Tertullianus, Quintus Septimius Florens

[742] Tertullianus, Quintus Septimius Florens, geb. zwischen 150 u. 160 in Karthago, Sachwalter in Rom, erst Heide, dann Christ, als welcher er (wie Tatian) die heidnische Kultur und Philosophie verachtet und haßt, Presbyter in Karthago, dann Mitglied der Sekte der Montanisten, gest. 222.

T., der alle Philosophie als Werk der Dämonen, als ketzerisch bekämpft (»philosophis – patriarchis, ut ita dixerim, haereticorum«) und den christlichen Glauben allein schätzt, ist doch selbst so sehr von der griechischen Philosophie, besonders von der Stoa beeinflußt, daß er trotz seines Christentums geradezu in eine Art Materialismus verfällt. Das Höchste ist das Christentum, welches alles Forschen unnötig macht und begrenzt (»cum credimus, nihil desideramus ultra credere«), da es die Wahrheit hat, während die Philosophen[742] einander widersprechen. Die Seele ist von Natur aus christlich (»testimonium animae naturaliter christianae«), sie ist vernünftig und hat einen unverlierbaren göttlichen Keim in sich. Mag auch diese Wahrheit zuweilen unbegreiflich sein (wie etwa die Auferstehung Christi), so ist sie doch, gerade weil sie (auf natürliche Weise) unmöglich ist, zu glauben (»credibile est, quia ineptum est«, »certum est, quia impossibile est«, De carne christi, 5; daraus ist das »credo, quia absurdum« entstanden, das nirgends vorkommt).

Im Sinne der Stoiker erklärt T., alles Wirkliche sei körperlich (»omne quod est, corpus est sui generis; nihil est incorporale, nisi quod non est«). So ist auch die Seele körperlich, denn sonst wäre sie nichts (»nihil enim, si non corpus«). Sie ist eine besondere Art des Körpers (»corpus sui generis in sua effigie«), ein Geist-Stoff (»Pneuma«), weil sie als Hauch (»flatus«) atmet. Sie ist ausgedehnt, fein, einfach, unteilbar, unzerstörbar, von der Gestalt des Leibes, den sie durchdringt, von Gott eingeblasen (»Dei flatu natam«), unsterblich. Die Seele jedes Menschen ist ein Zweig (»surculus«) der Seele Adams, von dem sie die Erbsünde ererbt hat. Gemäß seinem Traduzianismus lehrt S. das Hervorgehen der Seele des Kindes aus dem Samen des Vaters (wie ein Sprößling, »tradux«), dessen seelische Eigenschaften auf das Kind übergehen. Der Intellekt ist der Seele eingeboren, nicht von ihr trennbar. Der Wille des Menschen ist absolut frei. Körperlich ist nach T. auch Gott, der ewig, frei (»libertas, non necessitas Deo competit«), vernünftig und gütig ist und die Weisheit, den Logos, als seinen Sohn aus sich zeugt, mittelst dessen er aus Güte die Welt aus nichts erschaffen hat und zugleich mit ihr erst die Zeit (vgl. Plato). Die Welt hat Gott nach Ideen geschaffen (»nihil sine exemplaribus in sua dispositione molitus«). Der sichtbare Gott ist in Christus, aber auch in der Welt überhaupt erschienen. In der Welt ist alles gut und vernünftig geordnet; sie ist da, damit sich Gott offenbart, damit der Mensch Gott erkennt (»mundum homini, non sibi fecit«) und sein Heil findet. Den Menschen hat Gott nach seinem Ebenbilde geschaffen. Der Mensch ist mit einem freien Willen geschaffen (»liberum et sui arbitrii invenio hominem a Deo institutum«), vermittelst dessen er gut handeln kann. Die schlechte sinnliche Natur des Menschen ist zu unterdrücken, das Ideal ist möglichste Weltflucht und Askese, Keuschheit usw.

Schriften: Ad martyres; De spectaculis; De idolatria; Apologeticum; De testimonio animae; De patientia; De oratione; De poenitentia; Ad uxorem; De cultu feminarum; De praescriptione; De corona militis; Contra Gnosticos; Virginibus velandis; Adversus Marcionem; De carne Christi; De anima; De resurrectione carnis; Adversus Praxeam, u. a. Opera 1539, 1635, 1770, 1839 – 41, 1854 – 58, 1890 ff.; deutsch 1881. – Vgl. RITTER, Gesch. d. Philos., V. – HESSELBERG, T.s Lehre, I, 1848. – BONWETSCH Die Geschichte des Montanismus, 1881. – HAUSCHILD, T.s Psychologie und Erkenntnistheorie, 1880. – G. LUDWIG, T.s Ethik, 1885. – J. STIER, Die Gottes- und Logoslehre T.s, 1899.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 742-743.
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