Bildung

[69] Bildung, im Allgemeinen, ist die Harmonie zwischen Geist und Gefühl im Worte, wie in der That. Gewöhnlich nimmt man Lebensart schon für Bildung, die doch nur ein Theil von dieser ist, die Beachtung nämlich des jederzeit Schicklichen und Nothwendigen. Auch Ausbildung ist nur ein Bestandtheil derselben; die Vervollkommnung seiner Kräfte in Bezug auf den gewählten Stand. Eine allgemeingiltige Bildung ist denkbar. Es ist gewöhnlich nichtssagend, wenn man Diesen oder Jenen einen gebildeten Menschen nennt. Mit der allgemeinen Bildung reichen wir im Leben nicht aus, wenn wir mit dem, was uns als moralischen Wesen überhaupt zukommt, nicht zugleich jene verbinden, die ich Ausbildung für den Beruf nannte. Auch das Weib hat sich für seinen Beruf zu bilden, womit schon gesagt ist, daß hier zwar allgemeine Grundsätze einer guten Erziehung, aber keine zum häuslichen Glücke hinreichende Bildung Statt finden könne. Denn, bildet sich das Mädchen für seinen Beruf, so ist das für die Ehe, oder, noch eigentlicher, für den bestimmten Gatten. Hieraus aber geht hervor, daß, bei der so großen Verschiedenheit männlicher Charaktere, auch die Ausbildung der Frauen verschieden sein müsse und daß von einer allgemeingiltigen schwerlich die Rede sein könne. Denn macht nicht der Gelehrte andere Forderungen an seine Gattin als der Gewerbsmann, andere der Soldat als der Landwirth? Kann es hierin also eine allgemeine Bildung geben? In diesem Sinne nicht, aber in einem andern. Es gehörte in das Gebiet der Unmöglichkeiten, alle denkbaren Charaktere des männlichen Geschlechtes und die aus ihnen hervorgehenden Wünsche und Forderungen aufzustellen, um denselben immer die einzeln entsprechende Ausbildung der Gattin gegenüber zu halten. Es genügt hierin Folgendes: Es kommt nicht darauf an, daß die Bildung der Gattin eine ausgedehnte sei, sondern vielmehr darauf, wie sie ihre[69] Ausbildung der ihres Gatten anzupassen verstehe, damit sich jede Schärfe seines Geistes glätte am Polirsteine ihres Gemüthes; sonst ist ihre Erziehung nur eine Nebenstimme. Kenntniß des Mannes ist das wichtigste Gesetz der Ehe für Frauen. Ihr Gefühl mag sie hierin leiten. Im Gefühle liegt der Gesammtwerth des Weibes; gäbe es eine allgemeine Bildung der Gattinnen, so wäre es die des Gefühls. Sich also daraus eine wissenschaftliche Beschäftigung und Pflicht zu machen, sein Gefühl zu erziehen, d. h. zu läutern und zu veredeln, dasselbe von allen Schlacken der Kindheiteindrücke, dem Eigendünkel und besonders der Empfindelei, zu reinigen, mit Ansichten vom Leben, wie es ist, zu stärken, ist der Brennpunkt weiblicher Bildung; dahin müssen sich alle Strahlen der Naturgaben richten, wenn die Gattin die Flamme der Liebe als ein heiliges Feuer im Tempel ihrer häuslichen Seligkeit für immer erhalten will.

B–l.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 2. Leipzig 1834, S. 69-70.
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