Flibustier

[150] Flibustier. Eine Gesellschaft kühner Seerräuber, welche im 17. Jahrhunderte ihr abenteuerlich verwegnes Wesen an den westindischen Küsten trieben, und diesen Namen wahrscheinlich von einer Art kleiner Fahrzeuge erhielten, deren sie sich anfänglich zu ihren Streifzügen bedienten. Aus ihrem Vaterlande vertriebene, oder freiwillig ausgewanderte Franzosen und Engländer bildeten den[150] Stamm dieser, auf der kleinen Insel la Tortue etablirten, Piratenrepublik. Das in der Nahe befindliche St. Domingo war schon seit 1610, nach der Ermordung König Heinrich's 11. von Frankreich, das Asyl Vieler, die der neuen Regierung kein Zutrauen schenkten, geworden, und als die Spanier sie 20 Jahre später von dort theils ganz vertrieben, theils in die Wildnisse jagten, ergriffen sie den verzweifelten Entschluß sich zu rächen. Mit beispielloser Tapferkeit griffen die unternehmenden Freibeuter auf ihren schlechten Fahrzeugen die größten Kauffahrteischiffe an, besonders solche, die Amerika's Gold und Silber nach Spanien überführen sollten, und da sie keine Furcht kannten, trugen sie oft den Sieg über eine der ihrigen bei weitem überlegene Macht davon, oder schlugen sich muthig durch ganze Geschwader. Der Schrecken, den sie einflößten, entmuthigte ihre Gegner um so mehr, je tolldreister er sie selbst machte, so daß sie nun Küstenlandungen unternahmen, und keine reiche spanische Stadt mehr vor ihren Plünderungen sicher war. Unter sich hielten sie musterhafte Mannszucht und theilten die gemachte Beute auf das Redlichste, wobei sogar die Anverwandten der etwa im Gefecht Gebliebenen treulich ihren Antheil erhielten. Ihre Sitten waren natürlich bei dem Gewerbe, das sie vereinte, roh, doch fehlte es ihnen nicht an einem gewissen ritterlichen Edelsinne und einer Art Religiosität, wie man sie wohl auch bei Italiens Banditen findet Nur der Gegenwart lebend suchten sie sich durch Schwelgereien für die ausgestandenen Mühseligkeiten und Gefahren zu entschädigen und diese, gleichwie die Einflüsse des Klima's, verminderten nach und nach ihre Zahl. Nachdem sie lange ihr Unwesen getrieben, traten auch Frankreich und England, die sich ihrer Thaten früher als eines Hindernisses für Spaniens wachsenden Reichthum freueten, feindlich gegen sie auf. Das 18. Jahrhundert erzählte nur noch von ihnen, sie selbst hatten aufgehört zu kriegen und die Welt durch die Verwegenheit ihrer Räubereien in Erstaunen zu setzen. Ein Zweig dieser berüchtigten Freibenter[151] waren die Boucanier auf St. Domingo. Sie lebten in einem fast wilden Zustande von der Jagd wilder Stiere, deren Fleisch sie nach Art der Eingebornen am Feuer rösteten; daher ihr Name. Durch die Vertilgung aller Stiere wurden die Gefürchteten zur Entfernung gezwungen; wer nicht das Land bebauen wollte, mußte nach la Tortue zu den Flibustiern übergehen. Das Leben und die Thaten dieser Letztern sind in bedeutenden französischen und deutschen Werken geschildert, doch möchten Frauen wohl die anziehende Erzählung, welche uns der geistreiche van der Velde, unter dem Namen jener längst verschollnen Piraten hinterlassen hat, am liebsten lesen.

F.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 4. [o.O.] 1835, S. 150-152.
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