Eckhart, Johann

[147] Eckhart (Eckehard), Johann, geb. um 1260 bei Gotha, wurde Dominikaner, studierte in Köln und Paris, lehrte dort mit Unterbrechungen, auch in verschiedenen Städten Deutschlands, wurde 1307 Generalvikar, war von 1325 an in Köln, wegen seiner Lehren von der Kirche verfolgt; gest. 1327.

E. ist der bedeutendste christliche Mystiker. Vom Neuplatonismus, von Augustinus, Dionysius Areopagita u. a. beeinflußt, auch scholastische Lehren benutzend, will er den Inhalt des Glaubens nicht antasten, sondern vertiefen und lebendig zu Gemüte führen. Das Höchste ist ihm die Vereinigung der Seele mit Gott, die Schauung Gottes durch Versenkung in die Tiefen der eigenen Seele, in der sich für den, der sich von den Schranken des Ichs geistig losmacht, Gott selbst offenbart. Unser Erkennen Gottes ist Selbsterkenntnis Gottes in uns, welche erfolgt, wenn wir uns von aller Vielheit und Körperlichkeit abscheiden, um in der Schauung Gottes zu ruhen. Durch ein Nichtwissen erkennen wir Gott (vgl. Nicolaus Cusanus); wir müssen uns aufgeben, ersterben, in die »Abgeschiedenheit« gehen, um mit Gott eins zu werden (Ekstase). Dann wird Gott in unserer Seele geboren, nur er ist und wirkt in uns und wir sind vergöttlicht. Die Seelenkraft, welcher dies gelingt, nennt E. das »Fünklein«, in Erinnerung an die »scintilla«, als welche die »Synteresis« bei den Scholastikern (s. Albert) bezeichnet wird. Dieses »Licht« der Seele macht ihr die Zeit zur Ewigkeit, geht über alles diskursive Erkennen als Einheitsschauen hinaus.

Der Begriff Gottes und dessen Verhältnis zur Welt hat bei E. trotz alles Christentums und trotz des Festhaltens an der Dreieinigkeit zuweilen eine Wendung ins Pantheistische (oder Panentheistische). Persönlichkeit hat Gott nicht als die vor der Welt über alle Gegensätze erhabene »Gottheit«, sondern erst im und mit dem Akte der (ewigen, zeitlosen) Schöpfung. Die Gottheit, die »ungenaturte Natur«, ist vor der Schöpfung im Nichts das Nichts, sich selber unbekannt. Gott ist nichts von dem, was existiert, und zugleich die Allheit des Seins, das Sein aller Dinge, in allen Dingen »weselich«, »würkelich«. Erst in der »genaturten Natur« kommt Gott zum Bewußtsein seiner selbst, wird er sich als Dreieiniger selbst offenbar, indem er durch die Liebe (den heil. Geist) sich (als Vater) mit sich selbst (als Sohn) ewig zusammenschließt.[147]

Gottes zeitloses Schaffen ist ein Gebären seines Sohnes, der ein Wort und ein Bild des Vaters ist. Gott ist in allen Dingen wie in den Seelen, in denen er sich selbst gebiert, in allein liebt er sich selbst, indem er alle Kreaturen liebt, die alle nach ihm streben. Ohne Bezug auf Gott sind die Dinge, deren Urbilder (Ideen) ewig in Gott waren, nichts, ohne Wesen; ohne die Welt war die Gottheit nicht Gott. Die Selbstentfaltung Gottes ist also zugleich der (zeitlose) Prozeß der Weltentstehung, und wie Gott in seiner Dreiheit immer wieder sich als Einheit zusammenfaßt, zu sich zurückkehrt, so kehrt alle Vielheit der Dinge zur Einheit und Ruhe in Gott zurück, strebt alles nach dem »Entwerden«, nach der Vergöttlichung.

In demütiger Liebe sich Gott hinzugeben, ist denn auch das rechte, sittliche Verhalten des Menschen; aus dieser lauteren Gesinnung, aus dieser Gottinnigkeit fließen dann von selbst die guten Werke, die nicht an sich wertvoll, aber auch nicht zu verachten sind. Die Seele des Menschen ist eine immaterielle »Form« des Leibes, ein »einfaltig« (einfaches) Wesen, die in Gott präexistierte und zu ihm zurückkehrt. Gott ist Mensch geworden, damit wir Gott werden, wie wir in Christus alle nur ein Mensch sind und unsere Seele in ihren Kräften das Abbild Gottes ist, besonders in ihrem vernünftigen Erkennen.

Schüler E.s sind Tauler, Suso, ferner der Verfasser der »deutschen Theologie« (14. Jahrh., von Luther entdeckt), Ruysbroek u. a.

Die deutschen Schriften E.s finden sich bei F. PFEIFFER, Deutsche Mystiker, Bd. II, 1857; 2. A. 1906. – Die lateinischen Schriften z. T. bei DENIFLE, Arch. f. Liter, u. Kirchengesch. d. Mittelalters II, 1886. – Meister E.s myst. Schriften, hrsg. von G. Landauer, 1903; hrsg. von H. Büttner, 1903 f. – Schriften und Predigten, hrsg. von Büttner, 1902 f. – Vgl. AD. LASSOS, Meister E., 1868.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 147-148.
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