Scylla

[202] Scylla (jetzt Sciglio genannt). Dieses berüchtigte felsige Vorgebirge an der Meerenge von Sicilien hat nebst der eben so übel berufenen Charybdis (jetzt Calofatro und Rema), welche in eben der Gegend, und zwar gleich außen vor dem Hafen von Messina, liegt, ehedem das Schrecken der Seefahrer ausgemacht, wird aber heut zu Tage von jedem nur etwas Erfahrnen für ziemlich unbedeutend gehalten. Es ist nehmlich in der oben gedachten Meerenge, vornehmlich am Eingange derselben, Ebbe und Fluth sehr stark und unordentlich, und der Strom des Meeres so ungestüm, daß kein Schiff die Meerenge in gerader Linie durchschneiden und aus Calabrien nach Sicilien kommen kann. Ehe man nun die eigentliche Art dieser Bewegung kannte, und die Gefahr, sich dem natürlichen Zuge des Stroms zu überlassen, bemerkte, wurden die Schiffe an gedachtes Vorgebirge mit Gewalt geworfen und ohne Rettung zertrümmert. Der Meerwirbel, die Charybdis, stand in gleich bösem Rufe: man glaubte nehmlich, es sei da auf dem Boden des Meeres ein Schlund, wo das Wasser hinabstürze; und es war ein allbekanntes Sprüchwort: incidit in Scyllam, qui vult vitare Charybdin (wer auch der Charybdis zu entgehen sucht, stürzt doch in die Scylla). Allein höchst wahrscheinlich ist es, daß die Gefährlichkeit bloß von den Seeströmen herrühre, welche in dieser engen Gegend wider einander laufen und den gefährlichen Wirbel verursachen. Die Schiffsleute haben nun den Gang derselben genauer bemerkt, und es wird daher heut zu Tage selten ein Unglück hier vorfallen. – Was übrigens die Fabel von diesen Schreckensörtern erzählt hat, ist ungefähr Folgendes: Scylla, die Tochter des Phorcus oder Phorcyn, wurde von Glaucus, einem Seegotte, sehr [202] heftig geliebt, ohne seine Liebe zu erwiedern. Voller Verdruß eilte dieser zur Circe, und bat sie, durch ihre Zaubermittel jene Hartherzige zur Liebe gegen ihn zu bewegen. Allein Circe, selbst in den Seegott verliebt, begab sich, da er ihre Liebe zurückwies und ihr jene vorzog, erzürnt an die Küste von Rhegium, und bezauberte aus Rache hier den Quell, wo sich Scylla zu baden pflegte. So wie diese hineintrat, wurde sie in ein Ungeheuer verwandelt, das zwar an dem obern Theile wie eine Jungfrau, an dem untern aber wie ein Fisch, mit dem Schwanze eines Delphins, gestaltet und mit einem Wolfskopfe versehen war. Homer giebt ihr sogar 6 Köpfe und 12 Füße, und setzt hinzu, daß sie wie ein Hund belle. Aus Rache gegen die Circe siel sie nun den Ulysses, den Liebling der Circe, als er da vorbeifuhr, an, und verschlang sechs seiner Gefährten. Um ihr aber für die Zukunft einen ähnlichen Appetit zu benehmen, wurde sie in einen Felsen verwandelt – denselben, den die Schiffer ehedem so fürchterlich fanden. Auch die Charyddis soll wegen ihrer fürchterlichen Gefräßigkeit, mit der sie öfters dem Hercules seine schönsten Ochsen wegfraß, in ein ähnliches Seeungeheuer verwandelt worden sein. – In der That mag die Figur jenes Felsens, und dann das dem Hundeheulen ähnliche Anschlagen der Wellen mit zur Erdichtung dieser Fabel Anlaß gegeben haben. – Welches Unheil übrigens die Sirenen eben auch in dieser Meerenge angestiftet haben sollen, das lese man in dem Art. Sirenen.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 5. Amsterdam 1809, S. 202-203.
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