[411] Wien, diese schöne und berühmte Hauptstadt und seit Max 1 die Residenz der Beyerrscher von Oestreich, in Niederöstreich auf einer kleinen Anhöhe am südlichen Ufer der Donau liegend, hat in ovaler Figur einen Umfang von vierthalb Meilen, in einer lachenden, üppigen, fast romantischen, von Flüssen und Bächen durchschnittenen und von herrlichen Bergen begrenzten, gesunden Gegend. Die eigentliche Stadt, mit 11 Basteien und andern regelmäßigen Fortificationen umgeben, von den Vorstädten in einer Zirkellinie eingeschlossen, und durch das Glacis (eine Esplanade mit Fuß- und Fahrwegen, Alleen und lachenden Wiesen) von ihnen getrennt, hat 1376 Gebäude aller Art (ohne die Kirchen), 10 Thore und 110 eben nicht breite und regelmäßige Gassen; dagegen die 21, nach andrer Zählung 32, Vorstädte 4900 Häuser fassen. Die Stadt enthält gegen 18 größere und kleinere öffentliche Plätze, unter welchen vorzüglich Erwähnung verdienen: der so genannte Hof, mit einer Säule der heiligen Maria geziert; der hohe Markt, ein längliches Viereck mit einem Tempel auf 4 korinthischen Säulen, die Vermählung Josephs und Mariens vorstellend; der Graben, der belebteste Platz in Wien, mit der 66 Fuß hohen Dreifaltigkeits-Säule; der neue Markt, ebenfalls mit Monumenten geziert; der Josephs-Platz, mit der kolossalen Statue Josephs II. zu Pferde in Römischem Costüme, 34 Fuß hoch, von Zauner gefertigt und am 24ten Nov. 1807 aufs feierlichste eingeweiht; der Stephans-Platz, bei der Stephans-Kirche, deren Thurm die reitzendste und vollständigste Ansicht von ganz Wien gewährt. Unter den sehr vielen großen Gebäuden zeichnen sich aus: die von der k. k. Familie bewohnte so genannte Burg, der gegen über: [411] die Reichskanzellei, eins der schönsten Gebäude von Deutschland; die k. k. Schatzkammer mit den kostbarsten und seltensten Edelsteinen (vorzüglich dem berühmten großen Florentinischen Diamant) und den sehenswürdigsten Kunstwerken alter und neuer Zeit; die Reitschule, für die schönste in ganz Europa gehalten; die Stephans-Kirche, ein Denkmahl jener kräftigen Gothischen Zeit, die ihren Charakter in erhabenen, majestätischen Monumenten der Nachwelt vorhält, gegründet 1144, seitdem aber öfters und vielfach verändert, 1468 zur bischöflichen Domkirche erklärt, in ihrem Innern feierlich düster mit 38 Altären und mehrern Grabmählern der k. k. Familie, des Prinzen Eugen etc.; in der Kirche selbst eine ihr eigne Schatzkammer, eine ungeheure Orgel etc. die Peterskirche, nach dem Muster der Peterskirche in Rom, die schönste und regelmäßigste in der Stadt. Außerdem sind noch 17 Kirchen in der Stadt, ohne die Bethäuser und Kapellen, 6 Mönchsklöster, 1 Nonnenkloster, von denen die Kirche und das Kloster der Kapuziner am wichtigsten ist, weil es die k. k. Todtengruft in einem langen, schwach erleuchteten Gewölbe enthält, mit 66 Grabstätten. Außerdem muß man noch das große Kunstwerk von Canova hieher rechnen: nehmlich das Grabmahl, welches der Herzog Albert von Sachsen-Teschen seiner verstorbenen Gemahlin, der Erzherz. Maria Christiana von Oestreich, in der Augustiner Hof-Pfarrkirche im Jahr 1806 errichten ließ; unstreitig eins der schönsten und prächtigsten Denkmähler. In der Vorstadt ist unter den 16 Kirchen die zu St. Carl, auf einer Anhöhe, die prächtigste und regelmäßigste von ganz Wien, welche Carl VI. bei ausgebrochner Pest 1713 zu bauen gelobte, zu bemerken, und unter den wichtigsten Gebäuden: der Marstall auf dem Glacis, 600 Fuß lang, 400 Pferde und das kostbare Pferdegeschirr des Hofs enthaltend; das Belvedere, von Prinz Eugen erbaut, mit der großen Gemählde-Gallerie und einem herrlichen Garten u. s. w. ohne der vielen fürstlichen und gräflichen prachtvollen Paläste, als des Schwarzenbergischen, Kaunitzischen, Lichtensteinischen, Auersbergischen etc. und der trefflichen Gärten und [412] Anlagen in der Vorstadt zu erwähnen. Ueber dieß ist Wien der Sitz der obersten Cabinetter, Collegien und Kanzelleien der ganzen Monarchie. Die Polizei-Anstalten sind gut und trefflich eingerichtet, und werden von einer 600 Mann starken Wache, die seit 1802 mit einer Division reitender Polizei Wache vermehrt ist, besorgt; die Beleuchtung der Straßen geschieht durch mehr als 3000 Laternen. Oeffentliche und Privat-Bäder giebt es mehrere, so wie auch herrliche Anstalten der Wohlthätigkeit, als: das Armeninstitut mit einem großen Capital, das Leih- oder Versetzamt, das Findel- und Waisenhaus, das Gebärhaus, das Taubstummen-Institut u. s. w. Die 1237 von Friedrich II. gegründete Universität, welche 1756 vom Baron Swieten eine neue Organisation erhielt, hat ein eignes chemisches Laboratorium, ein anatomisches Theater, eine reiche Sammlung anatomischer Präparate, eine Sternwarte mit den herrlichsten Instrumenten, eine Bibliothek, botanischen Garten, Naturalien-Sammlung u. s. f. Ueber dieß sind hier zwei Gymnasien, mehrere Normal- und Trivial-Schulen, eine Real-Handlungs-Akademie, das Theresianum, die berühmte medicinisch chirurgisch-Josephinische Akademie, mit allen Bedürfnissen reichlich ausgestattet und zugleich eins der prächtigsten Gebäude, die orientalische Akademie, wo man vorzüglich die Dollmetscher für Gesandschaften bildet, dann mehrere Mädchen-Pensionats und Schulen, ein Thierspital, eine Vieharznei-Schule u. s. w. alles preiswürdige Lehr- und Erziehungsanstalten. Arßer den schon genannten Bibliotheken der besondern Institute giebt es noch die k. k. Hof-Bibliothek mit den herrlichsten Alterthümern ausgeschmückt, gegenwärtig auf 200,000 Bücher, 12,000 Manuseripte und 26,000 Kupferstiche in 737 Bänden enthaltend, ohne der ansehnlichen Privatbibliotheken und Kunstsammlungen zu gedenken. Das Naturaliencabinett ist eins der größten und vollständigsten in Europa. Ausgezeichnet sind über dieß: die Gemählde Gallerie des Hofs, und die Sammlungen verschiedener Privatleute. Die Akademie der bildenden Künste, 1704 von Leopold I. gestiftet, hat große Verdienste[413] um die Deutsche Kunstbildung, und ist in blühendem Zustande. Noch sind die Militairanstalten, die Zeughäuser, von denen die Bürgerschaft ein eignes hat, Casernen, das Invalidenhaus, nicht minder das Merkantil und Wechselgericht, mehrere ausgezeichnete (als Stahl-, Porzellan-, Spiegel-) Fabriken, eine Zuckerraffinerie, ansehnliche Niederlagen entfernter Fabriken, die seit 1771 errichtete Börse, und eben so auch der seit 1797 angelegte neue Canal, um die Stadt mit Holz und Steinkohlen zu versorgen, merkwürdig. Unter den öffentlichen Spectakeln stehen die vielen Theater (nehmlich zwei Hof- und drei andere öffentliche Vorstadt-Theater), nicht minder die berühmten Feuerwerke im Prater von Stuwer, die vielleicht in Wien einzig sind, oben an; außerdem der neu errichtete prachtvolle Apollv-Saal, welcher mit außerordentlichen Kosten-Aufwand zu Anfange dieses Jahres eröffnet wurde; die öffentlichen Spazirgänge und Gartenanlagen, als: die so genannte Bastei, das Glacis, das Belvedere, der Augarten mit einem Umfange von 164,000 Quadrat-Klaftern, auf einer Donauinsel, von wo aus zwei Alleen in den so genannten Prater führen, und dann dieser letztere – wer hat nicht von dem berühmten Prater gehört, diesem schönen, großen Lustwalde, mit blühenden Wiesen, reitzenden Gebüschen und Alleen durchschnitten, nebst einem Fasanen-Garten und Anlagen für Hirsche und anderes Wild; gewiß dem interessantesten Vergnügungsorte und dem höchsten Tummelplatze der Wiener Welt!
Die Einwohner von Wien berechnet man auf 270,000, ohne die vielen Fremden aller Nationen, die sich täglich hier durchkreuzen, und duch ihre Nationaltrachten, so wie durch ihre Sprachen ein ungemein lebendiges Gewühl dem Beobachter darbieten. Als einen Anhang zur Bevölkerung, so wie als einen Beweis des Luxus kann man die Anzahl der Pferde, die sich auf 9500, und die der Hunde, die sich auf 30,000 beläuft, ansehn. – Die nahen und sehenswürdigen Umgebungen von Wien, als: Schönbrun, Hetzendorf, Laxenburg, Dornbach, Baden, Vöslau etc. machen[414] vollends diese Kaiser-Stadt zum reitzendsten Aufenthalte.
Wien soll übrigens, was dessen Geschichte anbelangt, von den Wenden gegründet, Windewon, (Wendenwohnung) geheißen haben, das die Römer in Vindebona übersetzten, die hier ein ordentliches Stand- und Cantonirungs-Lager hatten. Von den mancherlei Belagerungen, welche es ausgestanden, ist wohl die bedeutendste und bekannteste die Türkische 1529, von Solimann selbst mit 300,000 Mann unternommen, so wie auch die von 1683, welche jedoch beide wieder aufgehoben werden mußten. Bekannt ist die in unsern Tagen (im Novbr. 1805) von den Franzosen bewirkte Besetzung und Occupation der Stadt Wien, nachdem sie schon vorher im Jahr 1797 damit bedroht worden war, und ein allgemeines Aufgebot sich aufs muthigste zur Bewaffnung stellte. Der Friede zu Presburg befreite Wien nach einiger Zeit von diesem gewiß unerwarteten Besuch; und es gewinnt seitdem, im Genusse des Friedens, immer noch mehr an Schönheit.
Buchempfehlung
Das 1900 entstandene Schauspiel zeichnet das Leben der drei Schwestern Olga, Mascha und Irina nach, die nach dem Tode des Vaters gemeinsam mit ihrem Bruder Andrej in der russischen Provinz leben. Natascha, die Frau Andrejs, drängt die Schwestern nach und nach aus dem eigenen Hause.
64 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro