[704] Spir, African, geb. 1837 bei Elisabethgrad (Rußland), erst Seeoffizier, lebte später als Schriftsteller in Genf, gest. daselbst 1890.
S. ist von Kant, Spinoza, Herbart, Schopenhauer u.a. beeinflußt. Sein theoretischer Hauptsatz ist der, daß »die Data der Erfahrung mit dem logischen Satze der Identität nicht übereinstimmen«. Dem letzteren zufolge ist jeder Gegenstand in seinem eigenen Wesen mit sich selbst identisch, die Erfahrung dagegen zeigt uns keinen einzigen Gegenstand, der mit sich selbst vollkommen identisch wäre. Der Satz der Identität ist das A priori des Denkens, er ist nicht aus der Erfahrung geschöpft. Die Erfahrung zeigt uns die Dinge nicht so, wie sie an sich sind, sie enthält »Elemente, welche dem Wesen der Dinge an sich fremd sind«. Der Satz der Identität ist unmittelbar gewiß und zugleich ein analytischer und synthetischer Satz, letzteres eben dadurch, daß die Data der Erfahrung mit ihm nicht übereinstimmen. Durch Zusammenstellung des Identitätssatzes mit den Daten der Erfahrung, die demselben widerstreiten, ergeben sich die Grundsätze von der Beharrlichkeit der Substanz und der Satz der Kausalität. Aus der Einsicht, daß die Erfahrung uns die Dinge nicht so zeigt, wie sie an sich beschaffen sind, folgt, daß das Wesen der Dinge an sich, das Unbedingte, den zureichenden Grund der erfahrungsmäßigen Wirklichkeit nicht enthält; es kann daher nicht zur Erklärung von Natureinrichtungen und Naturereignissen gebraucht werden. Erst so kann der Streit zwischen Religion und Wissenschaft beigelegt werden, beide haben ihr eigenes Gebiet und können auf das der anderen nicht übergreifen. Im Unbedingten gibt es keinerlei Veränderung, keine Relativität; es ist eine beharrliche, ewige, vollkommene Substanz ohne Vielheit (Eleatismus).
Die Substanz der Dinge ist Gott, dem ein Selbstbewußtsein nicht zukommt, da er absolute Identität, also über den Unterschied von Subjekt und Objekt erhaben ist. Gott ist das »wahrhaft höhere Wesen des Menschen selbst, sowie aller Dinge überhaupt«. Die Welt ist Erscheinung, Entäußerung des Absoluten, nicht das Produkt oder die Folge desselben. Die Natur ist als solche etwas »Abnormes«, Nichtsein-Sollendes, etwas mit sich Entzweites, Werdendes, Unvollkommenes. Gott enthält nicht den zureichenden Grund der Natur und der Übel in ihr, das ist das Grunddogma aller Religion. Gott »wirkt« nicht, ist nicht die Ursache der Dinge, sondern das »eigene höhere Wiesen der Dinge selbst«, der Grund aller idealen Instinkte und Bestrebungen unseres Geistes«. Gott ist das Gute, die höchste Norm. Die Individualität, das Ich ist (als solches) Erscheinung, nichts Substantielles, Identisches, und fühlt diesen Mangel im Schmerz und in der Unlust. Der Endzweck des Willens ist »Erreichung von Identität mit sich selbst«. Das höchste Gut ist vollkommene Identität mit sich selbst, Überwindung der Individualität und des Egoismus durch den Willen zum Höheren, Göttlichen in uns.
Schriften: Die Wahrheit. 1867. – Andeutungen zu einem widerspruchslosen Denken, 1868. – Forschungen nach der Gewißheit in der Erkenntnis der Wirklichkeit, 1868. – Kurze Darstellung der Grundzüge einer philosophischen Anschauungsweise, 1869. – Erörterung einer philosophischen Grundansicht, 1869. – Denken und Wirklichkeit (Hauptwerk), 1873; 2. A. 1877; 3. 1884 (4. A. nebst: Moralität und Religion,[704] 1874, u.a., als Teile von: Gesammelte Werke, 1908 f.). – Empirie und Philosophie, 1876. – Vier Grundfragen, 1880 – Studien, 1883. – Gesammelte Schriften, 1883-85. Esquisses de Philosophie critique, 1877. – Nouvelles esquisses de philos. crit., 1899, u.a. – Vgl. HUMANUS, A. S, 1892. – TH. LESSING, A. S.s, Erkenntnislehre, 1901.