Titulomanie

[185] Titulomanie, oder die Sucht, sich mit besondern Ehrenbenennungen (Titeln) anreden zu lassen, nach und nach von den ältern1 bis zu den neuesten Zeiten den höchsten und lächerlichsten Grad erreicht hat, ist eine Wahrheit, von der man sich leider! täglich überzeugen muß, und es wäre wohl überflüßig, noch etwas darüber hinzuzufügen, da man in öffentlichen Blättern (namentlich dem Reichs- (jetzt Allgemeinen) Anzeiger) und selbst auf dem Theater (z. B. Kotzebue in den Deutschen Kleinstädtern) die Lächerlichkeit einer solchen Titelwuth genug bloßgestellt hat. – Wenn [185] übrigens regierende Herren in ihrem Titel oft Länder mit aufführen lassen, die ganz andere Besitzer haben, so rührt dieß theils von ehemahligen Ansprüchen, die sie, oder ihre Vorfahren zu haben vermeint, oder wirklich gehabt haben, her, obgleich vielleicht nie dieselben geltend gemacht werden, oder es ist bloß so genannter Styl und Observanz, solche Titel beizubehalten. –

Die übrigen Bedeutungen des Worts Titul sind: 2) die Aufschrift, Rubrik eines Buchs, Bildes, oder andern Werks, das man dadurch von andern unterscheiden will. Daß auch in dieser Art sehr viel Lächerlichkeiten und Unsinn ausgeubt werden, um nur durch den Titel eines Buchs Aufmerksamkeit zu erregen, und demselben Abnehmer zu verschaffen, davon kann man sich in den meisten öffentlichen Blättern überzeugen. 3) heißt Titul, in rechtlicher Bedeutung, irgend ein gesetzlicher Grund, aus welchem mir ein Recht oder der Besitz einer Sache zusteht; im canonischen Rechte die Einkünfte oder Guter, welche zum Unterhalte der Geistlichen dienen (ursprünglich gewisse den Clericis oder Geistlichen angewiesene Sitze, wo sie ihr Amt ausübten), und in den mittlern Zeiten eine Würde, ein geistliches Amt, das jemand begleitet. Endlich bezeichnet man 4) mit Titel auch die Aufschrift der einzelnen Capitel in dem Römischen Rechte, namentlich in den Institutionen, Pandecten und dem Coder.


Fußnoten

1 Von der lächerlichen Titelsucht aus der älteren Zeit, dem 17ten Jahrhunderte, mag hier Ein Beispiel, zur Erbauung der Leser, genug sein: Ein gewisser M. Seeger zu Wittenberg ließ sich mahlen und zwar unter einem Crucifix stehend, wo denn aus seinem Munde die Worte nach dem Heiland hinaufgingen: Domine Jesu Christe, amas me? (Herr Jesu, liebst du mich?) und aus dem Munde Jesu kamen nun folgende Titulaturen herab: Clarissime, Nobilissime atque Doctissime Domine Mag Seeger, Rector Scho lae Wittebergensis meritissime atque dignissime, omnino amo te (zu Deutsch ungefähr: Hochedler, Hochachtbarer, Hochgelahrter Herr Mag Seeger, Hochwürdiger und Hochverdienter Rector der Schule zu Wittenberg! ja, ich liebe dich!

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 185-186.
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