Lucretius Carus

[434] Lucretius Carus, Titus, geb. 99 v. Chr., römischer Ritter, gest. 55 v. Chr. (angeblich durch Selbstmord).

L. hat die Lehren Epikurs systematisch verarbeitet und im Dienste der Aufklärung gegenüber Aberglauben, Furcht vor den Göttern und dem Jenseits verwendet. Eine streng naturalistisch-mechanistische Weltanschauung wird in seinem Lehrgedichte geboten. Die Religion hat schädliche Folgen, die Furcht vor den Göttern schreckt und beunruhigt den Menschen. Entstanden ist der Glaube an die Götter aus den Visionen des Traumes und aus Unkenntnis der Ursachen der Naturordnung. Die Philosophie zeigt, daß die Götter den Lauf der Welt nicht beeinflussen und daß der Mensch weder vor ihnen noch vor Höllenstrafen Furcht zu hegen braucht, da die Seele mit dem Leibe vergeht. Der Grundsatz der Kausalität ist das oberste Prinzip alles Geschehen: Nichts wird aus nichts und zu nichts; denn sonst könnte aus allem alles entstehen (»Nullam rem e nilo gigni.« »Haud igitur redit ad nilum res ulla, sed omnes discidio redeunt in corpora materiai.«). In der Welt entsteht nichts absolut Neues und nichts schwindet dahin (Erhaltung der Materie: »Nam neque adaugescit quicquam neque deperit inde«). Alle Veränderung ist Verbindung und Trennung der Atome, Bewegung derselben im leeren Raume, der unendlich ist und unzählige Welten birgt. Die Atome sind unendlich an Zahl und haben verschiedene Form; sie verbinden sich nach verschiedenen Verhältnissen miteinander. Die Bewegung der Atome, die senkrecht im Raume fallen, weicht ein wenig von der geraden Richtung ab (»decellere paulum«); dadurch entsteht der Stoß der Atome aneinander, die Bildung der Körper und Welten, dadurch ist auch die Willensfreiheit des Menschen ermöglicht. Empfindung haben nur bestimmte Komplexe bestimmter Formen von Atomen. Aus den feinsten, beweglichsten, runden, glatten Atomen besteht die Seele, welche durch den Körper verbreitet ist; der feinste Teil der Seele ist der »Geist« (Verstand) mit dem Sitze in der Brust. Im Tode löst sich die Seele in ihre Atome auf; da das Ich dann nicht mehr da ist, kann der Tod für dasselbe gleichgültig sein. Die Sinnesempfindung beruht auf leichten und dünnen Bildern, die sich von den Dingen ablösen und die Sinnesorgane reizen. Von den Organismen haben sich jene erhalten, welche nützliche Eigenschaften wie List, Stärke oder Schnelligkeit besaßen, während die Mißgeburten zugrunde gingen (vgl. Darwin)., Allmählich erst sind die Menschen zur Kultur und sozialen Ordnung aufgestiegen. Die wahre Frömmigkeit besteht nicht im Kultus, sondern darin, »beruhigt im Geist hinschauen zu können auf alles«.[434]

Schriften: L. ist Verfasser eines philosophischen Lehrgedichtes »De rerum natura«; hrsg. 1850, 1886 (Bernays) u. ö.; deutsch (von Knebel) in der Univers. Bibliothek. – Vgl. C. MARTHA, Le poëme de Lucrèce, 4. éd. 1885. – MASSON, L., 1910.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 434-435.
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