Taschenbücher

[32] Taschenbücher. Der Herbst erscheint; die Lieder des Waldes verstummen; der Nordwind jagt die salben Blätter von den Bäumen. Doch dafür erscheinen jene goldenen Blätter im zierlichsten Maroquin- oder Moiréekleide, jene buntschimmernden, frischblühenden Velinsträußchen mit den duftigen Liedern der Minne und Freundschaft Wie lustig wimmelt nun der Büchermarkt von allen Göttern und Göttinnen des Olymp, von Uranien und Orpheen, von Adrasteen und Minerven, die sehnsüchtig blicken nach milden Augensternen, nach sanft verlangenden Lippen; Amor drückt schalkhaft die Augen zu vor dieser goldenen Saat; Athene verläßt den Sitz der ernsten Weisheit und vertieft sich lächelnd in die Duodezirrgänge der Romantik; die strenge Diana läßt das Jagen im Tannenhorst und ergeht sich einsam am murmelnden Silberbach unter den würzigen Laubgängen der Poesie. Bienen gleich umschwärmen die tändelnden Genien, geschmückt mit dem Kranze kunstreicher Vignetten, die Toilettentische der Damen. Woher, fragt[32] der Fremdling, so plötzlich zu einer Zeit alle duftigen Liebes- und Dichterboten? Wundere dich, Fremdling nicht: aus dem Niedrigen blüht das Erhabene empor; die unscheinbare Wurzel birgt den Kelch der Rose und alle ihre süßen Düfte. Seit Jahrhunderten enthielten die Volkskalender, namentlich der »hinkende Bote« allerhand unterhaltende Anhänge. Dieser »hinkende Bote« aber sollte der Vorläufer jener leichtfüßigen, ätherbeschwingten Engelscharen sein, die nun in Deutschland, Frankreich und England, besonders im letztern Lande, in einem Kampfe auf Tod und Leben an Pracht und Eleganz mit einander wetteifern. In Paris erschien zuerst seit 1765 ein Musenalmanach, in dem das Beste des Ertrags der lyrischen Dichtkunst gesammelt war. Hierauf kamen in Deutschland im J. 1770 auf einmal zwei solche Sammlungen zum Vorschein. In Leipzig erschien ein »Almanach der Musen« bei Schwickert, dessen Herausgeber der Prof. Dr. Schmidt in Gießen war, und in Göttingen gaben, auf Anrathen Kästner's, Boie und Gotter einen Musenalmanach heraus, der auch den Titel »poetische Blumenlese« führte. Späterhin wurde Bürger der Herausgeber derselben, und Voß gab für sich allein einen Musenalmanach heraus. Auch Schiller besorgte eine solche Sammlung von 1796–1800, welche in ganz Deutschland mit Enthusiasmus aufgenommen wurde. Der gothaische Hofkalender mit der Genealogie der europ. Fürstenhäuser erschien zuerst 1764 und von 1766 an auch französisch. Ein außerordentlich großes Publikum hatte auch der göttinger Taschenkalender (von 1776–1813), vorzüglich durch Lichtenberg's Beiträge und seinen geistreichen Commentar zu den verkleinert darin mitgetheilten Hogarth'schen Kupferstichen. In neuester Zeit erblühte der Musenalmanach von Chamisso und Schwab, mehrere Jahre allein von ersterem herausgegeben, in Leipzig..– G. K. Claudius gab zu Leipzig von 1784 das »leipziger Taschenbuch für Frauenzimmer« heraus, und 1791 erschien zuerst der »Almanach,« oder »das Taschenbuch zum geselligen Vergnügen,« dessen Herausgeber von 1794 an der Hofrath Becker in Dresden war.[33] Diesen einfach gekleideten Toilettengeschenken folgten nun in dichtgedrängten Scharen T. von dem verschiedenartigsten Werthe, von denen im Laufe der Zeit viele gestorben sind, während andere noch immer blühen in ungeschwächter Jugendkraft. Unter den gelesensten deutschen der jetzigen Zeit nennen wir die »Urania« bei Brockhaus in Leipzig, die »Penelope« von Theodor Hell, das »Rheinische T.« in Frankfurt, das »T. der Freundschaft und Liebe« ebendaselbst, die »Cornelia« in Heidelberg, die »Alpenrosen« in Aarau, die »Rosen und Vergißmeinnicht« in Leipzig, das »Vergißmeinnicht« von K. Spindler, das »Immergrün« und »Huldigung den Frauen« in Wien, das »Vielliebchen« von Tromlitz, und von den neuesten die »Lilien« von Wachsmann und die »Helena« in Bunzlau mit trefflichen londoner Kupfern. Von den Almanachen dramatischer Spiele sind der von Kotzebue, fortgesetzt von Lebrun, sowie die von Kurländer, Castelli etc. eingegangen, und von den neuentstandenen ist es ungewiß, ob sie festen Fuß fassen werden.

S....r.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 10. [o.O.] 1838, S. 32-34.
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