Proklos

[572] Proklos, geb. 410 n. Chr. in Byzanz, erzogen zu Xanthos in Lykien (daher »der Lykier«), Schüler der Neuplatoniker Olympiodoros, Plutarch von Athen und Syrianos, lehrte (seit etwa 450) in Athen, wo er 485 starb. Er ist ein tiefer und scharfer Denker von großer dialektischer Kraft, zugleich aber dem Wunderglauben, der Theurgie, Magie u. dgl. zugeneigt. P., der ein außerordentlich fruchtbarer Schriftsteller von großer Gelehrsamkeit war, ist der Systematiker des späteren Neuplatonismus, gewissermaßen auch der »Scholastiker« desselben.

P. treibt die Transzendenz des Gottesbegriffes noch weiter als Plotin und Jamblich, auch schiebt er noch mehr Mittelwesen zwischen dem göttlichen Urwesen und den Sinnendingen ein. Dieses Urwesen ist seinem Wesen nach nicht erkennbar und sagbar, es ist der Urgrund des Seins und des Guten, nicht bloß Eines, sondern auch noch über die Einheit erhaben, überseiend (anaitiôs aition). Die Emanation der Wesen aus dem Absoluten und auseinander faßt P. als eine Art dialektischen Prozeß auf, als »triadische« Entwicklung; aus der Ursache, in der das Erzeugte vermöge seiner Ähnlichkeit verharrt (monê), tritt es infolge seiner Anderheit, Unähnlichkeit heraus (proodos) und wendet sich ihm dann wieder zu (epistrophê), indem es sich mit ihm verähnlicht. Dieser Dreischritt wiederholt sich so lange, bis das niederste Gebilde (die Materie) erzeugt ist, also mit abnehmender Vollkommenheit der Erzeugnisse. Aus der Ureinheit gehen die Henaden (henades), die göttlichen Einheiten hervor, die miteinander verknüpft sind und verschiedenen Rang haben. Die Henaden sind noch überseiend und übergeistig. Aus ihnen emaniert die Trias (Dreiheit) der intelligiblen (noêton), intelligibel-intellektuellen (noêton hama kai noeron) und intellektuellen (noeron) Welt (Theol. Platon. III, 24), entsprechend den Begriffen Güte und Sein (ousia), Kraft und Leben (zôê) und Denken oder Wissen. Die beiden ersten Welten gliedern sich wieder triadisch (Grenze, peras; Unbegrenztes, apeiron; Gemischtes, mixton usw.; drei Triaden: der gedachte, der gedachte und denkende, der denkende Gott). Auf der Grenze beruht alle Vereinigung, auf dem Unbegrenzten alle Vielheit. Die intellektuelle Welt (nous) gliedert sich in sieben »Hebdomaden« (Siebenheiten), deren Glieder ebenfalls Gottheiten sind. Die Ideen (ideai) gehören dem Intelligiblen an.

Die Seele geht aus dem Intellektuellen hervor. Sie ist ewig, unkörperlich und ungeteilt (pan to pros heauto, epistreptikon asômaton estin), lebendig, unsterblich, sie hat Teil an der göttlichen Einheit und Vernunft und erkennt die Dinge vermöge der ihr innewohnenden Prinzipien derselben; sie kann sich zur Anschauung der göttlichen Henaden und der Ureinheit selbst erheben. Die Materie ist unproduktiv, leidend, sie wird durch geistige Formen (logoi) gestaltet.

Schüler des P. sind Marinos, Asklepiodotos, Ammonios, Zenodotos, Isidoros aus Alexandria, Hegias, Hermeias, Damaskios.

SCHRIFTEN: Erhalten sind: In Platonis Timaeum Commentarius, 1534, 1847, 1903-06. – In Platonis rem publicam, 1899-1901. – In Theologiam Platonis, 1618. –Excerpta ex Procli scholiis in Platonis Cratylum, 1820, 1908. – In Platonis Parmenidem,[572] 1840. – In primum Euclidis elementorum librum Commentarii, 1873. – Institutio Theologica, 1583, 1618, 1820-22. – De providentia et fato; de malorum subsistentia, u. a. – Opera, ed. V. Cousin, 6 Bde., 1820-25, in einem Band: 1864. – Vgl. MARINUS, Vita Procli, 1700, 1850 (in der Ausgabe des Diog. Laërt. von Cobet). – A. BERGER, P., 1840.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 572-573.
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