[391] Glaube (Glauben) ist eine Art des Fürwahrhaltens, der Überzeugung, und zwar 1)- Meinung (s. d.), 2) das starke, gefühlsmäßige Zutrauen zur Wahrheit eines Urteils, die auf subjectiven Gründen beruhende Gewißheit, das Vertrauen zu fremder Urteilsfähigkeit. Der Glaube enthält ein Gefühlselement (Zutrauen, Erwartungsgefühl) und ein Willensmoment (Wille zum Glauben: der Wille, der allen Zweifel hemmt, alles dem Glauben Widerstreitende zurückdrängt). Der Glaube anticipiert oder ersetzt das Wissen; er ist ein Product der persönlichen geistigen Verarbeitung des Erfahrungsinhaltes. Vom Autoritäts- ist der Vernunftglaube zu unterscheiden. Der religiöse Glaube ist festes inniges Vertrauen zu dem von einer religiösen Autorität Gelehrten oder zur Forderung eines Göttlichen seitens unseres eigenen Gemütes und Intellectes. Glaube bedeutet im Unterschied vom Glauben als Act auch den Glaubensinhalt.
Die antike Skepsis, die ein Wissen für unmöglich hält, erklärt für das praktische Leben den Glauben (pistis) für zureichend (Sext. Empir. adv. Math. VII, 158). Das Christentum wertet den (religiösen) Glauben aufs höchste, macht ihn sogar zu einer Cardinaltugend (s. d.). Der Glaube steht höher als Erkenntnis, bildet den Weg zu ihr. Nach dem Neuen Testament ist der Glaube (pistis) elpizomenôn hypostasis, pragmatôn elenchos ou blepomenôn (Hebr. 11, 1). Nach CLEMENS ALEXANDRINUS ist der Glaube prolêpsis dianoias (Strom. IV, 4, 17), prolêpsis hekousios, theosebeias synkatathesis (l.c. II, 2, 8). Er ist kyriôteron tês epistêmês, kai estin autês kritêrion (l.c. II, 4, 15). Eine Willenszustimmung enthält der Glaube auch nach AUGUSTINUS. Glauben ist »cum assensione cogitare« (De praed. sanct. 5). Der Glaube ist der Weg zur Erkenntnis (De trin. XV, 2). Er besteht in einer übernatürlichen Erleuchtung (De pecc. merit. I, 9). Die Außenwelts-Existenz wird geglaubt (Confess. VI, 7; De civ. Dei XIX, 18). HUGO VON ST. VICTOR erklärt den Glauben als »certitudinem quandam animi de rebus absentibus, supra opinionem et infra scientiam constitutam« (De sacr. I, 10, 2). Der Glaube enthält die »cognito«, das, »quod fide creditur« (»materia fidei«) und das »credere« (l.c. II, 10). Nach HILDEBERT VON LAVARDIN ist der Glaube »voluntaria certitudo absentium supra opinionem et infra scientiam constituta« (Tract. theol.c. 1 ff.). ABAELARD[391] bemerkt: »Fides dicitur existimatio non apparentium« (Theol. Christ. II, 3). THOMAS erklärt den Glauben als »actus intellectus, secundam quod movetur a voluntate ad assentiendum« (Sum. th. II. II, 4, 2 c). Auch DUNS SCOTUS betont den Willenscharakter des Glaubens; er unterscheidet »fides acquisita« und »fides infusa«. RAYMUNDUS LULLUS erklärt: »Fides est habitus a Deo datus per quem intellectus intelligit super vires suas ea, quae per suam naturam attingere non potest« (Phil. princ. C. 3). – Nach L. VIVES ist der Glaube »assensus quidam firmus« (De an. II, p. 76).
Als Zustimmung zu nicht bewiesenen Sätzen aus subjectiven Gründen faßt den Glauben LOCKE auf (Ess. IV, ch. 18, § 2; § 7). CHR. WOLF erklärt: »Fides dicitur assensus, quem praebemus propositioni propter auctoritatem dicentis« (Log. § 611). »Durch den Glauben verstehe ich den Beifall, den man einem Satze gibt um des Zeugnisses willen eines andern« (Vern. Ged. von d. Kr. d. m. Verst.9, S. 145). BAUMGARTEN unterscheidet »fides sacra obiective« (Glaubensinhalt) und »fides sacra subiective« (Glaubensact) (Met. § 758).
Glaube als natürliche Überzeugung von der Realität eines Objects, als »belief« (im Unterschiede von »faith«) spielt in der englischen Philosophie eine nicht unbedeutende Rolle. Schon COLLIER bemerkt: »I believe, and am very sure, that this seeming quasi externity of visible objects is not only the effect of the will of god..., but also that it is a natural and necessary condition of their visibility« (Clav. univ. p. 6 f.). HUME bezeichnet als Glauben (belief) ein gefühlsbetontes, lebhaftes Vorstellen, das Existentialbewußtsein. »Belief is nothing but a more vivid lively, forcible, firm, steady conception of an object, than what the imagination alone is ever able to attain. – Belief consist in the manner of their (ideas) conception, and in their feeling to the mind« (Inquir. sct. V, p. 42). Der Glaube besteht in »a feeling or sentiment«, in einer bestimmten Art, wie uns Vorstellungen berühren (Treat. Anh. S. 354). »Belief« ist »an idea related to or associated with a present impression« (Treat. III, sct. 7, p. 394). Er verleiht den Vorstellungen größere Energie und Lebhaftigkeit (l.c. III, sct. 7). Er ist eine Vorstellungsweise (l.c. S. 131; vgl. S. 1333). Den Glauben liegt Gewohnheit (s. d.) zugrunde. Nach REID ist der Glaube ein unbeschreibbarer einfacher geistiger Act (Inquir. C. 2, sct. 5). Mit jeder Wahrnehmung ist ein Glaube (als »natürliches und primitives Urteil«) all eine Existenz verknüpft (l.c. C. 2, sct. 3).
KANT will durch den Nachweis der Unzulänglichkeit des Erkennens für transcendente (s. d.) Obiecte dem Glauben an diese (an Gott u.s.w.) Platz machen (Kr. d. r. Vern. S. 26). Glauben ist subjectiv zureichendes Fürwahrhalten (Krit. d. r. Vern. S. 622), ein praktisches Fürwahrhalten (l.c. S. 623), ein »Fürwahrhalten aus einem. Grunde, der zwar objectiv unreichend, aber subjectiv zureichend ist« (Log. S. 101; vgl. S. 102), »die moralische Denkungsart der Vernunft im Fürwahrhalten desjenigen, was für die theoretische Erkenntnis unzulänglich ist« (Krit. d. Urt. § 91). »Aller Glaube ist... ein subjcetiv zureichendes, objectiv aber mit Bewußtsein unzureichendes Fürwahrhalten« Was heißt: sich im Denken orientieren? S. 132). Glauben ist eine »Annehmung, Voraussetzung«, »die nur darum notwendig ist, weil eine objective practische Regel des Verhaltens als notwendig zum Grunde liegt, bei der wir die Möglichkeit der Ausführung und des daraus hervorgehenden Objectes an sich zwar nicht theoretisch einsehen, aber doch die einige Art der Zusammenstimmung derselben zum Endzweck subjectiv erkennen« (Üb. d. Fortschr. d. Met. S. 142). Die praktische [392] Überzeugung oder der »moralische Vernunftglaube« ist oft fester als Wissen (Log. S. 110). Die Glaubensgewißheit ist moralisch, nicht logisch, »und da sie auf subjectiven Gründen (der moralischen Gesinnung) beruht, so muß ich nicht einmal sagen: es ist moralisch gewiß, daß ein Gott sei etc., sondern ich bin moralisch gewiß etc. Das heißt: der Glaube an einen Gott und eine andere Welt ist mit meiner moralischen Gesinnung so verwebt, daß, so wenig ich Gefahr laufe, die erstere einzubüßen, ich ebensowenig besorge, daß mir der zweite jemals entrissen werden könne« (Kr. d. r. Vern. S. 626). Der »pragmatische« Glaube ist ein »bloß zufälliger« (l.c. S. 623); von ihm sind der »notwendige Glaube« (l.c. S. 623) und der »doctrinale Glaube« (l.c. S. 624) zu unterscheiden, zu dem auch der Glaube an Gott (s. d.) gehört. »Vernünftig« ist ein Glaube, insofern »der letzte Probierstein der Wahrheit immer die Vernunft ist« (WW. IV, 347). »Vernunftglaube« hingegen ist ein der Vernunft entspringender Glaube, ein »Postulat« (s. d.). Glauben ist ein »beharrlicher Grundsatz des Gemüts«, ein »Vertrauen« (Kr. d. Urt. § 91 ff.). Der »Kirchenglaube« ist Offenbarungsoder »historischer« oder »statutarischer« Glaube (Rel. innerh. d. Gr. d. bl. Vern.). »Glaubenssachen« werden a priori für praktisch-ethische Zwecke gedacht, sind aber für das Erkennen nicht zureichend (Kr. d. Urt. § 91 ff.). Vgl. E. SÄNGER, Kants Lehre vom Glauben 1903.
JACOBI sieht im »Glauben« eine Quelle übersinnlicher Erkenntnis. Der Glaube ist die unmittelbare, gefühlsmäßig-vernünftige Erfassung der Wirklichkeit (WW. II, 109 ff.). Er lehrt eine »Glaubensphilosophie«.
KRUG bemerkt: »Das Führwarhalten aus subjectiven Gründen heißt Glauben (credere) und der ihm entsprechende Überzeugungsrad Glaube (fides)« (Fundam. S. 235). »Wenn die subjectiven Gründe der Überzeugung für alle überzeugungsfähigen Subjecte zureichen, so ist der Glaube allgemeingültig, d.h. er kann von jedermann vernünftigerweise angenommen werden« (l.c. S. 246; vgl. Handb. d. Philos. I, 80 ff.). Nach J. G. FICHTE findet an Realität überhaupt, sowohl die des Ich, als des Nicht-Ich, lediglich ein Glaube statt (Gr. d. g. Wiss. S. 298). Glaube ist das »freiwillige Beruhen bei der sich uns natürlich darbietenden Ansicht«, ein »Entschluß des Willens, das Wissen gelten zu machen« (Bestimm. d. Mensch. S. 92). Logischer Glaube ist nach FRIES »die Annahme einer Meinung, nur weil mich ein Interesse treibt, in Rücksicht über mein Urteil zu bestimmen« (Syst. d. Log. S. 421). Metaphysisch ist der Glaube eine »Überzeugung ohne Beihilfe der Anschauung« (l.c. S. 423). Nach E. REINHOLD ist der Glaube (als Meinen) »ein mehr oder weniger zweifelndes Fürwahrhalten, welches durch unser Interesse für den Inhalt der Behauptung Unterstützung erhält« (Theor. d. menschl. Erkenntnisverm. II, 124). Nach SCHELLING heißt Glauben »dasjenige mit Zuversicht für unmöglich halten, was unmittelbar unmöglich, was nur vermöge einer Folge und Verkettung von Umständen und Handlungen, kurz, was nur durch mehr oder weniger zahlreiche Vermittlungen möglich ist« (WW. I 10, 183). »Glaube ist... nicht, wo nicht zugleich Wollen und Tun ist« (ib.). Der Glaube ist »ein wesentliches Element der wahren Philosophie. Alle Wissenschaft entsteht nur im Glauben« (ib.). Nach ESCHENMAYER ist der Glaube »eine der Seele eingeborene Function«, »eine Gewißheit aus Offenbarung«, »unmittelbar gewiß« (Psychol. S. 118 f.). Nach ST. MARTIN ist der Glaube ein Verlangen, nach F. BAADER »die Zuversicht in das Gelingen meines Tuns« (WW. I, 239), nach SCHLEIERMACHER ein »Überzeugungsgefühl« (Dialekt. S. 95).[393] GÜNTHER versteht unter Glauben das Erkennen des Wesens als Grundes der Erscheinungen.
Nach FECHNER ist alles Allgemeinste, Höchste, Letzte, Tiefste Glaubenssache (Tagesans. S. 17). LOTZE erklärt: »Alle unsere Beurteilung der Wirklichkeit beruht auf dem Unmittelbaren Zutrauen oder auf dem Glauben, mit dem wir der Forderung des Denkens, die das eigene Gebiet desselben überschreitet, allgemeine Gültigkeit zuerkennen« (Log. S. 569). VOLKELT sieht im »Glauben« eine Seite des Denkens, die »mystische« Grundlage desselben (Erfahr. u. Denk. S. 184). Nach G. GERBER ist der Glaube »eine vertrauensvolle Überzeugung, an welche wir durch unser Gefühl uns qebunden finden« (Das Ich S. 339, 414). RIEHL versteht unter »Glauben« (belief) »das Gefühl, das die Setzung der Empfindung bewirkt und begleitet« (Philos. Kritic. II 1, 44). Physiologisch entsteht er aus dem Zusammenwirken von Empfindung und Innervationsgefühl (l.c. S. 45). Nach DROBISCH ist der Glaube »ein Fürgewißhalten des an sich Ungewissen und nur höchstens Wahrscheinlichen« (N. Darst. d. Log.5, § 156). HAGEMANN versteht unter Glauben »das Fürwahrhalten auf Grund eines fremden Zeugnisses« (Log. u. Noet.5, S. 161). Zu unterscheiden sind natürlicher und übernatürlicher Glaube (l.c. S. 165). Nach WUNDT ist Glaube »das subjective Fürwahrhalten« (Log. I, 370). Die niederen Formen des Glaubens haben ihren Grund in unseren Affecten der Neigung und Abneigung (l.c. S. 372). Die höhere Form des Glaubens entspringt aus sittlichen Forderungen (ib.; vgl. S. 377). J. PAYOT sieht den Grund des Glaubens im Wollen. »Croire c'est se retenir d'agir.« Der Glaube ist die Affirmation der Wahrheit oder Falschheit (De la croyance 1896, p. 173 u. a.). Nach HÖFFDING ist der (religiöse) Glaube »eine subjective Continuität der Gesinnung und des Willens, die darauf ausgeht, eine objective Continuität des Daseins festzuhalten« (Religionsphilos. S. 105). R. AVENARIUS rechnet den Glauben zu den »Epicharakteren«, durch die ein E-Wert (s. d.) modificiert, bestimmt wird (Kr. d. r. Erf. II, 142 f.). Nach SCHUPPE enthält jedes Urteil ein Glauben an dessen Wahrheit (Log. S. 175). JODL betrachtet den Glauben als Ergebnis complexer psychischer Vorgänge (Lehrb. d. Psychol. S. 630). W. JERUSALEM versteht unter Glauben ein »bewußtes, gefühltes Fürwahrhalten« (Urteilsfunct. S. 199), ein Gefühl, das »Bewußtsein der Übereinstimmung eines Urteils mit unseren bisherigen Erfahrungen, mit unserer ganzen Weltanschauung« (Lehrb. d. Psychol.3, S. 124; Urteilsfunct. S. 200). Der Glaube bildet ein Element des Urteilens.
Einen intuitiven Glauben (belief = Überzeugungsgefühl) an die Existenz der Objecte (s. d.) gibt es nach J. ST. MILL (Log. I, 64; Examinat. p. 403 ff.). Das Urteil (s. d.) ist ein »Glaube« (so auch BRENTANO). Hierher gehört auch der »logische Beifall« HERBARTS, welcher in einem »Anerkennen« besteht, mit dem ein Gefühl eigener Art verbunden ist, »worin der Zwang der Evidenz und die Befriedigung eines Anspruches sich vermischen« (Lehrb. zur Psychol3, S. 65). Nach W. JAMES ist »belief« »the sense of reality«, »a sort of feeling more allied to the emotions than to anything else« (Princ. of Psychol. II, 282). Der Glaube beruht auf einem inneren Bedürfnisse (Wille zum Glaub. S. 60 ff.). »Wir fordern eine Beschaffenheit des Universums, zu der unsere Gefühlserregungen und Betätigungstriebe passen« (l.c. S. 91). »Glauben heißt etwas für richtig halten, hinsichtlich dessen in theoretischer Einsicht noch Zweifeln möglich ist.« Der Glaube besteht in der »Bereitwilligkeit, für eine Sache zu handeln, deren glücklicher Ausgang uns nicht im voraus garantiert wird« 6. e. S. 98). Vgl.[394] STOUT, Anal. Psychol. I, 234 ff., 260 ff.; der Glaube ist gehemmte Activität des Geistes. Über den religiösen Glauben handelt u. a. A. DORNER, Gr. d. Religionsphilos. S. 249 ff. Vgl. Gott, Object, Realität, Religion, Wissen.
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