Ulema

[267] Ulema wird bei den Turken das Corps von Geistlichen und Rechtsgelehrten genennt, welches, gleich der Clerisei der Juden, ein doppeltes Hauptgeschäft hat, nehmlich Verwaltung des Gottesdienstes nebst der kirchlichen Aufsicht, und das richterliche Amt, vermöge dessen ihm auch zukommt, streitige Gesetzstellen zu erklären. Die Ursache hiervon ist, weil, so wie bei den Juden die Bücher Mose, so auch bei den Türken der Koran, den bürgerlichen Gesetzcoder ausmachen, und alle nachherigen gesetzlichen Vorschriften sich auf denselben gründen. Die Türkische Clerisei, die vom Staate sehr unabhängig ist, hat ein ziemlich ausgebildetes hierarchisches System; und die Willkühr des Sultans wird ziemlich durch den Ulema eingeschränkt. Dieser muß, wenn jener etwas wichtiges unternehmen will, vorher den heiligen Beschluß (Fethwa) dazu abfassen, und Sanction ertheilen. Das allgemeine Oberhaupt ist der Mufti, welcher vom Großherrn eingesetzt wird: unter ihm stehen die Cadileskier, d. h. Directoren der geistlichen und gerichtlichen Geschäfte in einem großen Theile des Türkischen Reichs, deren es einen in Europa, einen in Asien, und einen minder mächtigen in Kairo giebt, und die den Patriarchen der ältern christlichen Kirche nicht unähnlich sind. Unter ihnen stehen die Mollas, in Provinzen und großen Städten, und unter diesen wieder die Cadis (s. d. Art. Molla und Cadi). Außer diesen giebt es noch Geistliche im strengern Sinne, die bloß Predigten, Cerimonien und Gebete halten, und Imans heißen; und zur Geistlichkeit werden noch, wie bei dem Katholiken die Mönche, so auch bei den Türken die vielerlei Classen der Derwische und die Emirs oder heilige Personen gerechnet (s. alle diese Art. an seinem Orte): letztere aber sind nicht an und für sich, sondern nur dann, wenn sie wegen ihrer ausgezeichneten Heiligkeit unter die Geistlichen aufgenommen werden, zur Clerisei zu rechnen.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 267-268.
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