Tiberius

[169] Tiberius Claudius Nero, der zweite Römische Kaiser, geb. im Jahre Roms 712, und eben so berüchtigt, als sein Vorgänger Augustus sich berühmt gemacht hatte. Von diesem seinem Stiefvater (welcher die Livia noch bei Lebzeiten ihres vorigen Mannes, Tiberius Nero, 716 zur Gemahlin nahm) schon im 18. Jahre zum Quästor ernannt, und vier Jahre darauf, nach Asien zu Einsetzung des Armenischen Königs, Tigranes, gesendet, erhielt er auch 748 die tribunicische Gewalt, nachdem er, von seiner Gemahlin geschieden, Julia, Augusts Tochter, geheirathet hatte, die aber nachher im Exil verschmachten mußte. Ob zwar gleich auch wider die Deutschen siegreich, mußte er dennoch aus Ungnade seines Stiefvaters mehrere Jahre außer Rom – zu Rhodus zubringen. Indessen wußte seine Mutter, Livia (s. dies. Art. Th. II. S. [169] 402.), ihren Gemahl so einzunehmen, daß dieser nach sieben Jahren ihm nicht nur die Rückkehr erlaubte, sondern auch kurz darauf (757) ihn an Sohnes Statt annahm; und da nun auch Tiberius neuerlich wieder glückliche Kriege gegen die Deutschen führte, den Aufruhte in Pannonien dämpfte etc. so wurde er sogar zur kaiserlichen Würde erhoben, die er denn auch nach Augusts Todte, 767, (14 J. nach Chr. Geb.) antrat. Zwar ließ er sich zum Schein erst dazu bitten, gab auch anfangs sich das Ansehen eines gütigen und gerechten Regenten, indem er Achtung und Ehrerbietung gegen die Consuln heuchelte, Herablassung und Sorgfalt für das Voll zeigte, damit es nicht durch schwere Abgaben gedrückt würde, die Härte und Willkühr der Beamten in den Provinzen hart ahndete, ja, er lehnte auch den Titel: Vater des Vaterlandes ab; allein bald zeigte er seinen wahren Despoten-Charakter durch höchste Grausamkeit und Boßheit. Seine Gemahlin Julia ward bald ein Opfer davon: viele Vornehme ließ er heimlich und öffentlich, auch selbst seinen Neffen, den von ihm adoptirten Germanicus, welcher sich durch seine Siege über die Deutschen so sehr auszeichnete und die unbegrenzte Liebe des Volks und der Soldatem besaß, so wie dessen Gemahlin und Söhne durch Gift hinrichten, und kurz, Alle, die ihm verdächtig waren, unter den schrecklichsten Martern umbringen; ja, selbst sein größter Liebling, Sejanus, den er immer zum Werkzeug seiner Tyrannei gebraucht hatte,1 ward endlich ein Opfer seiner Mordsucht. Endlich starb dieser Wütherich – ein würdiges Vorbild eines seiner [170] Nachfolger, Nero, – nachdem er 23 Jahre lang den Thron befleckt, und ein Alter von 78 Jahren erreicht hatte, auf der Insel Caprea (wo er seine letzte Lebenszeit ganz zubrachte) im J. 37. nach Chr. Geb. und, wie es nicht zu bezweifeln ist, eines gewaltsamen Todtes, welchen ihm wohl Caligula, sein Nachfolger, mittel- oder unmittelbar zubereitet hatte. Das Volk war so erbittert gegen ihn, daß man sogar seinen nach Rom gebrachten Leichnam in die Tiber geworfen wissen wollte. Merkwürdig ist seine Regierung auch noch dadurch geworden, daß im 19. Jahre derselben Christus gekreuziget wurde. Man will, aber wohl ohne Grund, behaupten, Tiber habe auf den Bericht des Pilatus zwar den Heiland auch nebst den übrigen Göttern für einen Gott erklären wollen, allein der Senat sei dagegen gewesen. – Trotz der abscheulichen Züge, die diesen Tyrann charakterisiren, ist doch nicht zu leugnen, daß er ein vollendeter Feldherr war, ja, um den Staat viele Verdienste hatte, die aber leider durch seine schreckliche Grausamkeit, durch Geitz, durch schändliche Wollüste – kurz, durch Schandthaten aller Art so ganz verdunkelt wurden.


Fußnoten

1 Dieser Sejan, der würdige Spießgeselle eines Tibers und der verschlagenste Bösewicht, war zwar nur ein Römischer Ritter, aber als Befehlshaber der Leibwache wußte er sich eine solche Gewalt zu verschaffen, daß er die gefährlichsten Pläne, die nichts weniger, als Selbsterlangung der Oberherrschaft bezweckten, durch die schändlichsten Bübereien auszuführen suchte, mehrere Mitglieder der kaiserlichen Familie durch Gift aus dem Wege schaffte, und schon seinem Ziele sich nahe glaubte, als Tiber selbst Verdacht schöpfte, ihn erst von sich und seinem gewählten Aufenthalte, Caprea, entfernte, und dann dem Senat zu Rom den Befehl zu seiner Hinrichtung ertheilte, welche sofort unter den schimpflichsten Behandlungen des Volks erfolgte, das seinen Körper mit solcher Wuth zerfleischte, daß für den Nachrichter kaum etwas, um in die Tiber geworfen zu werden, übrig blieb.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 169-171.
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