Solipsismus

[407] Solipsismus (solus ipse, das Selbst allein) oder theoretischer Egoismus ist die Ansicht, das das eigene Ich allein das Seiende ist, daß alles Sein im eigenen Ich, im eigenen Bewußtsein beschlossen ist (extrem-subjectivistischer Idealismus). Alles ist nur Inhalt des eigenen Ich, und das Ich ist alles, es gibt keine Objectenwelt außer dem Ich, auch keine selbständigen, transcendenten Iche.

Im indischen Oupnekhat wird eine Art Solipsismus ausgesprochen: »Hae omnes creaturae in totum ego sum et praeter me ens aliud non est et omnia ego creata feci« (bei Schopenh., Parerg. II, § 13). – DESCARTES meint, nur problematisch-methodisch, die Außenwelt könne ein bloßer Traum sein (Princ. philos. I, 4. Medit. I). MALEBRANCHE bemerkt: »Les sensations... pourraient subsister sans qu'il y eut aucun objet hors de nous« (Rech. I, 1). Problematisch spricht dies gleichfalls FÉNELON aus: »Non seulement tous ces corps qu'il me semble apercevoir, mais encore tous les esprits, qui me paraissent en société avec moi... tous ces êtres, dis-je, peuvent avoir rien de réel et n'être qu'une pure illusion qui se passe toute entière au dedans de moi seul: peut-être suis-je moi seule toute la nature« (De l'ex. de Dieu p. 119 f.. vgl. Die Memoiren von Trévoux 1713, p. 992). – Solche Denkweise wird im 18. Jahrhundert »Egoismus« genannt. So von CHR. WOLF: »Ein Egoist ist zugleich ein Idealist und räumet demnach der Welt keinen weitern Raum ein als in seinen Gedanken« (Vern. Ged., Vorr.). »Idealistarum quaedam species sunt, qui nonnisi sui, quatenus nempe animalia sunt, existentiam realem admittunt, adeoque entia cetera, de quibus cogitant, nonnisi pro ideis suis habent« (Psychol. rat. § 38). So auch BAUMGARTEN (Met. § 392). MENDELSSOHN bemerkt: »Der Egoist, wenn es je einen gegeben, leugnet das Dasein aller Substanzen außer sich« (Morgenst. I, 9). Ähnlich auch TETENS (Philos. Vers. I, 377: vgl. PLATNER, Philos. Aphor. I, § 860). Eine Reihe von Argumenten gegen den »Egoismus« bringt AD. WEISHAUPT vor (Üb. Mat. u. Ideal. S. 96 ff.). KANT versteht unter »Solipsismus« den praktischen Egoismus, die »Selbstsucht« (Krit. d. prakt. Vern. S. 89). »Der logische Egoist hält es für unnötig, sein Urteil auch am Verstande anderer zu prüfen, gleich als ob er dieses Probiersteins (criterium veritatis externum) gar nicht bedürfe« (Anthropol. I, § 2. vgl. FRIES, Syst. d. Log. S. 478).

Nach SCHOPENHAUER kann der Solipsismus, der alle Erscheinungen außer dem eigenen Individuum für Phantome hält, als ernstliche Überzeugung »allein im Tollhause« gefunden werden (W. a. W. u. V. I. Bd., § 19). – Nach SCHUBERT-SOLDERN ist der Solipsismus theoretisch unwiderlegbar, indem jedes fremde Ich nur mein eigener Bewußtseinsinhalt, ein von mir Erschlossenes ist (Gr. ein. Erk. S. 83 ff.). Auch M. KEIBEL meint, der Solipsismus sei eine »unvermeidliche logische Consequenz«, praktisch aber unannehmbar, durch den Glauben an das fremde Ich zu ersetzen (Wert u. Urspr. d. philos. Transcend.[407] S. 68 ff.). Auf den Widerspruch, daß das »fremde« Ich, dasjenige, von dessen Erlebnissen ich nichts weiß, doch nur Inhalt meines Bewußtseins sein soll, macht W. JERUSALEM aufmerksam (Einl. in d. Philos.). Vgl. Idealismus, Ich, Object.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 407-408.
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