[625] Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph (von), geb. 27. Januar 1775 in Leonberg (Württemberg) als Sohn eines Geistlichen, war 1790 Student im theologischen Seminar zu Tübingen, wo er mit Hölderlin und Hegel Freundschaft schloß und mit ihnen Plato, Leibniz und Kant studierte. 1792 promovierte er mit einer lateinischen Abhandlung über den Ursprung des Bösen in der Menschenwelt. Von 1794 an betätigte sich Sch. schriftstellerisch auf philosophischem Gebiete. In Leipzig, wo er Hofmeister zweier junger Edelleute war, studierte er (1796-97) auch Naturwissenschaft und Mathematik. 1798 erhielt er durch Goethes Vermittlung eine Professur in Jena. Hier verkehrte er mit Goethe, Schiller, Fichte, ferner mit den Romantikern (A. W. Schlegel u. a.), von denen er beeinflußt wurde und die er selbst beeinflußte. 1803 ging Sch.[625] als Professor nach Würzburg. 1806 nach München, wo er Mitglied der Akademie und Direktor der Kunstakademie wurde. 1820-26 dozierte er in Erlangen, 1827 wurde er Professor an der neuen Münchener Universität. Seit 1813 hatte Sch. fast nichts mehr geschrieben, während er vorher viel veröffentlicht hatte; eine Wandlung vollzog sich in ihm. 1841 berief ihn Friedrich Wilhelm IV. als Professor nach Berlin, wo er den Hegelianismus durch eine christliche Philosophie beseitigen sollte. Aber der Erfolg, den Sch. früher gehabt hatte, blieb nun aus, die »positive« Philosophie Sch.s fand keine rechte Beachtung. Dies und ein zu seinen Ungunsten ausgefallener Prozeß mit dem Theologen Paulus bewog Schelling zum Rücktritte von der Lehrtätigkeit. Am 20. Dezember 1854 starb Sch. im Bade Ragaz (Schweiz).
Sch., der schon als Knabe eine große Begabung zeigte, war eine künstlerisch-religiös, spekulativ veranlagte Natur, voll Phantasie, verbunden mit oft außerordentlicher Gestaltungskraft, die sich vielfach in einer schönen Schreibweise Ausdruck verschafft. Was ihm aber fehlte, war die Fähigkeit des strengen und straffen, zähen, systematischen Denkens. Er war für Anregungen sehr empfänglich, ließ sich durch Ideen leicht enthusiasmieren, und machte, unter dem Einflüsse fremder Gedankenelemente, immer wieder Ansätze zur Neugestaltung seiner Anschauungen. So lassen sich bei ihm mehrere (etwa vier) Perioden unterscheiden, in welchen er sich zunächst von Kant und Fichte, dann auch von Herder, Goethe, Spinoza, Leibniz, Bruno, von Plato, Plotin, J. Böhme, von verschiedenen Theosophen (darunter Baader), auch von der Gnostik und Scholastik (auch zum. Teil in der Methode der Darstellung) beeinflussen ließ. Stete verriet Sch. eine große Kühnheit des Denkens und der Phantasie, der spekulativen Anschauung und Konstruktion, die neben vielem Abstrusem und Wirrem viele originelle und dabei fruchtbare Elemente birgt. Nachdem der Aufschwung der empirisch-realistischen Denkweise lange Zeit die Schellingsche Philosophie ganz zurückgedrängt hatte, kommt man heute wieder öfters auf Schelling zurück.
Die Weltanschauung Sch.s hat sich im Laufe der Zeit verschiedentlich gestaltet, sie hat eine Entwicklung durchgemacht. Aber der Kern derselben bleibt doch schließlich die Verschmelzung des Idealismus mit dein Spinozismus (bzw. dem Emanatismus) zu einem Identitätssystem, welches objektiver Idealismus oder (wie Sch. selbst sagt) »Ideal-Realismus« ist. Bleibend ist auch bei allen Wandlungen Sch.s der Charakter seiner Philosophie als einer organischen Weltanschauung, nach welcher das All ein innerlich-lebendiger, einheitlicher Zusammenhang ist, der in jedem Teil zum Ausdruck kommt und in den sich jeder Teil, jedes Ding und Geschehen einreiht.
Der Gedanke des Absoluten ist der Leitgedanke Sch.s, d.h. der Gedanke der allem Denken und Sein zugrunde liegenden unbedingten Einheit als Gegenstand des absoluten (über alles Endliche hinausgehenden) Wissens. Die Philosophie ist eine »absolute Wissenschaft«, ist »Wissenschaft des Absoluten«. Sie ist Streben, am »Urwissen« teilzunehmen, geht auf das einzig Wahre und (wahrhaft) Wirkliche, Seiende: Das Ganze, Eine, Unendliche, die Totalität, wie die Vernunft sie erfaßt, (vgl. Spinoza: »sub specie aeternitatis«).[626]
»Der Standpunkt der Philosophie ist der Standpunkt der Vernunft, ihre Erkenntnis ist eine Erkenntnis der Dinge, wie sie an sich sind, d.h. wie sie in der Vernunft sind. Es ist die Natur der Philosophie, alles Nacheinander und Außereinander, allen Unterschied der Zeit und überhaupt jeden, welchen die bloße Einbildungskraft in das Denken einmischt, völlig aufzuheben.« Nach einem obersten Prinzip ist zu suchen. Dieses findet Sch. zunächst (mit Fichte) im absoluten Ich, in welchem Setzen und Gesetztes zusammenfallen. Subjekt und Objekt setzen ein solches Ich als Identitätsprinzip zusammen. Das absolute Ich ist das, was schlechterdings niemals Objekt werden kann (Vom Ich, S. 12). Es bringt sich durch absolute Kausalität denkend hervor, enthält alles Sein, alle Realität, da es wie seine Attribute unendlich ist, ist die einzige Substanz, die »immanente« Ursache alles dessen, was ist. Seine Form ist die Identität. Nur das Ich verleiht allem, was ist, Einheit und Beharrlichkeit. Das absolute Ich wird durch intellektuelle Anschauung erfaßt. Sie ist ein Vermögen, uns selbst unter der Form der Ewigkeit anzuschauen, in uns das Ewige, Absolute zu erfassen. Diese Anschauung ist der Punkt, »wo das Wissen um das Absolute und das Absolute selbst eins ist«. Vermittelst der intellektuellen Anschauung schaut sich der Geist unmittelbar als produzierend an. Das (absolute) Ich produziert (unbewußt, vermittelst der produktiven Einbildungskraft) das Objekt, ein »Ding an sich« gibt es nicht (Zur Erläuter. d. Idealism. der Wissenschaftslehre). Die Natur ist ein Produkt des unendlichen Geistes, der im Raum, Zeit und Materie seine eigenen Gebilde anschaut. Diese Gedanken führt Sch. in den »Ideen zu einer Philosophie der Natur«. (1797; 2. A. 1803) weiter aus, an welche sich die Schriften »Von der Weltseele« und »Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie« mit »Einleitung zu seinem Entwurf eines Systems der Naturphilos.« anschlössen.
Damit ist Sch. in seine naturphilosophische Periode eingetreten. Die Naturphilosophie Sch.s tritt der empirischer quantitativ-mechanistischen Erkenntnisweise der Natur gegenüber als »spekulative Physik« auf dynamischer Grundlage, methodisch als »höhere Erkenntnis« der Natur auf. Die Naturphilosophie betrachtet die Natur, wie sie in Gott ist, sie erhebt sich über die einzelnen Erscheinungen und Produkte zur Idee dessen, worin sie eins sind und aus dem sie als gemeinschaftlichem Quell hervorgehen. Der Zweck der Naturphilosophie ist nicht Anwendung der Philosophie auf Naturwissenschaft, sondern, »die Naturwissenschaft selbst erst philosophisch entstehen zu lassen«. In apriorisch-konstruktiver Weise werden die Naturphänomene gedeutet. Die Tendenz aller Naturwissenschaft ist hierbei, wie Sch. später bemerkt, »von der Natur aufs Intelligente zu kommen«, die Natur in Intelligenz aufzulösen. Die Natur ist nach Sch. der »sichtbare Geist«, unbewußte Intelligenz, die erst im Menschen sich ganz zum Objekt wird. In der Natur, der einen Seite des »Absoluten«, ist das ganze Absolute erkennbar. Sie ist die »Hülle, in welche der Akt des ewigen Produzierens sich kleidet«. Dieses ewige Handeln des Absoluten, Identischen hat zwei Seiten, eine reale und ideale. »Die reale Seite jenes ewigen Handelns wird offenbar in der Natur; die Natur an sich oder die ewige Natur ist eben der in das Objektive geborene Geist, das in die Form[627] eingeführte Wesen Gottes.« Die erscheinende Natur ist das Symbol oder der Leib der schaffenden Natur. In den ersten naturphilosophischen Schriften führt Sch. zunächst alle Naturphänomene auf anziehende und abstoßende Kräfte zurück; auch betont er die Duplizität und Polarität der Erscheinungen. Das Ursprüngliche in der Natur ist das Leben, die Welt ist ein Allorganismus, dessen Prinzip die Weltseele ist, welche die »Kontinuität der anorganischen und der organischen Welt unterhält und die ganze Natur zu einem allgemeinen Organismus verknüpft« (Einfluß von Platons »Timaeus« und von Hölderlin). Die Natur ist in ihren ursprünglichen Produktionen organisch, wirkt mit blinder, bewußtloser Intelligenz, die identisch ist mit dem bewußten Geist. Der Charakter der Natur ist Produktivität, die aber zugleich gehemmt und so Anschauungsobjekt wird. Sie kann aber als unendlich nie ganz zur Ruhe kommen und so besteht überall »der Trieb einer unendlichen Entwicklung«. Jede ursprüngliche Aktion ist individuell, ist eine »Naturmonade«. Alle Materie ist ein »bestimmter Grad von Aktion«, ihre Qualitäten sind Aktionen und der erfüllte Raum ist das »Phänomen eines Strebens«. In der Natur herrscht das Prinzip der »Steigerung«, ein »Trieb und Drang nach immer höherem Leben«. Die Stufenfolge aller organischen Wesen hat sich durch »allmähliche Entwicklung einer und derselben Organisation« herausgebildet. Das Individuum ist hier nur Mittel, Zweck ist die Gattung. Die unorganischen, toten und bewußtlosen Gebilde sind nur mißlungene Versuche der Natur, sich selbst zu reflektieren, nur eine »unreife Intelligenz«. In der Welt steckt ein »Riesengeist«, der »versteinert« ist, aber nach Bewußtsein ringt; im Menschen findet er sich, sich selbst entfremdet, und könnte doch zu sich selber sagen, er sei der Geist, der sich in allem bewegt. In allem ist nur eine Kraft, ein Wechselspiel und Leben (vgl. Goethe, G. Bruno).
Das Gegenstück zur Naturphilosophie ist die Transzendentalphilosophie; läßt erstere das Ideelle aus dem Realen entspringen, so leitet die letztere das Reale, die Natur aus dem Produzieren, dem schöpferischen Handeln des Geistes ab. Das Ideelle oder Subjektive und das Reale (Reelle) oder Objektive sind die beiden »Pole« des Absoluten und die Transzendentalphilosophie hat nun die Aufgabe, »vom Subjektiven als vom Ersten und Absoluten auszugehen und das Objektive aus ihm entstehen zu lassen«. Alles Wissen beruht auf der »Übereinstimmung eines Objektiven mit einem Subjektiven«. Diese Übereinstimmung ist zu erklären und zwar hier vom Subjektiven aus. Die transzendentale Betrachtungsart, erblickt das Angeschaute nur durch den Akt des Anschauens, geht auf das geistige Produzieren des Objektiven, auf das »Handeln« des Geistes, auf das »sich selbst Objekt-werden des Subjektiven«, auf das »Wissen überhaupt«. Die Transzendentalphilosophie zerfällt in theoretische, praktische und in die Philosophie der Kunst. Das höchste Problem der Transzendentalphilosophie ist: Wie können die Vorstellungen zugleich als sich richtend nach den Gegenständen und die Gegenstände als sich richtend nach den Vorstellungen gedacht werden? Nur dadurch, daß zwischen beiden Welten eine neue »vorherbestimmte Harmonie« besteht, und diese selbst ist nicht denkbar, wenn nicht »die Tätigkeit, durch welche die objektive Welt produziert[628] ist, ursprünglich identisch ist mit der, welche im Wollen sich äußert, und umgekehrt«. Die Tätigkeit, welche im freien Handeln mit Bewußtsein produktiv ist, muß im »Produzieren der Welt« ohne Bewußtsein produktiv sein. Die Natur als Ganzes ist zweckmäßig, ohne zweckmäßig erklärbar zu sein und die Philosophie der Naturzwecke, die Teleologie, ist der Vereinigungspunkt der theoretischen und praktischen Philosophie, der im Ich die Kunstphilosophie entspricht.
Die theoretische Philosophie erfaßt, wie alle transzendentale Betrachtungsweise, durch den »inneren Sinn« das »Handeln der Intelligenz nach bestimmten Gesetzen« sie reflektiert dieses Handeln in »intellektueller Anschauung«, einer Art ästhetischen Sinnes. Die Identität des Denkens und des Objekts, welche gesucht wird, findet sich im absoluten Ich, in dem, was sich selbst zum Objekt macht aber kein Objekt, keine Sache, kein Ding ist, sondern eins ist mit dem Denken selbst, »reiner Akt«, »reines Tun«. Es ist intellektuelle Anschauung, weil es durch das Wissen von sich selbst erst entsteht, »Subjekt – Objekt« ist. Das absolute Ich ist nichts Individuelles, sondern der Akt des »Selbstbewußtseins überhaupt«. Das reine Selbstbewußtsein ist ein Akt, der außerhalb aller Zeit liegt und alle Zeit erst konstituiert. Es ist nicht, weil es das Sein selbst ist, es gibt allen Dingen das Dasein, trägt sich selbst, erscheint objektiv als das ewige Werden, subjektiv als das »unendliche Produzieren«. Es ist Freiheit, das Sein aber nur die »aufgehobene Freiheit«, Ausdruck einer gehemmten Freiheit, unsere freie Tätigkeit, die im Wissen gefesselt wird. Durch den »absoluten Akt« des reinen Selbstbewußtseins ist das Ich und alles für das Ich Seiende gesetzt in einer »absoluten Synthesis«. Das Ich schaut seine Begrenztheit als Affektion eines Nicht-Ich an, es empfindet. Der Grund aller Realität der Erkenntnis ist der von der Anschauung unabhängige Grund der Begrenztheit der Ich-Thätigkeit. Die Anschauung schafft aus Tätigkeit und Leiden ein gemeinschaftliches Produkt, zu dem auch Raum und Zeit als Formen der Objekte gehören. Die (produktive) Anschauung ist schon intellektuell, der erste Schritt des Ichs zur Intelligenz. In der Anschauung ist der Gegenstand selbst unmittelbar gegenwärtig, er wird nicht erst erschlossen. Der Lichtstrahl z.B. ist eins mit dem Sehen, ist das ursprüngliche Sehen selbst. Der Ausdruck des Gleichgewichtes entgegengesetzter Tätigkeiten des Geistes erscheint als Materie, die aus (Expansiv- und Attraktiv-) Kräften besteht. Die Momente in der Konstruktion der Materie entsprechen den Akten der Intelligenz, sind eigentlich drei Momente in der Geschichte des Selbstbewußtseins, so daß »alle Kräfte des Universums zuletzt auf vorstellende Kräfte zurückkommen«. Die Materie ist in der Tat »geronnener Geist« (Hemsterhuis), »der Geist im Gleichgewicht seiner Tätigkeiten angeschaut«, der »erloschene Geist«. Das Objekt ist nur »fixierte« Zeit. Die Kategorien (Kausalität usw.), deren ursprünglichste die der Relation ist, sind »Handlungsweisen, durch welche uns erst die Objekte selbst entstehen«. Die Substanz entsteht durch die Fixation der Zeit, sie ist das Beharrende in der Zeit. Der Raum ist die »angehaltene Zeit«, die Zeit der »fließende Raum«. Im Raum ist ursprünglich keine Richtung, daher sind, wenn einmal Richtung in ihn kommt, alle Richtungen in ihm.[629] Das Universum entsteht dem Ich vermöge des ursprünglichen Streites (der Duplizität) des Selbstbewußtseins, welches selbst zur Intelligenz sich entfaltet, die durch ihre früheren Akte sich selbst bindet. Sie muß sich selbst in der Sukzession ihrer Vorstellungen anschauen, insofern diese in sich selbst zurückläuft und diese in sich selbst zurückkehrende Sukzession ist – fixiert – die Organisation, die »erstarrte Sukzession«, eine »Anschauungsart der Intelligenz«. Bedingung des Selbstbewußtseins ist, daß ich eine Tätigkeit von Intelligenzen außer mir anschaue, weil es Bedingung ist, daß meine Tätigkeit sich auf ein bestimmtes Objekt richte. Nur dadurch, daß Intelligenzen außer mir sind, wird mir die Welt überhaupt objektiv. Daß Objekte wirklich außer mir existieren, davon kann ich nur dadurch überzeugt werden, daß sie von Intelligenzen außer mir angeschaut werden. »Für das Individuum sind die anderen Intelligenzen gleichsam die ewigen Träger des Universums.« Die gemeinschaftliche Welt der Intelligenzen ist das Urbild, dessen Übereinstimmung mit meinen Vorstellungen allein Wahrheit ist.
Damit sind wir schon in der praktischen Philosophie, wo das Ich als bewußt tätig, als wollend auftritt. Die Wechselwirkung zwischen Intelligenzen ist Bedingung der Freiheit. Die Einschränkung der Tätigkeit eines jeden behufs der Freiheit gewährleistet das Recht als ein höheres Naturgesetz. Die Geschichte ist ein sukzessives Realisieren eines Ideals; den Vernunftwesen ist die universelle rechtliche Verfassung als Problem gegeben. Die moralische Weltordnung ist als Wirkung aller Intelligenzen, sofern sie eine solche Ordnung wollen, zu erzeugen. In der Geschichte wird die Rechtsververfassung allmählich verwirklicht, welche Freiheit und Notwendigkeit verbindet. In ihr offenbart sich das Absolute, die »absolute Identität«, das »ewig Unbewußte« als die ewige Sonne im Reich der Geister, die unsichtbare Wurzel, wovon alle Intelligenzen nur die Potenzen sind, der Grund der Harmonie zwischen dem Objektiven und dem Subjektiven. In der Geschichte ist ein Geist, der in allen dichtet, durch jede Intelligenz handelt. »Die Geschichte als Ganzes ist eine fortgehende allmählich sich enthüllende Offenbarung des Absoluten.« »Der Mensch führt durch seine Geschichte einen fortgehenden Beweis von dem Dasein Gottes.« Gott ist nie, wenn Sein das ist, was in der objektiven Welt sich darstellt; wäre er, so wären wir nicht, aber er offenbart sich fortwährend. Drei Perioden gibt es da: die tragische, wo das Herrschende als Schicksal, als blinde Macht auftritt; die Periode der Offenbarung des Absoluten als Naturgesetz, das die Freiheit zwingt; einem Naturplan zu dienen; die Periode der Vorsehung. »Wann diese Periode beginnen werde, wissen wir nicht zu sagen. Aber wenn diese Periode sein wird, dann wird auch Gott sein.«
Was in der Erscheinung der Freiheit und in der Anschauung des Naturprodukts getrennt existiert, nämlich Identität des Bewußten und Bewußtlosen im Ich und Bewußtsein dieser Identität, fällt im Kunstprodukt zusammen. Der Grundcharakter desselben ist eine »bewußtlose Unendlichkeit«, welche ganz zu entwickeln kein endlicher Verstand fähig ist. Jede ästhetische Produktion geht aus vom Gefühl eines unendlichen Widerspruches, welches durch das[630] Kunstwerk befriedigt wird. In diesem sind die beiden Tätigkeiten, welche zuerst getrennt waren, vereinigt und es wird so durch das Kunstwerk ein »Unendliches endlich dargestellt«, worin die Schönheit liegt (Idealistische Gehaltsästhetik). Kunst und Wissenschaft haben dieselbe Aufgabe, aber ein Genie gibt es nur in der Kunst. Die Kunst ist die Objektivität der intellektuellen Anschauung selbst; durch sie wird ein unendlicher Gegensatz in einem endlichen Produkt aufgehoben. Die Kunst ist das »einzige und wahre und ewige Organon zugleich und Dokument der Philosophie«, sie ist das Höchste, weil sie »das Allerheiligste gleichsam öffnet, wo in ewiger und ursprünglicher Vereinigung gleichsam in einer Flamme brennt, was in der Natur und Geschichte gesondert ist und was im Leben und Handeln ebenso wie im Denken ewig sich fliehen muß«. Die Natur selbst ist ein »Gedicht«. Die Philosophie ist von der Poesie geboren und kehrt in sie zurück. Das Ziel der Kunst ist die »Vernichtung des Stoffes durch Vollendung der Form«. Die absolute Schönheit ist die urbildliche Schönheit der Idee. Das Erhabene ist die Einbildung des Unendlichen ins Endliche. Das Tragische liegt dort, wo der Held, der durch Verhängnis schuldig wird. im Momente des größten Leidens zur höchsten Befreiung gelangt.
Den Standpunkt der Identitätsphilosophie formuliert besonders die »Darstellung meines Systems« (1801). Das Absolute, die »absolute Vernunft«, in der wir alles erkennen, wie es an sich ist, die in allem eins und identisch ist, der gemeinsame Grund von Natur und Geist, ist an sich die »Indifferenz« von Subjekt und Objekt, Ideellem und Reellem, das, was zu beiden Gegensätzen die Möglichkeit hat, an sich aber über allen Gegensatz und Unterschied erhaben ist. Das Absolute ist die lebendige Identität des Subjektiven und Objektiven, »eine Identität«, das »gleiche Wesen des Subjektiven und Objektiven«. Gott und das Universum sind nur verschiedene Ansichten eines und desselben; Gott ist das Universum von der Seite der Identität betrachtet, er ist alles, weil er das allein Reale ist. Alles, sofern es wahrhaft ist, ist das Absolute, die absolute Identität. Das Einzelne, Endliche hat als solches kein wahres Sein; alles ist die Unendlichkeit selbst, ist in seiner Art unendlich. Das Absolute tritt in zwei »Pole« (Subjekt – Objekt, Ideelles und Reelles) auseinander, so aber, daß auf den verschiedenen Seinsstufen der eine oder der andere Pol überwiegt. Die verschiedenen Seinsstufen nennt Sch. Potenzen, die im Absoluten alle zugleich sind. Sie sind bestimmte quantitative Differenzen der Subjektivität und Objektivität. Es gibt Natur- und Geistes-Potenzen. Die erste Naturpotenz (A) ist die Schwere, die zweite (A2) das Licht, die dritte (A3) der Organismus. Die Materie ist ein unendlicher »Magnet«. Die Wärme ist eine Form des Lichts. Der chemische Prozeß ist identisch mit dem Galvanismus. Die Qualitäten der Materie sind Potenzen der Kohäsion. In den Organismen besteht keine besondere »Lebenskraft«.
In »Bruno« (1803) betont Sch. das Zusammenfallen der Gegensätze in der absoluten Einheit, aus der alles hervorgeht und in die alles zurückkehrt. Von diesem zeitlosen Sein im Absoluten sondern sich die Dinge ab, der Raum ist (wie nach Plato) das ruhende Bild der Ewigkeit, die Zeit ein bewegtes, fließendes[631] Bild des unendlichen Denkens. Die Seele ist die Potenz dessen, was im Leibe verwirklicht ist, der »unmittelbare Begriff des Leibes«. Seele und Leib sind der zweifache Gedanke derselben Wesenheit (Identitätsstandpunkt). Den Momenten des Psychischen entsprechen solche des Physischen, zwischen ihnen, die ja nur »ideell« entgegengesetzt ist, besteht ein Parallelismus, eine Harmonie, wie auch allem Subjektiven ein Objektives in der Natur entspricht.
In den »Vorlesungen über die Methode des akadem. Studiums« (1803), einer gemeinverständlich gehaltenen Schrift, spricht Sch. von den im Absoluten enthaltenen Ideen. Sie sind die »einzigen Mittler, wodurch die besonderen Dinge in Gott sein können«. Sie sind »Monaden«, »lebendig«, sind gleich Gott produktiv und bilden ihre Wesenheit in das Besondere hinein, sie verhalten sich wie die »Seelen der Dinge«. Die Ideen sind die »Wesenheiten der Dinge als gegründet in der Ewigkeit Gottes«, die ewigen Urbilder der Dinge in der Vernunftanschauung. Die Philosophie ist die »Wissenschaft der Ideen«, »unmittelbare Darstellung und Wissenschaft des Urwissens selbst«. In der Natur wird Gott gleichsam exoterisch, sie ist die reale Seite des Absoluten, »nur ein Moment oder Durchgangspunkt in dem ewigen Akt der Einbildung der Identität in die Differenz«. Die ideale oder geistige Welt ist die Einheit, wodurch die Dinge in die Identität als ihr Zentrum zurückgehen und im Unendlichen sind. In der idealen Welt, besonders in der Geschichte, legt das Göttliche die Hülle ab, sie ist »das laut gewordene Mysterium des göttlichen Reiches«. Die Individuen sind hier »Werkzeuge einer ewigen Ordnung der Dinge«. Die Geschichte ist der »große Spiegel des Weltgeistes«, das »ewige Gedicht des göttlichen Verstandes«. Das Christentum faßt die Geschichte als Vorsehung auf. Die Dreieinigkeit bedeutet philosophisch, »daß der ewige, aus dem Wesen des Vaters aller Dinge geborene Sohn Gottes das Endliche selbst ist, wie es in der ewigen Anschauung Gottes ist«. Die Menschwerdung Gottes ist eine Menschwerdung von Ewigkeit; der Mensch Christus ist in der Erscheinung nur der Gipfel.
Immer mehr nun bewegt sich das Denken Sch.s in theosophisch-mystischen Bahnen. In der Schrift »Philosophie und Religion« (1804) lehrt er einen »Abfall« der Dinge vom Absoluten, welcher ewig und außerweltlich ist; in der Ichheit kommt es zur Rückkehr zum Absoluten, zur Versöhnung mit diesem. Die Idee der Seele ist in Gott ewig. Die Schrift »Darstellung des wahren Verhältnisses der Naturphilosophie zur verbesserten Fichteschen Lehre« (1806) bringt die Lehre von der »Kopula«, vom »absoluten Bande«, welches Unendliches und Endliches verbindet, und die unendliche Liebe Gottes zu sich selbst ist. Den theosophischen Standpunkt stellt vollends die Schrift »Über das Wesen der menschlichen Freiheit« (1809).dar, die auf J. Böhme zurückgeht. In Gott ist ein »Urgrund« oder »Ungrund« ein Grund seiner Existenz, die Natur in Gott, aus der die Dinge werden. Der Ungrund (die Indifferenz) ist nicht selbst Gott, sondern die Grundlage des Seienden, des Unvollkommenen, Bösen. Aus der »Sehnsucht« in Gott, dem dunklen, verstandlosen Willen gehen die endlichen Dinge hervor. »Wollen ist Ursein«; auf dieses allein passen alle Prädikate desselben: Grundlosigkeit, Ewigkeit, Unabhängigkeit von der Zeit,[632] Selbstbejahung. Das unbegrenzte Sein in Gott ist das durch sein bloßes Wollen Gesetzte; das »blind Seiende« ist Wille, der in der Natur herrscht (vgl. Schopenhauer). Der Eigenwille jeder Kreatur ordnet sich dem Verstand als Universalwillen unter. Im Menschen erhellt sich das finstere Prinzip, sein Wille kann die Einheit mit dem Göttlichen finden, das Böse, das auf einem Abfall beruht, lassen, auch die Natur erlösen (vgl. E. v. Hartmann). Die Freiheit hat der Mensch im Zustande der Präexistenz, wo er seinen Charakter frei bestimmt hat, von dem er jetzt determiniert ist. »Die Tat, wodurch sein Leben in der Zeit bestimmt ist, gehört selbst nicht der Zeit, sondern der Ewigkeit an; sie geht dem Leben auch nicht der Zeit nach voran, sondern durch die Zeit hindurch (unergriffen von ihr) als eine der Natur nach ewige Tat.« Durch sein vorzeitliches »Selbstsetzen«, sein »Ur- und Grundwollen« sind die Handlungen des Menschen notwendig bestimmt (vgl. Kant, Schopenhauer).
Diese theosophische Richtung hält Sch. auch in seiner positiven Philosophie bei, welche die Identitätslehre ergänzen soll. Während die »negative« Philosophie, die apriorische Vernunftwissenschaft, nur das begrifflich bestimmte Was der Dinge erfaßt, geht die »positive« Philosophie (als metaphysischer, mystischer »Empirismus«) auf das Daß der Dinge, die Existenz, die lebendige, konkrete Wirklichkeit selbst, auf das »Positive«, d.h., das, was gesetzt wird, auf das rein logisch, durch reine Vernunft nicht zu Erfassende, Irrationale. Die positive Philosophie führt zur Erkenntnis Gottes auf Grund der Erfahrung seines Wirkens, wie sie in Mythologie und Religion (Offenbarung) vorliegt. Im Sinne eines Gnostizismus faßt Sch. Mythologie und Offenbarung als Weltprozesse auf, die, unabhängig vom menschlichen Bewußtsein, sich in ihm abspielen. Der mythologische Prozeß ist zugleich ein theogonischer Prozeß, durch welchen Gott im Bewußtsein erzeugt wird, vollendet in der christlichen Offenbarung und Geistesreligion. In Gott gibt es drei Potenzen (das unmittelbare Seinkönnen oder der bewußtlose Wille, das ins Sein übergehende Seinkönnen oder der besonnene Wille, und das zwischen beiden als Geist Schwebende). Gott ist lebendige Einheit von Kräften, Persönlichkeit, er hat »drei Angesichte« (Vater, Sohn, Geist). Gott ist »überseiend«, der »Herr des Seins«. –
Anhänger Schellings oder von ihm mehr oder weniger beeinflußt sind: Oken, Steffens, Schelver, Schubert, Ast, Klein, Schad, Blasche, Troxler, J. J. Wagner, Rixner, Nees von Esenbeck, Eschenmayer, Görres, Stutzmann, Burdach, K. G. Carus, Oersted, Solger, J. E. v. Berger, Sibber, Suabedissen, Windischmann, H. Beckers, L. Schmid, C. Frantz, K. Ph. Fischer, C. H. Weisse, Wirth, Thrandorf, Steffensen, F. J. Stahl u. a. Von Sch. beeinflußt sind Hegel, Schleiermacher, Ch. Krause, Baader, Schopenhauer, Cousin, W. Rosenkrantz, Deutinger, Sengler. E. v. Hartmann, Fechner, Wundt, O. Braun, Bergson u. a.
SCHRIFTEN: Antiquissimi de prima malorum origine philosophematis explicandi tentamen criticum, 1792. – Über Mythen, historische Sagen u. Philosopheme der ältesten Welt, 1793 (In: Paulus, Memorabilien V). – De Marcione Paulinarum epistolarum[633] emendatore, 1795. – Über die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt, 1795. – Vom Ich als Prinzip der Philosophie, 1795; 1809 (in den »Philos. Schriften«). – Philos. Briefe über Dogmatismus u. Kritizismus, 1796 (Niethammers »Philos. Journal«), 1809. – Allgemeine Übersicht der neuesten philos. Literatur, 1797; 1809 (unter dem Titel: Abhandlungen zur Erläuterung des Idealismus der Wissenschaftslehre). – Ideen zu einer Philosophie der Natur, 1797; 2. A. 1803. – Von der Weltseele, 1798; 2. A. 1806; 3. A. 1809. – Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, 1799. – Einleitung zu seinem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, 1799. – System des transzendentalen Idealismus, 1800. – Zeitschrift für spekulative Physik, 1800-01, (Darstellung meines Systems, im II. Bd. enthalten). – Bruno oder über das natürliche und göttliche Prinzip der Dinge, 1802; 2. A. 1834, 1842. – Clara od. der Zusammenhang der Natur mit der Geisterwelt, 2. A. 1865. – Neue Zeitschrift f. spekul. Physik, 1802. – Kritisches Journal der Philosophie, 1802-03 (mit Hegel). – Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, 1803; 3. A. 1830, neue Auflage 1907. – Philosophie und Religion, 1804. – Darlegung des wahren Verhältnisses der Naturphilos. zur verbesserten Fichteschen Lehre, 1806. – Aufsätze in den »Jahrbüchern der Medizin« (1806-08). – Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur, 1807, 1825. – Philos. Schriften, 1809. – Philos. Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit, 1809, 1834. – Denkmal der Schrift Jacobis von den göttlichen Dingen, 1812. – Über die Gottheiten von Samothrake, 1815. – Zur Geschichte d. neuem Philosophie, WW. I, Bd. X; auch in der »Philos. Bibl.« (hrsg. von Drews). Einleit. in die Mythologie; Philosophie der Mythologie; Philos. der Offenbarung (WW. II, Bd. XI – XIV) u. a. – Sämtliche Werke, 2 Abteilungen, 14 (10 + 4) Bde., 1856 ff. – Werke in Auswahl, hrsg. von O. Weiss, 3 Bde., 1908. – Aus Schellings Leben, in Briefen, hrsg. von J. L. Plitt, 1775-1803, 1869-70. – Vgl. ROSENKRANZ, Sch., 1843. – NOACK, Sch. u. d. Philos. d. Romantik, 1859. – K. FISCHER, Gesch. d. neuern Philos. VI. – K. FRANTZ, Sch.s positive Philosophie, 1879-80. – E. v. HARTMANN, Sch.s philos. System, 1897. – 0. BRAUN, Sch.s geistige Wandlungen, 1906; S. als Persönlichkeit, 1909. – M. ADAM, Sch.s Kunstphilosophie, 1907. – E. FUCHS, Schöpferisches Handeln (Anthologie), 1907. – MEHLIS, S.s Geschichtsphilos., 1906.
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