[223] Pistor, Marie, eine talentvolle und beliebte deutsche Sängerin, wurde den 26. Nov. 1814 in Kassel geb., verwaisete frühzeitig, fand aber bei Verwandten und Freunden in Weimar liebevolle Unterstützung bei ihren Vorbereitungen zur theatralischen Laufbahn. Sie betrat die Bühne zuerst 1828 in Berlin im königstädter Theater. ging von da nach Magdeburg, wo sie sich bald zur ersten Sängerin emporschwang, wurde darauf in Leipzig bei dem damaligen k. Hoftheater engagirt, und erwarb, in ihrer Bildung rastlos fortschreitend, einen so ehrenvollen Ruf, daß ihr von Seiten der dresdner Intendanz ein Engagement neben der berühmten Schröder-Devrient an geboten wurde. In diese Zeit fällt ein tragischer Lebensabschnitt dieser Sängerin. Marie war in Leipzig die Braut eines wohlhabenden und geachteten Mannes, und eben im Begriff die Bühne zu verlassen und sich in das Privatleben zurückzuziehen, entriß ihr der Tod den Geliebten. Erschüttert durch dieses Ereigniß, entzog sie sich ein Jahr lang der Bühne und betrat, durch Verhältnisse veranlaßt, dieselbe erst später wieder in Dresden. Gegenwärtig befindet sie sich in Kassel, wo sie bei dem Hoftheater als erste Sängerin mit einem bedeutenden Gehalte engagirt ist. Ihre Stimme ist wohlklingend, biegsam und ausgebildet, ihr Vortrag geschmackvoll, ihre musikalische Bildung zeigt von Beruf und Fleiß. Eine liebenswürdige Persönlichkeit, so wie ein gewandtes Spiel, unterstützt ihre Leistungen, namentlich im heitern, naiven und sentimental-tragischen Genre. Ihre gelungensten Partien sind: Rosine (im Barbier), Anna (weiße Dame), Julie (Montecchi[223] und Capuletti), Henriette (Maurer), Zerline (Don Juan), Amazili (Jessonda), Myrrha (Opferfest) etc. Sie hat auf mehreren deutschen Theatern mit dem entschiedensten Beifalle Gastrollen gegeben.
n.