[125] Johann Jakob Bodmer war der Sohn eines Predigers, 1698 unweit Zürich geboren, wo er seine Jugend in ungestörtem Genuß der Natur verlebte, [125] die Bibel, Ovids Verwandlungen, und späterhin abentheuerliche Ritterromane las und aus ihnen die erste Nahrung für seinen Geist sog. Die alten Sprachen blieben ihm lange Zeit fremd, und er liebte die alte Literatur überhaupt mehr wegen des Inhalts, als wegen der Sprache. Ovid, Homer und Horaz wurden daher bald seine unzertrennlichsten Gefährten, an die sich die beliebten neueren Schriftsteller und Dichter seiner Zeit anschlossen. Von seinem Vater zur Theologie bestimmt, verbarg er lange seine innere Abneigung gegen diesen Stand, zu dem ihn überdies seine natürliche Schüchternheit untüchtig machte, bis sich jener endlich selbst davon überzeugte, und ihn zum Kaufmann bestimmte, und, da dieses Geschäft noch weit weniger der Neigung seines Geistes entsprach, ihn (gegen 1719) zurücknahm und seinem eignen Geiste die Freiheit des Studirens überließ. Jetzt drang der junge Bodmer in Gesellschaft weniger, aber erprobter Freunde tief in das Gebiet der alten und neuen Literatur. Bayle, Montaigne und der englische Zuschauer lehrten ihn Philosophie, Welt- und Menschenkenntniß, so daß er dem 1730 erhaltenen Lehrstuhl der helvetischen Geschichte und Politik gut vorstehen konnte. Zwar hatte er nicht viel Zuhörer, weil er nicht systematisch und nach strenger Schulmethode, sondern frei und mehr philosophisch und psychologisch beobachtend und beurtheilend, als treu erzählend und darstellend, vortrug. Im J. 1737 ward er Mitglied des großen Züricher Rathes, wo er zwar wegen seiner natürlichen Schüchternheit und aus Unvermögen im populären Ausdrucke nicht als öffentlicher Redner glänzen konnte, aber dem Staate dafür durch die freundschaftlichen und vertraulichen Gespräche und Unterredungen mit seinen Collegen sehr nützte. Nach dem Tode seiner Gattin und Kinder zog er sich auf ein Landgut zurück, genoß, nachdem er auch 1775 seine Professur niedergelegt hatte, bei seiner frugalen Lebensart einer festen Gesundheit und ungetrübten Heiterkeit des Geistes, und starb 1782 im 85sten Lebensjahre. Seinem Charakter nach war Bodmer das treuste Bild eines kräftigen, besonnenen, freiheitsliebenden [126] Schweizers; in seiner Lebensweise das Bild eines frommen Patriarchen. Gegen das Ende seines Lebens ward er immer heiterer, gesprächiger und freier im Denken und Schreiben, und söhnte sich nicht nur mit den, ehemals von ihm verdammten, scherzhaften Dichtern, sondern auch mit vielen literarischen Feinden aus. Merkwürdig endlich und segensreich sind Bodmers Verdienste um die deutsche Literatur. Er ist gewissermaßen der erste deutsche Kritiker im Felde der Kunst, der schönen Wissenschaften und Literatur; er bahnte den Weg, auf welchem späterhin Lessing ging, und widersetzte sich zuerst Gottsched und seinen Jüngern; hob, schützte und vertheidigte die aufblühenden Genies, Wieland, Gleim, Klopstock u. s. w., brachte alte vergeßne Dichter, als Canitz, Opitz, Wernicke und die Minnesänger wieder aus Licht, machte die Deutschen mit Miltons verlornem Paradiese bekannt, übersetzte den Homer und fuhr bis an sein Ende fort, mündlich und schriftlich das Wohl der deutschen Literatur zu pflegen. Er versuchte sich selbst als Dichter, z. B. in der Noachide, war aber, wie alle Kritiker, als eigner Schöpfer nicht glücklich. Es konnte übrigens nicht fehlen, daß er sich durch seine bisweilen wirklich harte und eigensinnige Kritik auch viele Feinde zuzog.