Feuerbach, Ludwig

[169] Feuerbach, Ludwig, geb. 28. Juli 1804 in Landshut als Sohn des Kriminalisten Anselm von Feuerbach. 1823 studierte er in Heidelberg Theologie bei dem Hegelianer Daub, 1834 ging er nach Berlin, wo er besonders Hegel[169] hörte, 1828 wurde er Privatdozent für Philosophie in Erlangen. Nachdem er sich öfter vergeblich (wegen seiner Schrift »Gedanken über Tod u. Unsterblichkeit«, 1830) um eine Professur beworben, verheiratete er sich mit Bertha Löwe und nahm (1836) seinen Wohnsitz im Dorfe Bruckberg (zwischen Ansbach und Nürnberg). Dezember 1848 bis März 1849 hielt er im Heidelberger Rathaussaal Vorlesungen. In sehr ungünstigen Verhältnissen lebend, übersiedelte er 1860 nach dem Rechenberg bei Nürnberg und starb dort 13. September 1872.

F. ist der Begründer des neueren Naturalismus und Anthropologismus, indem er an die Stelle der Verehrung übernatürlicher Wesenheiten die Natur in ihrer Unendlichkeit setzt. Ausgegangen von Hegel, tritt er in Gegensatz zum absoluten Idealismus, indem er als das Wirkliche nicht die Idee, nichts Abstraktes, Übersinnliches, sondern das konkrete Sein setzt, welches wir äußerlich und innerlich wahrnehmen. So vertritt Feuerbach einen Positivismus, Empirismus und Realismus. Insofern F. den Gegensatz von Spiritualismus und Materialismus durch Betonung des Einheitlichen im Menschen zu überwinden sucht, ist seine Lehre »Anthropologismus«. »Gott war mein erster Gedanke, die Vernunft mein zweiter, der Mensch mein dritter und letzter Gedanke.«

In der Schrift über »Tod und Unsterblichkeit« ist F. noch idealistischer Pantheist. Die Realität des Geistes ist das Ewige. Der Mensch als Individuum ist nicht unsterblich, sein Tod ist ein wahrhafter Tod, bedeutet die Auflösung im unendlichen Sein. Die Unsterblichkeit kommt nur dem allgemeinen Geist zu und dem Ganzen der Menschheit, in welchem wir als Erinnerung weiterleben.

Die Hauptbedeutung Feuerbachs liegt in seiner Religionsphilosophie, deren Methode die psychologisch-kritische ist. Scharf betont F. den Gegensatz zwischen Theologie und Wissenschaft; erstere hat den Willen, letztere die Idee zur Grundlage. In der Religion spielt die Phantasie, das Irrationale eine große Rolle; das Dogma als solches ist vernunftwidrig, der Glaube hat sein eigenes Prinzip. Es gilt, den Inhalt des religiösen Glaubens auf seine psychologische Wurzel zurückzuführen, zu zeigen, daß alle Theologie »Anthropologie« ist. Die Religion ist aber deshalb nicht eine wertlose Illusion. »Die Religion ist der Traum des menschlichen Geistes. Aber auch im Traume befinden wir uns nicht im Nichte oder im Himmel, sondern auf der Erde – im Reiche der Wirklichkeit, nur daß wir die wirklichen Dinge nicht im Lichte der Wirklichkeit und Notwendigkeit, sondern im entzückenden Scheine der Imagination und Willkür erblicken.« Die Religion ist »das Bewußtsein des Menschen von seinem, und zwar nicht endlichen, beschränkten, sondern unendlichen Wesen«. Der Mensch kann nicht über sein wahres Wiesen hinaus. Wie er denkt und gesinnt ist, so ist sein Gott. »Das Bewußtsein Gottes ist das Selbstbewußtsein des Menschen.« Das göttliche Wesen ist »das Wesen des Menschen, abgesondert von den Schranken des individuellen, d.h. wirklichen, leiblichen Menschen, vergegenständlicht, d.h. angeschaut und verehrt als ein anderes, von ihm unterschiedenes, eigenes Wesen«.

Gott ist »das vergötterte Wesen des Menschen«, das »offenbare Innere,[170] das ausgesprochene Selbst des Maischen«. Die Götter sind Wunschwesen, »die als wirklich gedachten, die in wirkliche Wesen verwandelten Wünsche des Menschen«. In den Dogmen liegen lauter realisierte Wünsche vor. Die Abhängigkeit vom All, aus der die Religion entspringt, zeitigt diese als ein Mittel, unseren Glückseligkeitstrieb zu befriedigen. Gott ist die Liebe, die unsere Wünsche erfüllt; diese Liebe ist die hypostasierte Liebe des Menschen zu sich selbst. »Die Liebe ist die wahre Einheit von Gott und Mensch, von Geist und Natur.« Der Glaube ist das Bewußtsein dessen, was dem Menschen heilig ist und so ist Gott für den Menschen »das Kollektaneenbuch seiner höchsten Empfindungen und Gedanken«. »Gott ist das von aller Widerlichkeit befreite Selbstgefühl des Menschen.« »Die Grunddogmen des Christentums sind erfüllte Herzenswünsche – das Wesen des Christentums ist das Wesen des Gemüts.« »Christus ist die Allmacht der Subjektivität, das von allen Banden und Gesetzen der Natur erlöste Herz.« »Die Religion ist das Verhalten des Menschen zu seinem eigenen Wesen – darin liegt ihre Wahrheit und sittliche Heilkraft – , aber zu seinem Wesen nicht als dem seinigen, sondern als einem ändern, von ihm unterschiedenen, ja entgegengesetzten Wesen – darin liegt ihre Unwahrheit, ihre Schranke, ihr Widerspruch mit Vernunft und Sittlichkeit«. Der wertvolle Kern der Religion ist die Liebe zur Menschheit als Gattung, zum reinmenschlichen Wesen, In der Liebe ist Erlösung des Menschen gegeben. Jeder hat Religion, der »einen Zweck hat, einen Zweck, der an sich wahr und wesenhaft ist«. Endzweck ist »die Einheit von Natur und Geist im Menschen«. »Vernunft, Liebe, Willenskraft sind Vollkommenheiten, sind die höchsten Kräfte, sind das absolute Wesen des Menschen als Menschen und der Zweck seines Daseins.« Die Vollkommenheit und Unendlichkeit der Gattung ist das Göttliche im Menschen.

F. ist ein Gegner der »absoluten«, »immateriellen« Spekulation. »Ich brauche zum Denken die Sinne, vor allem die Augen, gründe meine Gedanken auf Materialien, die wir uns stets nur vermittelst der Sinnentätigkeit aneignen können, erzeuge nicht den Gegenstand aus dem Gedanken, sondern umgekehrt den Gedanken aus dem Gegenstande, aber Gegenstand ist nur, was außer dem Kopfe existiert.« »Ich bin Idealist nur auf dem Gebiete der praktischen Philosophie.« »Kurz, die Idee ist mir nur der Glaube an die geschichtliche Zukunft, an den Sieg der Wahrheit und Tugend.« Theoretisch aber gilt nur der Realismus und der (kritische, die Leistung des Denkens betonende) »Sensualismus«. F.s Philosophie macht zu ihrem Prinzip »das wahre ,Ens realissimum', den Menschen, also das positivste Realprinzip«. Mit dem Wirklichen, Bestimmten, Endlichen hat es die Philosophie zu tun, mit dem Sinnen-fälligen, dem Konkreten. »Die Philosophie ist die Erkenntnis dessen, was ist.« Das Wirkliche ist das »Sinnliche« (im weitesten Sinne: das in letzter Linie Anschauliche). Daß Sinnliche ist die »wahre, nicht gedachte und gemachte, sondern existierende Einheit des Materiellen und Geistigen«. »Nur ein sinnliches Wesen ist ein wahres, ein wirkliches Wesen.« Auch das Ich ist ein sinnliches Wesen; der Leib in seiner Totalität ist mein Ich, mein Wesen selber. Geistiges und Körperliches sind nur zwei Seiten desselben Dinges, des[171] Organismus. Sinnlich – d.h. für die Sinne des Naturforschers, für den Blick des Philosophen gegeben – ist auch die Natur als das Unendliche, von dem wir abhängig sind. Die menschlichen Empfindungen haben metaphysische Bedeutung, wir erfassen durch sie das physische Sein wie die psychischen Zustände unserer Mitmenschen. Unsere Empfindungen sind objektiv bedingt. Der Begriff des Objektes ist ursprünglich der Begriff eines anderen Ichs. Die Liebe ist der wahre Beweis vom Dasein äußerer Dinge. Raum und Zeit sind objektive Formen der Existenz der Dinge.

Die Wissenschaft ist »das Bewußtsein der Gattungen«. »Wahr ist, was mit dem Wesen der Gattung übereinstimmt, falsch, was ihr widerspricht. Ein anderes Gesetz der Wahrheit gibt es nicht.« Übereinstimmung mit den Nebenmenschen ist das erste Kennzeichen der Wahrheit, weil die Gattung das letzte Maß der Wahrheit ist. Die Wissenschaft ist »ein gemeinschaftlicher Akt der Menschheit«. Die Vernunft, ist ein Kulturprodukt, ein Produkt der menschlichen Gesellschaft. »Nur in der Rede, einem gemeinsamen Akte, entsteht die Vernunft. Fragen und Antworten sind die ersten Denkakte. Zum Denken gehören ursprünglich zwei.« – »Gemeinschaftliches Leben nur ist wahres, in sich befriedigtes, göttliches Leben.«

Die (altruistische) Moral kann nur aus der Verbindung von Ich und Du abgeleitet werden, aus der beide umfassenden Glückseligkeit. »Mein Recht ist mein gesetzlich anerkannter Glückseligkeitstrieb, meine Pflicht ist der mich zu seiner Anerkennung bestimmende Glückseligkeitstrieb des ändern« (Werke X, 66).

Von F. beeinflußt sind sein Bruder Friedrich Feuerbach (Grundzüge d. Religion d. Zukunft. 1843-45), K. Beyer. K. Grün, K. N. Starcke, L. Knapp, Moleschott, D. Fr. Strauß, K. Marx u. a., ferner W. Bolin, Fr. Jodl u. a.

SCHRIFTEN: De ratione una, universali, infinita, 1828. – Gedanken über Tod u. Unsterblichkeit (anonym), 1830; 3. A. 1876. – Geschichte d. neueren Philosophie, 1833; 2. A. 1844. – Darstellung, Entwicklung n. Kritik d. Leibnizschen Philosophie, 1837. – P. Bayle, 1838; 2. A. 1844. – Über Philos. n. Christentum, 1839. – Das Wesen des Christentums (Hauptwerk), 1841; auch in der Univ.-Bibl. – Vorläufige Thesen zur Reform der Philos., 1842. – Grundsätze d. Phil. d. Zukunft, 1843. – Das Wesen der Religion, 1845-2. A. 1849, 1908. – Vorlesungen über d. Wesen d. Religion. Theogonie, 1857. – Gottheit, Freiheit n. Unsterblichkeit. – Sämtliche Werke, 1846-83; hrsg. von Bolin u. Jodl 1903 ff. – Briefe von und an L. F., hrsg. von Bolin, 1904. – Vgl. K. GRÜN, L. Feuerbach, 1874. – FR. ENGELS, L. F., 1888. – W. BOLIN. F., 1891. – FR. JODL, L. F., 1904 (Frommans Klassiker der Philosophie). – A. KOHUT, L. F., 1909.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 169-172.
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