgt nicht immer auf dieselbe Weise; sie ist nach der verschiedenen Dichtigkeit oder Brechbarkeit der Medien, in welche das Licht eindringt, verschieden. Dieses werden die Gesetze der Strahlenbrechung, welche wir nun aufstellen wollen, dem Leser sagen.
Man nennt diejenige Stelle eines Mediums, an welcher ein Lichtstrahl eingeht, den Einfallspunkt, die senkrechte Linie, die man sich auf diesen Punkt gezogen, und durch ihn lothrecht hinab in das Medium verlängert denken kann, das Einfalls- oder Neigungsloth, den Winkel, den der einfallende Strahl mit dem Neigungslothe macht, den Einfallswinkel, denjenigen endlich, den der gebrochene Strahl mit eben diesem Lothe bildet, den Brechungswinkel. Lichtstrahlen nun, welche in einer schiefen Richtung aus einem dünneren Mittel in ein dichteres dringen, werden dem Einfallslothe zu gebrochen; und es ist, da bei dieser Berechnung jeder Strahl gegen das Loth geneigt wird, der Brechungswinkel jederzeit kleiner, als der Einfallswinkel. Geht hingegen ein Strahl aus einem dichteren Medium schief in ein dünneres über, so wird er von dem Einfallslothe ab gebrochen; und in diesem Falle, wo die Refraction den Strahl vom Neigungslothe entfernt, übertrifft die Größe des Brechungswinkels den Sinus des Einfallswinkels.
Die Richtung der Lichtstrahlen wird nicht bloß in ebenen, sondern auch in gekrümmten Flächen brechender Medien verändert. Kennt man die angeführten Gesetze, und ist man von den Verhältnissen der Brechungen in den verschiedenen durchsichtigen Mitteln unterrichtet, so kann man durch Rechnungen leicht finden, wie die Refraction in den letztern Flächen erfolgen müsse. Daß aber das Licht auch hier von seiner Bahn wirklich abgelenkt werde, davon können den Leser die verschiedenen dioptrischen Linsen überzeugen. Diesen Namen führen gewisse kreisförmige mit convexen oder concaven Kugelflächen versehene Gläser, unter welchen man, nach den ihnen gegebenen Formen, erhabene und hohle Linsen [105] unterscheidet. Erhabene Linsen bilden diese Gläser, wenn sie an beiden Seiten conver, oder an der einen erhaben, platt oder concav an der andern erscheinen; hohle Linsen stellen sie dar, wenn sie an beiden Flächen verrieft, oder auch nur an einer es sind. Bei der erhabenen Linse werden die Strahlen durch die Brechung der Axe, oder der durch die Mittelpunkte der Linsenflächen gezogenen Linie, genähert, bei der bohlen hingegen von dieser entfernt. Dieser Wirkungen wegen nennt man auch die convexen Linsen Sammlungsgläser, die concaven Zerstreuungsgläser. Dringen parallele Strahlen in ein Sammlungsglas nahe bei der Axe desselben ein, so werden sie so gebrochen, daß sie hinter dem Glase in einem Punkte, dem Brennpunkte der Linse, sich vereinigen, den sie nach einer erfolgten Durchkreuzung in divergirenden Richtungen wieder verlassen. Sind die auf das erhabene Glas fallenden Strahlen divergirende, so giebt ihnen die brechende Fläche entweder einen weniger divergirenden, oder einen parallelen, oder auch einen convergirenden Lauf. Gehen endlich convergirende Strahlen in eine erhabene Linse über, so wird ihre Convergenz durch die erfolgende Refraction vergrößert. Die Strahlen, welche auf Hohlgläser fallen, erhalten eine divergirende oder parallele Richtung, je nachdem sie als parallele oder convergirende in die brechenden Flächen drangen. Parallel eingehende werden hier so gebrochen, daß sie gleichsam alle aus einem an der hintern Seite des Concavglases liegenden Punkte, den man den Zerstreuungspunkt oder den eingebildeten Brennpunkt nennt, zu kommen scheinen. Diese Gesetze der Strahlenbrechung in gegekrümmten Flächen sind höchst wichtig; durch sie erhält der Physiker Aufschluß über eine Menge befremdender Naturerscheinungen; sie haben auch den Physiologen über den Bau und den Endzweck mehrerer Theile des Auges aufgeklärt. Dieses sphäroidisch gebildete Organ wirkt wie ein erhabenes Glas. Die von den sichtbaren Gegenständen in dasselbe dringenden Strahlen werden durch mehrmahlige Berechnung seiner Are genähert und zuletzt in einen Punkt vereinigt, welcher auf der Mark- oder Netzhaut des optischen Nervens liegt. Doch hiervon werden wir in dem Artikel Sehen noch besonders sprechen.
[106] Wenn die Alten auch die Wirkungen der Strahlenbrechung kannten, so befanden sie sich doch in Hinsicht der Gesetze, nach welchen diese erfolgt, in gänzlicher Unwissenheit. Die Bemühungen des Arabers Alhazen im 10. oder 11. Jahrhundert, und die Versuche seines Commentators Vitello im 13. gaben keine besondern Aufschlüsse über diesen so wichtigen Gegenstand der Physik. Keppler stellte sehr sorgfältige Beobachtungen über die Brechung des aus der Luft in Glas gehenden Lichts an, aber die eigentlichen Gesetze der Refraction blieben ihm doch unbekannt. Nach den Beobachtungen des Huygens wurden diese von Willebrord Snellius, welcher im vorigen Jahrhundert als Lehrer der Mathematik zu Leiden lebte, entdeckt. Der bekannte Weltweise Renatus Descartes trug sie zuerst in seinen Discours de la methode e. ct. plus la Dioptrique, les Meteores et la Geometrie, qui font des essais de cette methode. Paris 1637. 4. öffentlich vor. Die Ursache der Lichtbrechung. die für die Theorie des Sehens, die Theorie der Fernröhre und der Vergrößerungsgläser, mit einem Worte für die Dioptrik so wichtig ist, hat außer des Cartes, Hobbes, Dechales, Montucla, Huygens, Johann Bernoulli, Leibnitz, Euler, Maupertuis noch eine Menge anderer Denker beschäftigt. Die Darstellung der verschiedenen über das Phänomen der Refraction gegebene Erklärungen würde uns aber zu weit führen; und wir verweisen daher auf den ersten Theil des physikalischen Wörterbuchs von Gehler, wo der Leser in dem Artikel Brechung der Lichtstrahlen nicht nur die wichtigsten jener Hypothesen aufgestellt sondern auch beurtheilt findet.
Buchempfehlung
Die beiden »Freiherren von Gemperlein« machen reichlich komplizierte Pläne, in den Stand der Ehe zu treten und verlieben sich schließlich beide in dieselbe Frau, die zu allem Überfluss auch noch verheiratet ist. Die 1875 erschienene Künstlernovelle »Ein Spätgeborener« ist der erste Prosatext mit dem die Autorin jedenfalls eine gewisse Öffentlichkeit erreicht.
78 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro