[573] Am 14. März Morgens fragte ich an, ob ich an diesem oder dem folgenden Tage zum Immediatvortrag kommen sollte, erhielt aber keine Antwort. Meine Absicht war, dem Kaiser über eine Unterredung, die ich am 12. mit Windthorst gehabt hatte, und über gewisse Mittheilungen, die aus Rußland eingegangen waren, zu berichten. Am 15. Morgens um 9 Uhr wurde ich mit der Meldung geweckt, S.M. habe eben sagen lassen, ich solle um 91/2 im »Auswärtigen Amte« Vortrag halten, worunter nach der bisherigen Gepflogenheit die Amtswohnung meines Sohnes zu verstehen war. Wir empfingen dort den Kaiser. Auf meine Bemerkung, ich wäre[573] fast zu spät gekommen, weil ich erst vor 25 Minuten mit Sr. M. Befehl geweckt worden sei, erwiderte der Kaiser: »So – ich habe die Bestellung gestern Nachmittag hinausgegeben.« Später ergab sich, daß er erst nach 10 Uhr Abends den Vortrag festgesetzt hatte und daß Abendaustrag vom Schlosse in der Regel nicht Statt findet. Ich begann meinen Vortrag: »Ich kann Ew. Maj. melden, daß Windthorst aus dem Bau gekommen ist und mich aufgesucht hat.« Der Kaiser rief darauf aus: »Nun, Sie haben ihn doch natürlich zur Thür hinauswerfen lassen?« Ich erwiderte, während mein Sohn das Zimmer verließ, daß ich Windthorst natürlich empfangen hätte, wie ich es mit jedem Abgeordneten, dessen Manieren ihn nicht unmöglich machten, als Minister stets gehalten hätte und zu thun verpflichtet sei, wenn ein solcher sich anmelde. Der Kaiser erklärte, ich hätte vorher bei ihm anfragen müssen. Ich widersprach und vindicirte mir die Freiheit, in meinem Hause Besuche zu empfangen und namentlich solche, die anzunehmen ich amtlich die Pflicht oder einen Grund hätte. Der Kaiser bestand auf seinem Anspruche mit dem Hinzufügen, er wisse, daß Windthorst's Besuch durch den Bankier von Bleichröder vermittelt worden sei; »Juden und Jesuiten« hielten immer zusammen. Ich erwiderte, es sei viel Ehre für mich, daß S.M. über die innern Vorgänge in meinem Hause so genau informirt sei; es sei richtig, daß Windthorst Bleichröder's Vermittlung nachgesucht, vermuthlich aus irgend einer Berechnung, da er wußte, daß jeder Abgeordnete jederzeit Zutritt bei mir hatte. Die Wahl des Vermittlers sei aber von Windthorst und nicht von mir ausgegangen und gehe mich nichts an. Bei der Constellation in dem neuen Reichstage sei es für mich wichtig gewesen, den Feldzugsplan des Führers der stärksten Fraktion zu kennen, und mir willkommen, daß dieser unerwartet um Empfang gebeten. Ich hätte in der Unterredung constatirt, daß Windthorst unmögliche Forderungen (status quo ante 1870) zu stellen beabsichtige. Seine Absichten zu ermitteln, sei für mich ein geschäftliches Bedürfniß gewesen. Wenn S.M. aus diesem Anlasse mir einen Vorwurf machen wolle, so sei das gerade so, als wenn S.M. seinem Generalstabschef im Kriege untersagen wolle, den Feind zu recognosciren. Ich könnte mich einer solchen Controlle in Einzelheiten und in meiner persönlichen Bewegung im eignen Hause nicht unterwerfen. Der Kaiser verlangte das aber peremptorisch mit der Frage: »Auch nicht, wenn Ihr Souverän es befiehlt?« Ich beharrte in Ablehnung.
Ueber Windhorst's Pläne fragte der Kaiser mich nicht, sondern[574] hub an: »Ich erhalte gar keine Vorträge mehr von meinen Ministern; es ist mir gesagt worden, Sie hätten ihnen verboten, mir ohne Ihre Zustimmung oder Gegenwart Vorträge zu halten, und sich dabei auf eine alte vergilbte Ordre gestützt, die schon ganz vergessen war.«
Ich erklärte, die Sache läge nicht so. Jene Ordre vom 8. September 1852, die seit unsrem Verfassungsleben in Kraft stände, sei für jeden Ministerpräsidenten unentbehrlich; sie verlange nur, daß er bei wichtigen principiellen neuen Anregungen vor Einholung der Allerhöchsten Entscheidung unterrichtet werde, da er anders die Gesammtverantwortung nicht tragen könne; wo ein Ministerpräsident existire, müsse auch der Inhalt jener Ordre maßgebend sein. Der Kaiser behauptete, die Ordre schränke seine königliche Prärogative ein, er verlange ihre Zurücknahme. Ich machte darauf aufmerksam, daß die drei Vorgänger Sr. M. mit jener Ordre regirt hätten; es habe seit 1862 kein Bedürfniß vorgelegen, auf dieselben Bezug zu nehmen, weil sie als selbstverständlich stets beobachtet worden sei. Ich hätte sie jetzt in Erinnerung bringen müssen, um meine Autorität gegenüber Ministern zu wahren, die sie unbeachtet gelassen hätten. Die Vorträge der Minister würden durch die Ordre nicht eingeschränkt, nur eine Mittheilung an den Premierminister bedingt, wenn neue allgemeine Einrichtungen bei Sr. M. angeregt werden sollten, damit Jener in der Lage sei, in Fällen, die ihm wichtig schienen, seine eventuell abweichende Auffassung in gemeinschaftlichem Vortrage zur Geltung zu bringen. Der König könne dann immer nach seinem Ermessen entscheiden; es sei unter Friedrich Wilhelm IV. mehr als einmal vorgekommen, daß der König dann gegen den Premierminister entschieden habe.
Ich brachte sodann an der Hand eingegangener Depeschen den Besuch in Rußland zur Sprache, zu dem S.M. sich für den Sommer angemeldet hatte (siehe unten S. 549). Ich erneuerte meine Abmahnung und unterstützte sie durch die Erwähnung geheimer Berichte aus Petersburg, die Graf Hatzfeldt aus London eingesandt habe; sie enthielten ungünstige angebliche Aeußerungen des Zaren über S.M. und über den letzten Besuch, den S.M. ihm gemacht. Der Kaiser verlangte, daß ich ihm einen Bericht der Art, den ich in der Hand hielt, vorlese. Ich erklärte, ich könnte mich dazu nicht entschließen, weil der wörtliche Inhalt ihn verletzen würde. Der Kaiser nahm mir das Schriftstück aus der Hand, las es und schien von dem Wortlaut der angeblichen zarischen Aeußerungen mit Recht verletzt.[575]
Die dem Kaiser Alexander von angeblichen Ohrenzeugen zugeschriebenen Aeußerungen über den Eindruck, den sein Vetter bei seinem letzten Besuche in Peterhof ihm gemacht habe, waren in der That so unerfreulich, daß ich Bedenken getragen hatte, diese ganze Berichterstattung überhaupt gegen S.M. zu erwähnen. Ich hatte ohnehin keine Sicherheit, daß die Quellen und die Meldungen des Grafen Hatzfeld authentisch waren; die Fälschungen, welche 1887 dem Kaiser Alexander von Paris aus in die Hand gespielt und von mir mit Erfolg entkräftet worden waren, ließen mich an die Möglichkeit denken, daß man von andrer Seite in ähnlicher Richtung durch Fälschungen auf unsren Monarchen zu wirken suchen wolle, um ihn gegen den russischen Verwandten zu verstimmen und in den englisch-russischen Streitfragen zum Feinde Rußlands, also direct oder indirect zum Bundesgenossen Englands zu machen. Wir leben zwar nicht mehr in der Zeit, wo verletzende Witze Friedrichs des Großen die Kaiserin Elisabeth und die Frau von Pompadour, also damals Frankreich, zu Gegnern Preußens machten. Immerhin konnte ich es nicht über mich gewinnen, die Aeußerungen, welche dem Zaren zugeschrieben wurden, meinem eignen Souverän vorzulesen oder mitzutheilen. Auf der andren Seite aber hatte ich zu erwägen, daß der Kaiser erfahrungsmäßig von dem Mißtrauen beseelt war, als ob ich ihm Depeschen von Wichtigkeit vorenthielte, und daß seine Ermittlungen darüber, ob dies geschähe, sich nicht auf directe Nachfragen bei mir beschränkten. Der Kaiser hat zu seinen Ministern nicht immer dasselbe Vertrauen wie zu deren Untergebnen, und Graf Hatzfeldt als nützlicher und fügsamer Diplomat genoß unter Umständen mehr Vertrauen als sein Vorgesetzter. Er konnte also leicht bei Begegnungen in Berlin oder London die Frage an S.M. richten, ob und welchen Eindruck diese auffälligen und wichtigen Meldungen dem Kaiser gemacht hätten; und wenn sich dann ergab, daß ich sie unbenutzt zu den Acten gelegt hatte – was mir das liebste gewesen wäre –, so würde der Kaiser mir in Gedanken oder in Worten vorgeworfen haben, daß ich im russischen Interesse ihm Depeschen verheimlicht hätte, wie das ja einen Tag später bezüglich militärischer Berichte eines Consuls der Fall war. Außerdem fiel mein Wunsch, den Kaiser zum Verzicht auf den zweiten Besuch in Petersburg zu bewegen, gegen das vollständige Verschweigen der Hatzfeldt'schen Angaben ins Gewicht.
Ich hatte gehofft, der Kaiser werde meiner bestimmten Weigerung, ihm die Anlagen des Hatzfeldt'schen Berichts mitzutheilen,[576] Gehör schenken, wie sein Vater und sein Großvater ohne Zweifel gethan haben würden, und hatte mich deshalb auf die Umschreibung dieser Anlagen beschränkt mit der Andeutung, daß aus denselben hervorginge, dem Zaren sei der kaiserliche Besuch nicht willkommen, sein Unterbleiben werde ihm lieber sein. Der Wortlaut, dessen Lesung der Kaiser sich mit eigner Hand ermöglichte, hat ihn ohne Zweifel schwer gekränkt und war dazu angethan.
Er erhob sich und reichte mir kühler wie sonst die Hand, in welcher er den Helm hielt. Ich begleitete ihn bis an die Freitreppe vor der Hausthür. Im Begriff, unter den Augen der Dienerschaft in den Wagen zu steigen, sprang er die Stufen wieder hinauf und schüttelte mir mit Lebhaftigkeit die Hand.
Wenn schon die ganze Art des kaiserlichen Verhaltens mir gegenüber nur den Eindruck machen konnte, daß S.M. mir den Dienst verleiden und meine Verstimmung bis zum Abschiedsgesuche steigern wollte, so glaube ich, daß die berechtigte Empfindlichkeit über die Beleidigungen, welche Graf Hatzfeldt, gleichviel aus welchen Gründen, eingesandt hatte, den Kaiser mir gegenüber in dieser Taktik augenblicklich belebte. Auch selbst wenn die Aenderung des Kaisers in seiner Form und Rücksicht mir gegenüber nicht den Zweck gehabt haben sollte, der mir gelegentlich suppeditirt worden war, nämlich festzustellen, wie lange meine Nerven hielten, so liegt es doch in der monarchischen Tradition, die Kränkung, welche eine Botschaft für den König enthalten kann, den Träger oder Ueberbringer derselben zunächst entgelten zu lassen. Die Geschichte der alten und der neuen Zeit führt Beispiele an von Boten, die Opfer königlichen Zorns wegen des Inhalts einer Botschaft wurden, die sie nicht verfaßt hatten.
Im Verlaufe des Vortrages erklärte der Kaiser ganz unvermittelt, er wolle eine Auflösung des Reichstags jedenfalls vermeiden und deshalb die Militärforderungen auf das Maß herabsetzen, welches mit Sicherheit eine Majorität finden werde. Meine Audienz und mein Vortrag ließen mir hiernach den Eindruck, daß der Kaiser mich los sein wolle, daß er seine Absicht geändert habe, mit mir die ersten Verhandlungen mit dem neuen Reichstage noch durchzumachen und die Frage unsrer Trennung erst im Anfange des Sommers, nachdem man sich klar sei, ob eine Auflösung des neuen Reichstags nöthig sei oder nicht, zur Entscheidung zu bringen. Ich denke mir, daß der Kaiser diese am 25. Februar getroffene quasi Abrede zwischen uns nicht zurücknehmen wollte, sondern nun versuchte, mich durch ungnädige Behandlung zu dem Gesuche[577] um meinen Abschied zu bringen. Indessen ließ ich mich nicht in meinem Entschlusse irre machen, mein persönliches Empfinden dem Dienstinteresse unterzuordnen.
Ich fragte bei Abschluß des Vortrages, ob S.M. dabei beharrte, mir die ausdrückliche Zurücknahme der Ordre von 1852, auf welcher die Stellung des Ministerpräsidenten beruhte, zu befehlen. Die Antwort war ein kurzes Ja. Ich faßte darauf noch nicht den Entschluß zum sofortigen Rücktritt, sondern nahm mir vor, den Befehl, wie man sagt, »ins Sonntagsfach« zu nehmen und abzuwarten, ob die Ausführung monirt wurde, dann eine schriftliche Ordre zu erbitten und diese im Staatsministerium zum Vortrage zu bringen. Ich war also auch damals noch überzeugt, daß ich nicht die Initiative und damit die Verantwortlichkeit für mein Ausscheiden zu übernehmen habe.
Am folgenden Tage, während die englischen Konferenz-Delegirten bei mir zu Tische waren, erschien der Chef des Militärkabinets General von Hahnke und besprach des Kaisers Forderung, die fragliche Ordre zu kassiren. Ich erklärte das aus den oben angegebenen sachlichen Gründen für geschäftlich unthunlich. Ein Ministerpräsidium ließe sich ohne die ihm durch die Ordre zugesprochene Befugniß nicht führen; wolle S.M. die Ordre kassiren, so müsse mit dem Titel »Präsident des Staatsministeriums« dasselbe geschehen, wogegen ich dann nichts hätte. General von Hahnke verließ mich mit der Aeußerung, die Sache werde sich sicher vermitteln lassen, was er übernahm. (Die Ordre ist auch nach meiner Entlassung nicht aufgehoben worden1).
Am folgenden Morgen, 17. März, kam Hahnke wieder, um mir mit Bedauern mitzutheilen, S.M. bestände auf Zurücknahme der Ordre und erwarte nach dem Berichte, welchen er, Hahnke, ihm[578] über seine gestrige Unterredung mit mir erstattet habe, daß ich sofort meinen Abschied einreiche; ich solle am Nachmittage auf das Schloß kommen, um mir denselben zu holen. Ich erwiderte, ich sei dazu nicht wohl genug und würde schreiben.
An demselben Morgen kam eine Anzahl von Berichten von Sr. M. zurück, darunter einige von einem Konsul in Rußland. Denselben lag ein offnes, also durch die Bureaus gegangenes Handbillet Sr. M. bei, also lautend:
»Die Berichte lassen auf das Klarste erkennen, daß die Russen im vollsten strategischen Aufmarsch sind, um zum Kriege zu schreiten – Und muß ich es sehr bedauern, daß ich so wenig von den Berichten erhalten habe. Sie hätten mich schon längst auf die furchtbar drohende Gefahr aufmerksam machen können! Es ist die höchste Zeit, die Oesterreicher zu warnen, und Gegenmaßregeln zu treffen. Unter solchen Umständen ist natürlich an eine Reise nach Krasnoe meinerseits nicht mehr zu denken.
Die Berichte sind vorzüglich.
W.«
Der Thatbestand war folgender. Der betreffende Konsul, der selten sichere Gelegenheiten fand, hatte auf einmal vierzehn mehr oder weniger voluminöse, zusammen über hundert Seiten starke Berichte eingesandt, deren ältester mehrere Monate alt, dessen Inhalt also muthmaßlich für unsren Generalstab nicht neu war. Für die Behandlung der Berichte militärischen Inhalts bestand die Praxis, daß diejenigen, die nicht wichtig und dringend genug erschienen, um von dem Auswärtigen Amte direct dem Kaiser vorgelegt zu werden, unter der Doppeladresse 1) an den Kriegsminister, 2) an den Chef des Generalstabs zur Kenntnißnahme und mit der Bitte um Rückgabe gesandt wurden. Sache des Generalstabs war es, militärisch Neues und Bekanntes, Wichtiges und Unwichtiges zu sondern und das Erstere durch das Militärkabinet zur Kenntniß Sr. M. zu bringen. In dem vorliegenden Falle hatte ich vier von den Berichten, gemischt politischen und militärischen Inhalts, direct dem Kaiser vorgelegt, sechs ausschließlich militärische unter der obigen Doppeladresse abgehen lassen und die vier übrigen dem betreffenden Rathe zum Vortrag geschrieben, um zu sehn, ob sie etwas enthielten, was höherer Entscheidung bedurfte. Der Kaiser mußte im Widerspruch mit dem üblichen und allein möglichen Geschäftsgange angenommen haben, daß ich diejenigen Berichte, die ich dem Generalstabe geschickt, ihm hätte vorenthalten wollen.[579] Ich würde freilich, wenn ich Dinge vor S.M. geheim halten wollte, nicht gerade dem Generalstabe, dessen Leiter nicht alle meine Freunde waren, beziehungsweise dem Kriegsminister von Verdy die unehrliche Geheimhaltung von Aktenstücken angesonnen haben.
Also, weil ein Konsul einige, zum Theil drei Monat alte militärische Vorgänge aus dem Bereich seiner Wahrnehmung berichtet hatte, unter anderem die dem Generalstab bekannte Versetzung einiger Sotnien Kosacken nach der österreichischen Grenze, sollte Oesterreich in Alarm gesetzt, Rußland bedroht, der Krieg vorbereitet und der Besuch, zu dem S.M. sich aus eignem Antriebe angemeldet hatte, aufgegeben werden; und weil die Berichte des Consuls verspätet eingegangen, wurde mir implicite der Vorwurf des Landesverraths gemacht, der Vorenthaltung von Thatsachen, um eine von außen drohende Gefahr zu vertuschen. Ich wies in einem sofort erstatteten Immediatberichte nach, daß alle nicht von dem Auswärtigen Amte aus direct dem Kaiser vorgelegten Berichte des Consuls unverzüglich dem Kriegsminister und dem Generalstabe übersandt waren. Nachdem mein Bericht (der nach einigen Tagen ohne irgend ein Marginale, also ohne Zurücknahme der schweren Beschuldigung an das Auswärtige Amt zurückgelangte) abgegangen war, berief ich auf den Nachmittag eine Ministersitzung.
Ich mußte es als eine Laune des Zufalls ansehen, und die Geschichte wird es vielleicht verhängnißvoll zu nennen haben, daß am Vormittage desselben Tages der in der Nacht aus Petersburg eingetroffne Botschafter Graf Paul Schuwalow sich bei mir mit der Erklärung meldete, er sei ermächtigt, in gewisse Vertragsverhandlungen2 einzutreten, und daß diese Verhandlungen sich demnächst zerschlugen, als ich nicht Reichskanzler blieb.
Für die in der Ministersitzung abzugebende Erklärung hatte ich folgenden Entwurf gemacht:
»Ich bezweifle, daß ich die mir obliegende Verantwortlichkeit für die Politik des Kaisers noch länger tragen kann, da mir derselbe die hierfür unerläßliche Mitwirkung nicht einräumt. Es ist mir überraschend gewesen, daß S.M. über die sogenannte Arbeiterschutzgesetzgebung mit Boetticher, aber ohne Benehmung mit mir und dem Staatsministerium, definitive Entschließungen gefaßt hat;[580] ich sprach damals die Befürchtung aus, daß dieses Verfahren während der Reichstagswahlen Aufregung erzeugen, unerfüllbare Erwartungen hervorrufen und bei der Unerfüllbarkeit derselben schließlich das Ansehen der Krone schädigen werde. Ich hoffte, daß Gegenvorstellungen des Staatsministeriums S.M. zum Verzichte auf die kundgegebnen Absichten bewegen würden, fand jedoch keine Mitwirkung meiner Collegen, sondern bei meinem nächsten Vertreter Herrn von Boetticher ein schon ohne mich festgestelltes Einverständniß mit den kaiserlichen Anregungen, und überzeugte mich, daß mehrere Collegen das Eingehen darauf für rathsam erachteten. Schon hiernach mußte ich bezweifeln, ob ich als Präsident des Staatsministeriums noch die sichere Autorität besäße, deren ich zur verantwortlichen Leitung der Gesammtpolitik bedurfte. Ich habe erfahren, daß der Kaiser jetzt nicht nur mit einzelnen der Herren Minister, sondern mit einzelnen der mir untergebnen Räthe und anderen Beamten verhandelt hat, namentlich hat der Herr Handelsminister ohne vorherige Verständigung mit mir eingreifende Immediatvorträge gehalten. Ich habe Herrn von Berlepsch darauf die ihm unbekannte Ordre vom 8. September 1852 mitgetheilt, und nachdem ich mich überzeugt, daß dieselbe überhaupt nicht allen Ministern, insbesondere nicht meinem Vertreter Herrn von Boetticher gegenwärtig war, jedem eine Abschrift zugehen lassen und in dem Uebersendungsschreiben hervorgehoben, daß ich die Ordre nur auf Immediatvorträge beziehe, welche Aendrungen der Gesetzgebung und der bestehenden Rechtsverhältnisse bezweckten. In diesem Sinne mit Takt gehandhabt, enthält die Ordre nicht mehr, als für jeden Präsidenten des Staatsministeriums unerläßlich ist. S.M., von irgend welcher Seite über diesen Vorgang unterrichtet, hat mir befohlen, daß die Ordre außer Kraft gesetzt werde. Ich habe meine Mitwirkung dazu ablehnen müssen.
Ein weiteres Zeichen mangelnden Vertrauens hat S.M. mir durch die Vorhaltung gegeben, daß ich ohne Allerhöchste Erlaubniß den Abgeordneten Windthorst nicht hätte empfangen dürfen. Heute habe ich mich überzeugt, daß ich auch die auswärtige Politik Sr. M. nicht mehr vertreten kann. Ungeachtet meines Vertrauens auf die Tripelallianz habe ich die Möglichkeit, daß dieselbe einmal versagen könne, nie aus den Augen verloren, weil in Italien die Monarchie nicht auf starken Füßen steht, die Eintracht zwischen Italien und Oesterreich durch die Irredenta gefährdet, in Oesterreich nur die Zuverlässigkeit des regirenden Kaisers einen Umschlag bei dessen Lebzeiten ausschließt und die Haltung Ungarns[581] nie sicher zu berechnen ist. Ich bin deshalb stets bestrebt gewesen, die Brücke zwischen uns und Rußland nie ganz abzubrechen.« (Folgt Mittheilung des Allerhöchsten Handschreibens betreffend die militärischen Berichte eines Konsuls, vgl. S. 579.) »Ich bin überhaupt nicht verpflichtet, Sr. M. alle Berichte vorzulegen, habe es aber in dem vorliegenden Falle gethan, theils direct, theils durch den Generalstab, und bin bei meinem Vertrauen in die friedlichen Absichten des Kaisers von Rußland außer Stande, die Maßregeln zu vertreten, die S.M. mir befiehlt.
Meine Vorschläge bezüglich der Stellung zum Reichstage und einer eventuellen Auflösung desselben hatte S.M. gebilligt, ist aber jetzt der Meinung, die Militärvorlage sei nur soweit einzubringen, als man auf ihre Annahme durch den jetzigen Reichstag rechnen könne. Der Kriegsminister hat sich neulich für die ungetheilte Einbringung ausgesprochen, und wenn man Gefahr gleichzeitig von Rußland kommen sähe, so wäre das das Richtige.
Ich nehme also an, daß ich mit meinen Collegen nicht mehr in voller Uebereinstimmung bin, wie ich auch das Vertrauen Sr. M. nicht mehr im ausreichenden Maße besitze. Ich freue mich, wenn ein König von Preußen selbst regieren will, erkenne die Nachtheile meines Rücktritts für die öffentlichen Interessen, sehne mich auch, da meine Gesundheit jetzt gut ist, nicht nach einem arbeitslosen Leben; aber ich fühle, daß ich dem Kaiser im Wege bin, und bin amtlich durch das Kabinett benachrichtigt, daß derselbe meinen Rücktritt wünscht. Ich habe daher auf Allerhöchsten Befehl meine Dienstentlassung erbeten.«
Nachdem ich eine dieser Skizze entsprechende Erklärung abgegeben hatte, befürwortete der Vicepräsident des Staatsministeriums Herr von Boetticher den früher von mir ausgesprochenen Gedanken, mich auf die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten zu beschränken. Der Finanzminister erklärte, die Ordre vom 8. September 1852 gehe durchaus nicht über das Erforderliche hinaus und er schließe sich der Bitte des Herrn von Boetticher an, daß nach einem Ausgleich gesucht werden möge. Wenn ein solcher nicht zu finden sei, so werde das Staatsministerium erwägen müssen, ob es sich nicht meinem Schritte anzuschließen habe. Die Minister des Cultus und der Justiz waren der Ansicht, es handle sich doch nur um ein Mißverständniß, über welches S.M. aufzuklären sei, und der Kriegsminister fügte hinzu, er habe seit langer Zeit kein Wort von Sr. M. vernommen, welches auf kriegerische Verwicklungen[582] mit Rußland Bezug habe. Der Minister der öffentlichen Arbeiten bezeichnete meinen Rücktritt als ein Unglück für die Sicherheit des Landes und die Ruhe Europa's; wenn es nicht gelänge, denselben zu verhindern, so müßten seiner Meinung nach die Minister ihre Aemter zur Verfügung Sr. M. stellen, er selbst wenigstens habe die Absicht, das zu thun. Der Minister für Landwirthschaft erklärte, wenn ich überzeugt sei, daß mein Rücktritt Allerhöchsten Orts gewünscht werde, so ließe sich von diesem Schritte nicht abrathen. Das Staatsministerium müsse jedenfalls erwägen, was es zu thun habe, wenn ich meinen Abschied erhielte. Nach einigen persönlichen Bemerkungen des Handelsministers und des Kriegsministers schloß ich die Sitzung3.
Nach derselben machte mir der Herzog von Coburg einen einstündigen Besuch, bei dem seinerseits nichts Bemerkenswerthes zur Sprache kam.
Bald nach Tische erschien Lucanus, der Chef des Zivilkabinets, und richtete zögernd den Auftrag Sr. M. aus, zu fragen, »weshalb das am Morgen erforderte Abschiedsgesuch noch nicht eingegangen sei«. Ich erwiderte, der Kaiser könne mich ja zu jeder Stunde ohne meinen Antrag entlassen, und ich könne nicht beabsichtigen, gegen seinen Willen in seinem Dienste zu bleiben; mein Abschiedsgesuch wolle ich aber so einrichten, daß ich es demnächst veröffentlichen könne. Nur in dieser Absicht entschließe ich mich überhaupt, ein solches einzureichen. Ich gedächte nicht, die Verantwortlichkeit für meinen Rücktritt selbst zu übernehmen, sondern sie Sr. Majestät zu überlassen; die Gelegenheit zur öffentlichen Klarstellung der Genesis, zu der Lucanus meine Berechtigung bestritt, werde sich schon finden.
Während Lucanus diesen Auftrag ohne Motive ausrichtete, mußte meine bis dahin gleichmüthige Stimmung naturgemäß einem Gefühl der Kränkung weichen, das sich steigerte, als Caprivi, noch ehe ich den Bescheid auf mein Abschiedsgesuch erhalten hatte, von einem Theile meiner Dienstwohnung Besitz nahm. Darin lag eine gewisse Exmission ohne Frist, die ich nach meinem Alter und der Länge meiner Dienstzeit wohl nicht mit Unrecht als eine Roheit ansah. Ich bin noch heute nicht von den Folgen dieser meiner überhasteten Exmission frei. Unter Wilhelm I. war dergleichen unmöglich, auch bei unbrauchbaren Beamten.[583]
Am 18. März Nachmittags schickte ich mein Entlassungsgesuch ein.
Mein Entwurf zu dem Entlassungsgesuch lautete:
»Bei meinem ehrfurchtsvollen Vortrage am 15. d.M. haben Euere Majestät mir befohlen, einen Ordre-Entwurf vorzulegen, durch welchen die Allerhöchste Ordre vom 8. September 1852, welche die Stellung des Ministerpräsidenten seinen Collegen gegenüber seither regelt außer Geltung gesetzt werden soll.
Ich gestatte mir über die Genesis und die Bedeutung dieser Ordre nachstehende allerunterthänigste Darlegung:
Für die Stelle eines ›Präsidenten des Staatsministeriums‹ war zur Zeit des absoluten Königthums kein Bedürfniß vorhanden, und wurde zuerst auf dem Vereinigten Landtage 1847 durch die damaligen liberalen Abgeordneten (Mevissen) auf das Bedürfniß hingewiesen, verfassungsmäßige Zustände durch Ernennung eines ›Premierministers‹ anzubahnen, dessen Aufgabe sein würde, die Einheitlichkeit der Politik der verantwortlichen Minister zu überwachen und herbeizuführen und die Verantwortung für die Gesammtergebnisse der Politik des Kabinets zu übernehmen. Mit dem Jahre 1848 trat die konstitutionelle Gepflogenheit bei uns in's Leben und wurden ›Präsidenten des Staatsministeriums‹ ernannt, wie Graf Arnim, Camphausen, Graf Brandenburg, Freiherr von Manteuffel, Fürst von Hohenzollern, an deren Namen die Verantwortlichkeit in erster Linie haftete, nicht für ein Ressort, sondern für die Gesammtpolitik des Kabinetts, also der Gesammtheit der Ressorts. Die meisten dieser Herren hatten kein eigenes Ressort, sondern nur das Präsidium; so (zuletzt vor meinem Eintritt) der Fürst von Hohenzollern, der Minister von Auerswald, Prinz Hohenlohe. Aber es lag ihnen ob, in dem Staatsministerium und in dessen Beziehungen zum Monarchen diejenige Einheit und Stetigkeit zu erhalten, ohne welche eine ministerielle Verantwortlichkeit, wie sie das Wesen des Verfassungslebens bildet, nicht durchführbar ist. Das Verhältniß des Staatsministeriums und seiner einzelnen Mitglieder zu dieser neuen Institution des Ministerpräsidenten bedurfte sehr bald einer näheren, der Verfassung entsprechenden Regelung, wie sie im Einverständnisse mit dem damaligen Staatsministerium durch die Ordre vom 8. September 1852 erfolgt ist. Diese Ordre ist seitdem entscheidend für die Stellung des Ministerpräsidenten zum Staatsministerium geblieben, und sie allein gab dem Ministerpräsidenten die Autorität, welche es ihm ermöglicht,[584] dasjenige Maß von Verantwortlichkeit für die Gesammtpolitik des Kabinets zu übernehmen, welches im Landtage und in der öffentlichen Meinung ihm zugemuthet wird. Wenn jeder einzelne Minister Allerhöchste Anordnungen extrahiren kann, ohne vorgängige Verständigung mit seinen Collegen, so ist eine einheitliche Politik, für welche Jemand verantwortlich sein kann, im Kabinet nicht möglich. Keinem der Minister, und namentlich dem Ministerpräsidenten nicht, bleibt die Möglichkeit, für die Gesammtpolitik des Kabinets die verfassungsmäßige Verantwortlichkeit zu tragen. In der absoluten Monarchie war eine Bestimmung, wie die Ordre von 1852 sie enthält, entbehrlich und würde es auch heut sein, wenn wir zum Absolutismus, ohne ministerielle Verantwortlichkeit, zurückkehrten. Nach den zu Recht bestehenden verfassungsmäßigen Einrichtungen aber ist eine präsidiale Leitung des Minister-Kollegiums auf der Basis des Prinzips der Ordre von 1852 unentbehrlich. Hierüber sind, wie in der gestrigen Staatsministerialsitzung festgestellt wurde, meine sämmtlichen Collegen mit mir einverstanden und auch darüber, daß jeder meiner Nachfolger im Ministerpräsidium die Verantwortlichkeit für sein Amt nicht würde tragen können, wenn ihm die Autorität, welche die Ordre von 1852 verleiht, mangelte. Bei jedem meiner Nachfolger wird dies Bedürfniß noch stärker hervortreten wie bei mir, weil ihm nicht sofort die Autorität zur Seite stehn wird, die mir ein langjähriges Präsidium und das Vertrauen der beiden hochseligen Kaiser verliehen hat. Ich habe bisher niemals das Bedürfniß gehabt, mich meinen Collegen gegenüber auf die Ordre von 1852 ausdrücklich zu beziehen. Die Existenz derselben und die Gewißheit, daß ich das Vertrauen der hochseligen Kaiser Wilhelm und Friedrich besaß, genügten, um meine Autorität im Kollegium sicher zu stellen. Diese Gewißheit ist heut aber weder für meine Collegen noch für mich selbst vorhanden. Ich habe deshalb auf die Ordre von 1852 zurückgreifen müssen, um die nöthige Einheit des Dienstes Euerer Majestät sicher zu stellen.
Aus vorstehenden Gründen bin ich außer Stande, Euerer Majestät Befehl auszuführen, laut dessen ich die Aufhebung der vor Kurzem von mir neu in Erinnerung gebrachten Ordre von 1852 selbst herbeiführen und contrasigniren, trotzdem aber das Präsidium des Staatsministeriums weiterführen soll.
Nach den Mittheilungen, die mir der Generallieutenant von Hahnke und der Geheime Kabinetsrath von Lucanus gestern gemacht haben, kann ich nicht im Zweifel darüber sein, daß Euere[585] Majestät wissen und glauben, daß es für mich nicht möglich ist, die Ordre aufzuheben und dennoch Ministerpräsident zu bleiben. Dennoch haben Euere Majestät den mir am 15. d.M. gegebenen Befehl aufrecht erhalten und mir in Aussicht gestellt, mein dadurch nothwendig werdendes Entlassungsgesuch zu genehmigen.
Nach früheren Besprechungen, die ich mit Eurer Majestät über die Frage hatte, ob Allerhöchstdenselben mein Verbleiben im Dienste unerwünscht sein würde, durfte ich annehmen, daß es Allerhöchstdenselben genehm sein würde, wenn ich auf meine Stellungen in Allerhöchstdero preußischen Diensten verzichtete, im Reichsdienste aber bliebe. Ich habe mir nach näherer Prüfung dieser Frage erlaubt, auf einige bedenkliche Konsequenzen dieser Theilung meiner Aemter, namentlich bezüglich künftigen Auftretens des Kanzlers im Reichstage, in Ehrfurcht aufmerksam zu machen, und enthalte mich, alle Folgen, welche eine solche Scheidung zwischen Preußen und dem Reichskanzler haben würde, hier zu wiederholen. Euere Majestät geruhten darauf zu genehmigen, daß einstweilen ›Alles beim Alten bleibe‹. Wie ich aber die Ehre hatte auseinanderzusetzen, ist es für mich nicht möglich, die Stellung eines Ministerpräsidenten beizubehalten, nachdem Euere Majestät für dieselbe die capitis diminutio wiederholt befohlen haben, welche in der Aufhebung der grundlegenden Ordre von 1852 liegt.
Euere Majestät geruhten außerdem bei meinem ehrfurchtsvollen Vortrage am 15. d.M., mir bezüglich der Ausdehnung meiner dienstlichen Berechtigungen Grenzen zu ziehn, welche mir nicht das Maß der Betheiligung an den Staatsgeschäften, der Uebersicht über letztre und der freien Bewegung in meinen ministeriellen Entschließungen und in meinem Verkehre mit dem Reichstage und seinen Mitgliedern lassen, deren ich zur Uebernahme der verfassungsmäßigen Verantwortlichkeit für meine amtliche Thätigkeit bedarf.
Aber auch wenn es thunlich wäre, unsre auswärtige Politik so unabhängig von unsrer inneren und unsre Reichspolitik so unabhängig von der preußischen zu betreiben, wie es der Fall sein würde, wenn der Reichskanzler der Preußischen Politik ebenso unbetheiligt gegenüber stände wie der Bayerischen oder Sächsischen und an der Herstellung des Preußischen Votums im Bundesrathe und dem Reichstage gegenüber keinen Antheil hätte, so würde ich doch, nach den jüngsten Entscheidungen Euerer Majestät über die Richtung unsrer auswärtigen Politik, wie sie in dem Allerhöchsten Handbillet zusammengefaßt sind, mit dem Euere[586] Majestät die Rückgabe der Berichte des Konsuls in Kiew gestern begleiteten, in der Unmöglichkeit sein, die Ausführung der darin von Euerer Majestät vorgeschriebenen Anordnungen bezüglich der auswärtigen Politik zu übernehmen. Ich würde damit alle die für das Deutsche Reich wichtigen Erfolge in Frage stellen, welche unsre auswärtige Politik seit Jahrzehnten im Sinne der beiden hochseligen Vorgänger Euerer Majestät in unsren Beziehungen zu Rußland unter ungünstigen Verhältnissen erlangt hat und deren über Erwarten große Bedeutung für die Gegenwart und Zukunft Graf Schuwalow mir nach seiner Rückkehr von Petersburg soeben bestätigt hat.
Es ist mir bei meiner Anhänglichkeit an den Dienst des Königlichen Hauses und an Euere Majestät und bei der langjährigen Einlebung in Verhältnisse, welche ich für dauernd gehalten hatte, sehr schmerzlich, aus den gewohnten Beziehungen zu Allerhöchstdenselben und zu der Gesammtpolitik des Reichs und Preußens auszuscheiden; aber nach gewissenhafter Erwägung der Allerhöchsten Intentionen, zu deren Ausführung ich bereit sein müßte, wenn ich im Dienste bliebe, kann ich nicht anders als Euere Majestät allerunterthänigst bitten,
mich aus dem Amte des Reichskanzlers, des Ministerpräsidenten und des Preußischen Ministers der Auswärtigen Angelegenheiten in Gnaden und mit der gesetzlichen Pension entlassen zu wollen.
Nach meinen Eindrücken der letzten Wochen und nach den Eröffnungen, die ich gestern aus den Mittheilungen von Euerer Majestät Zivil- und Militär-Kabinet entnommen habe, darf ich in Ehrfurcht annehmen, daß ich mit diesem meinem Entlassungsgesuche den Wünschen Euerer Majestät entgegenkomme und also auf eine huldreiche Bewilligung meines Gesuches mit Sicherheit rechnen, darf.
Ich würde die Bitte um Entlassung aus meinen Aemtern schon vor Jahr und Tag Euerer Majestät unterbreitet haben, wenn ich nicht den Eindruck gehabt hätte, daß es Euerer Majestät erwünscht wäre, die Erfahrungen und Fähigkeiten eines treuen Dieners Ihrer Vorfahren zu benutzen. Nachdem ich sicher bin, daß Euere Majestät derselben nicht bedürfen, darf ich aus dem öffentlichen Leben zurücktreten, ohne zu befürchten, daß mein Entschluß von der öffentlichen Meinung als unzeitig verurtheilt werde.
von Bismarck.«
Seiner Majestät dem Kaiser und Könige.[587]
Ich nahm noch die Gelegenheit wahr, den Chefs des Zivil- und des Militär-Kabinets Lucanus und Hahnke zu sagen, daß der Verzicht auf den Kampf gegen die Socialdemokratie und die Erregung von unerfüllbaren Hoffnungen derselben mich mit schwerer Besorgniß erfüllt habe.
Auf den Abend des 18. waren die commandirenden Generale nach Berlin in das Schloß bestellt worden, wofür als ostensibler Grund angegeben war, S.M. wolle sie über die neuen Militärvorlagen hören. In der That aber hat bei ihrer Versammlung, die ungefähr 20 Minuten dauerte, der Kaiser eine Ansprache gehalten, an deren Schluß er den Generälen, wie mir glaubwürdig erzählt worden ist, mitgetheilt haben soll, daß er sich genöthigt sehe, mich zu entlassen; dem Chef des Generalstabes Waldersee gegenüber wären Beschwerden zum Ausdruck gekommen über meine Eigenmächtigkeit und Heimlichkeit im Verkehr mit Rußland. Graf Waldersee hatte ressortmäßig den Vortrag über die erwähnten Consularberichte und deren militärische Tragweite bei Sr. M. gehabt. Das Wort hätte danach keiner der Generäle auf die Kaiserliche Eröffnung genommen, auch Graf Moltke nicht. Dieser hätte erst nachher auf der Treppe gesagt: »Das ist ein sehr bedauerlicher Vorgang; der junge Herr wird uns noch manches zu rathen aufgeben.«
Am 19. März nach der Cour war mein Sohn Herbert bei Schuwalow. Letztrer sagte in dem Bemühen, ihn zum Bleiben zu bewegen, wenn er und ich abgingen, so würden die Eröffnungen, mit denen er beauftragt sei, ins Wasser fallen. Da diese Aeußerung möglicherweise von Einfluß auf politische Entschließungen des Kaisers sein konnte, so machte mein Sohn am folgenden Tage Mittags Sr. M. in einem eigenhändigen Berichte Mittheilung davon.
Ich weiß nicht, ob vor oder unmittelbar nach Empfang dieses Berichtes, jedenfalls am 20. Mittags, kam der Adjutant vom Dienst Graf Wedel zu meinem Sohne, um den schon in den vorhergehenden Tagen durch Beauftragte kund gegebenen Wunsch des Kaisers zu wiederholen, daß mein Sohn in seinem Amte bleiben möge, ihm einen langen Urlaub anzubieten und ihn des unbedingten Vertrauens Sr. M. zu versichern. Das letztere glaubte mein Sohn nicht zu besitzen, weil der Kaiser wiederholt Räthe des Auswärtigen Amtes ohne sein Vorwissen hatte kommen lassen, um ihnen Aufträge zu geben oder von ihnen Orientirung zu verlangen. Wedel räumte das ein und versicherte, S.M. würde ohne[588] Zweifel bereit sein, dies Gravamen abzustellen. Mein Sohn hat darauf erwidert, seine Gesundheit sei so geschwächt, daß er ohne mich die schwere und verantwortliche Lage nicht annehmen könne. Später, nachdem ich meinen Abschied erhalten hatte, suchte Graf Wedel auch mich auf und verlangte, daß ich auf meinen Sohn wirke, damit er bliebe. Ich lehnte das ab mit den Worten: »Mein Sohn ist mündig.«
Am Nachmittage des 20. März überbrachten Hahnke und Lucanus mir den Abschied in zwei blauen Briefen. Lucanus war Tags zuvor im Auftrage Sr. M. bei meinem Sohne gewesen, um ihn zu veranlassen, mich zu sondiren über Verleihung des Herzogstitels und Beantragung einer demselben entsprechenden Dotation bei dem Landtage. Mein Sohn hatte ohne Besinnen erklärt, Beides würde mir unerwünscht und peinlich sein, und Nachmittags, nach Rücksprache mit mir, an Lucanus geschrieben: »eine Titelverleihung würde mir nach der Art, wie ich in jüngster Zeit von Sr. M. behandelt worden, peinlich sein, und eine Dotation sei angesichts der Finanzlage und aus persönlichen Gründen unannehmbar«. Trotzdem wurde mir der Herzogstitel verliehen.
Die beiden an mich gerichteten vom 20. datirten Ordres lauten:
»Mein lieber Fürst! Mit tiefer Bewegung habe Ich aus Ihrem Gesuche vom 18. d.M. ersehen, daß Sie entschlossen sind, von den Aemtern zurückzutreten, welche Sie seit langen Jahren mit unvergleichlichem Erfolge geführt haben. Ich hatte gehofft, dem Gedanken, Mich von Ihnen zu trennen, bei unseren Lebzeiten nicht näher treten zu müssen. Wenn Ich gleichwohl im vollen Bewußtsein der folgenschweren Tragweite Ihres Rücktritts jetzt genötigt bin, Mich mit diesem Gedanken vertraut zu machen, so thue Ich dies zwar betrübten Herzens, aber in der festen Zuversicht, daß die Gewährung Ihres Gesuches dazu beitragen werde, Ihr für das Vaterland unersetzliches Leben und Ihre Kräfte so lange wie möglich zu schonen und zu erhalten. Die von Ihnen für Ihren Entschluß angeführten Gründe überzeugen Mich, daß weitere Versuche, Sie zur Zurücknahme Ihres Antrages zu bestimmen, keine Aussicht auf Erfolg haben. Ich entspreche daher Ihrem Wunsche, indem Ich Ihnen hierneben den erbetenen Abschied aus Ihren Aemtern als Reichskanzler, Präsident Meines Staatsministeriums und Minister der Auswärtigen Angelegenheiten in Gnaden und in der Zuversicht ertheile, daß Ihr Rath und Ihre Thatkraft, Ihre Treue und Hingebung auch in Zukunft Mir und dem Vaterlande nicht fehlen werden. Ich habe[589] es als eine der gnädigsten Fügungen in Meinem Leben betrachtet, daß ich Sie bei meinem Regierungsantritt als Meinen ersten Berather zur Seite hatte. Was Sie für Preußen und Deutschland gewirkt und erreicht haben, was Sie Meinem Hause, Meinen Vorfahren und Mir gewesen sind, wird Mir und dem deutschen Volke in dankbarer, unvergänglicher Erinnerung bleiben. Aber auch im Auslande wird Ihrer weisen und thatkräftigen Friedenspolitik, die Ich auch künftig aus voller Ueberzeugung zur Richtschnur Meines Handelns zu machen entschlossen bin, allezeit mit ruhmvoller Anerkennung gedacht werden. Ihre Verdienste vollwerthig zu belohnen, steht nicht in Meiner Macht. Ich muß Mir daran genügen lassen, Sie Meines und des Vaterlandes unauslöschlichen Dankes zu versichern. Als Zeichen dieses Dankes verleihe Ich Ihnen die Würde eines Herzogs von Lauenburg. Auch werde Ich Ihnen Mein lebensgroßes Bildniß zugehen lassen.
Gott segne Sie, Mein lieber Fürst, und schenke Ihnen noch viele Jahre eines ungetrübten und durch das Bewußtsein treu erfüllter Pflicht verklärten Alters.
In diesen Gesinnungen bleibe Ich Ihr Ihnen auch in Zukunft treu verbundener, dankbarer
Kaiser und König
Wilhelm I.R.«
»Ich kann Sie nicht aus der Stellung scheiden sehen, in der Sie so lange Jahre hindurch für Mein Haus, wie für die Größe und Wohlfahrt des Vaterlandes gewirkt, ohne auch als Kriegsherr in inniger Dankbarkeit der unauslöschlichen Verdienste zu gedenken, die Sie Sich um Meine Armee erworben haben. Mit weitblickender Umsicht und eiserner Festigkeit haben Sie Meinem in Gott ruhenden Herrn Großvater zur Seite gestanden, als es galt, in schweren Zeiten die für nöthig erkannte Reorganisation unserer Streitkräfte zur Durchführung zu bringen. Sie haben die Wege bahnen helfen, auf welchen die Armee, mit Gottes Hülfe, von Sieg zu Sieg geführt werden konnte. Heldenmüthigen Sinnes haben Sie in den großen Kriegen Ihre Schuldigkeit als Soldat gethan, und seitdem, bis auf diesen Tag, sind Sie mit nie rastender Sorgfalt und Aufopferung bereit gewesen, einzutreten, um unserem Volke die von den Vätern ererbte Wehrhaftigkeit zu bewahren und damit eine Gewähr für die Erhaltung der Wohltaten des Friedens zu schaffen.
Ich weiß Mich eins mit Meiner Armee, wenn Ich den Wunsch[590] hege, den Mann, der so Großes geleistet, auch fernerhin in der höchsten Rangstellung ihr erhalten zu sehen. Ich ernenne Sie daher zum General-Obersten der Cavallerie mit dem Range eines General-Feldmarschalls und hoffe zu Gott, daß Sie Mir noch viele Jahre in dieser Ehrenstellung erhalten bleiben mögen.
Wilhelm.«
Mein Rath ist seitdem weder direct noch durch Mittelspersonen jemals erfordert, im Gegentheil scheint meinen Nachfolgern untersagt zu sein, über Politik mit mir zu sprechen. Ich habe den Eindruck, daß für alle Beamte und Offiziere, welche an ihrer Stelle hängen, ein Boycott nicht nur geschäftlich, sondern auch social mir gegenüber besteht. Derselbe hat in den diplomatischen Erlassen meines Nachfolgers wegen Discreditirung der Person seines Vorgängers im Auslande einen wunderlichen amtlichen Ausdruck gefunden.
Meinen Dank für die militärische Beförderung stattete ich durch nachstehendes Schreiben ab:
»Ew. M. danke ich in Ehrfurcht für die huldreichen Worte, mit denen Allerhöchstdieselben meine Verabschiedung begleitet haben, und fühle mich hochbeglückt durch die Verleihung des Bildnisses, welches für mich und die Meinigen ein ehrenvolles Andenken an die Zeit bleiben wird, während deren Ew. M. mir gestattet haben, dem Allerhöchsten Dienste meine Kräfte zu widmen. Ew. M. haben mir gleichzeitig die Würde eines Herzogs von Lauenburg zu verleihen die Gnade gehabt. Ich habe mir ehrfurchtsvoll gestattet, dem Geheimen Kabinetsrath von Lucanus mündlich die Gründe darzulegen, welche mir die Führung eines derartigen Titels erschwerten, und daran die Bitte geknüpft, diesen weiteren Gnadenakt nicht zu veröffentlichen. Die Erfüllung dieser meiner Bitte war nicht möglich, weil die amtliche Veröffentlichung zu der Zeit, wo ich meine Bedenken äußern konnte, bereits im Staats-Anzeiger erfolgt war. Ew. M. wage ich aber allerunterthänigst zu bitten, mir die Führung meines bisherigen Namens und Titels auch ferner in Gnaden gestatten zu wollen. Für die mich so hoch ehrende militärische Beförderung bitte ich allerunterthänigst Ew. M. meinen ehrfurchtsvollen Dank zu Füßen legen zu dürfen, sobald ich zu meiner im Augenblick durch Unwohlsein verhinderten dienstlichen Meldung im Stande sein werde.«[591]
Am 21. Morgens 10 Uhr, während mein Sohn zum Empfange des Prinzen von Wales auf dem Lehrter Bahnhof war, sagte S.M. zu ihm: »Sie haben nach Ihrem gestrigen Briefe Schuwalow mißverstanden, ich habe ihn eben bei mir gehabt; er wird Sie Nachmittags besuchen und die Sache in Ordnung bringen.« Mein Sohn erwiderte, mit Schuwalow nicht mehr verhandeln zu können, da er im Begriff stehe, sein Abschiedsgesuch einzureichen. S.M. wollte davon nichts hören: »er werde meinem Sohne alle Erleichterungen gewähren und Nachmittags oder später eingehend mit ihm sprechen; bleiben müsse er«. Schuwalow hat denn auch meinen Sohn am Nachmittage besucht, es aber abgelehnt, Eröffnungen zu machen, da seine Instructionen auf ihn und mich, nicht aber auf unsere Nachfolger lauteten. Ueber die Audienz am Morgen hat er erzählt, er sei Nachts um 1 Uhr durch einen Armee-Gensdarmen geweckt worden, der eine zweizeilige Bestellung des Flügeladjutanten zu 83/4 Uhr früh überbracht habe. Er sei in große Aufregung gerathen in der Vermuthung, daß dem Zaren etwas zugestoßen sei. S.M. habe bei der Audienz über Politik gesprochen, sich entgegenkommend geäußert und erklärt, daß er die bisherige Politik fortführen wolle; er, Schuwalow, habe dies nach Petersburg gemeldet.
Auf eine Frage Caprivi's nach einem geeigneten Nachfolger bezeichnete mein Sohn ihm am 23. den Gesandten in Brüssel von Alvensleben. Caprivi erklärte sich mit demselben einverstanden und äußerte Bedenken gegen einen Nichtpreußen an der Spitze des Auswärtigen Amtes; S.M. habe ihm Marschall genannt. Indessen erklärte der Kaiser am 24. zu meinem Sohne, mit dem er auf einem Dragonerfrühstück zusammentraf, daß auch ihm Alvensleben sehr angenehm sei.
Am 26. Vormittags orientirte mein Sohn Caprivi über die Secreta. Der Letztere fand die Verhältnisse zu komplicirt, er werde sie vereinfachen müssen, und erwähnte, Alvensleben sei am Morgen bei ihm gewesen, aber je mehr er in ihn hineingeredet, desto härter sei dieser in seiner Ablehnung geworden. Mein Sohn verabredete, er werde am Nachmittage noch einen Versuch mit Alvensleben machen und Caprivi über den Erfolg berichten. Im Laufe desselben Tages erhielt er seinen Abschied, ohne daß die von dem Kaiser in Aussicht gestellte Unterredung Statt gefunden hatte.
Mein Sohn versuchte am Nachmittage versprochenermaßen in Gemeinschaft mit dem auf Urlaub anwesenden Botschafter von[592] Schweinitz den Herrn von Alvensleben zur Annahme seiner Nachfolge zu bewegen, jedoch ohne Erfolg. Derselbe erklärte, lieber die Carriere aufgeben als Staatssekretair werden zu wollen, versprach jedoch seinen definitiven Entschluß nicht eher zu fassen, als bis er den Kaiser gesprochen habe.
Am 27. Morgens besuchte der Kaiser meinen Sohn, sprach unter wiederholter Umarmung die Hoffnung aus, ihn bald erholt und wieder im Dienste zu sehen, und fragte, wie es mit Alvensleben stände. Nachdem mein Sohn referirt und Se. Majestät Verwunderung ausgesprochen, daß Alvensleben sich noch nicht gemeldet, ließ er diesen sofort zu 121/2 Uhr in's Schloß bestellen.
Mein Sohn begab sich zu Caprivi, machte ihm Mittheilung über Alvensleben's Verhalten und dessen Citation zu Sr. M. und rekapitulirte die Gründe, durch welche er auf Alvensleben zu wirken gesucht. Darauf hat Caprivi sich etwa so ausgesprochen:
Das sei jetzt alles zu spät. Er habe gestern Sr. M. vorgetragen, daß Alvensleben nicht wolle, und darauf die Ermächtigung erhalten, zu Marschall zu gehen. Dieser habe sich sofort bereit erklärt mit dem Zusatz, daß er schon die Zustimmung seines Großherzogs zum Uebertritt in den Reichsdienst habe, seine offizielle Anfrage in Karlsruhe also nur eine Formsache sei. Wenn Alvensleben nun doch noch annehme, würde ihm, Caprivi, nichts übrig bleiben als seinen Abschied zu erbitten. Er sei auf 123/4 Uhr zum Vortrage bestellt und werde dabei S.M. an den gestrigen Auftrag für Marschall erinnern.
Alvensleben, der unmittelbar vor Caprivi im Schlosse empfangen wurde, war auch von dem Kaiser nicht zu überreden gewesen; als der Letztere dies mit dem Ausdruck seines Bedauerns Caprivi mittheilte, erwiderte dieser, das sei sehr glücklich und bewahre ihn vor einer großen Verlegenheit, denn er habe schon mit Marschall abgeschlossen; der Kaiser erklärte kurz: »Nun gut, so wird es Marschall.« Caprivi hatte also das Resultat der Unterredung meines Sohnes mit Alvensleben nicht abgewartet, sondern schon vorher den badischen Gesandten gewonnen.
Der Großherzog von Baden, der durch Aeußerungen meines Sohnes gegen Herrn von Marschall erfahren hatte, daß seine entscheidende Einwirkung auf den Kaiser zu meiner Kenntniß gekommen war, machte mir am 24. einen Besuch und verließ mich in ungnädiger Stimmung. Ich sagte ihm, er habe dem Reichskanzler in dessen Kompetenz eingegriffen und meine Stellung bei Sr. M. unmöglich gemacht.[593]
Am 26. März verabschiedete ich mich bei dem Kaiser. S.M. sagte, »nur die Sorge für meine Gesundheit« habe ihn bewogen, mir den Abschied zu ertheilen. Ich erwiderte, meine Gesundheit sei in den letzten Jahren selten so gut gewesen wie in dem vergangenen Winter. Die Veröffentlichung meines Abschiedsgesuchs wurde abgelehnt. Gleichzeitig mit dem Eingange desselben hatte Caprivi schon von einem Theile der kanzlerischen Dienstwohnung Besitz ergriffen; ich sah, daß Botschafter, Minister und Diplomaten auf dem Treppenflur warten mußten, ein Zwang für mich, das Packen und Abreisen dringend zu beschleunigen; am 29. März verließ ich Berlin unter diesem Zwange übereilter Räumung meiner Wohnung und unter den vom Kaiser im Bahnhof angeordneten militärischen Ehrenbezeigungen, die ich ein Leichenbegängniß erster Klasse mit Recht nennen konnte.
Zuvor hatte ich von Sr. M. dem Kaiser Franz Joseph diesen Brief erhalten:
Wien, den 22. März 1890
Lieber Fürst.
Die meine volle Theilnahme in Anspruch nehmende Nachricht, daß Sie die Zeit gekommen erachten, Sich von den aufreibenden Mühen und Sorgen Ihrer Aemter zurückzuziehen, hat nunmehr ihre offizielle Bestätigung gefunden. So sehr ich wünsche und hoffe, daß es Ihrer erschütterten Gesundheit zu Gute kommen werde, wenn Sie Sich nach so vielen Jahren ununterbrochener erfolg- und ruhmreicher staatsmännischer Wirksamkeit Ruhe gönnen wollen, so wenig kann ich das Gefühl aufrichtigen Bedauerns unausgesprochen lassen, mit welchem ich Ihren Rücktritt, insbesondere Ihr Scheiden von der Leitung der auswärtigen Angelegenheiten des uns so nahe stehenden Deutschen Reiches begleite. Ich werde es immer dankbarst anerkennen, daß Sie die Beziehungen Deutschlands zu Oesterreich-Ungarn im Geiste loyaler Freundschaft aufgefaßt und durch consequentes und treues Zusammenwirken mit den Männern meines Vertrauens das heute unerschütterliche Bundesverhältniß gegründet haben, welches den Interessen beider Reiche, wie meinen Wünschen und jenen Ihres Herrn und Kaisers entspricht. Ich freue mich, Ihnen bei diesen für die Geschicke des Welttheils so wichtigen Bestrebungen meine Unterstützung und mein rückhaltloses Vertrauen entgegen gebracht zu haben, und weiß es auch dankbar zu schätzen, daß ich bei Ihnen in allen Gelegenheiten auf dieselbe vertrauensvolle Offenheit und zuverlässige Mithülfe zählen konnte. Möge Ihnen noch eine lange Reihe von[594] Jahren hindurch die Genugthuung gegönnt sein, zu sehen, wie der durch Sie festgefügte deutsch-österreichische Freundschaftsbund in den schweren Zeiten, in welchen wir leben, sich als sichere Schutzwehr erweist nicht nur für die Verbündeten, sondern auch für den Frieden Europas. Empfangen Sie, lieber Fürst, die Versicherung, daß meine herzlichsten Wünsche Sie stets begleiten, daß ich Ihrer mit den Gefühlen aufrichtiger Hochachtung und Freundschaft gedenke und daß es mich lebhaft freuen soll, so oft Ihnen die Gelegenheit geboten wird, von Ihrem opferwilligen Patriotismus und Ihrer altbewährten weisen Erfahrung erneut Zeugniß abzulegen.
Franz Joseph.
Zu Weihnachten 1890 ließ mir Kaiser Wilhelm eine Sammlung von Photographien der Räume des Palais Wilhelm's I. übersenden; ich dankte dafür in dem folgenden Briefe:
»Friedrichsruh, 25. December 1890
Allerdurchlauchtigster Kaiser
Allergnädigster König und Herr.
Eurer Majestät erlaube ich mir meinen ehrfurchtsvollen Dank zu Füßen zu legen für das mir im Allerhöchsten Auftrage übersandte Weihnachtsgeschenk, welches mir in vollendeter Nachbildung die Stätten vergegenwärtigt, an die sich meine Erinnerungen an meinen hochseligen Herrn vorwiegend knüpfen, und in welchen Höchstderselbe mir länger als ein halbes Jahrhundert Sein gnädiges Wohlwollen erwiesen und bis zum Ende Seiner Tage bewahrt hat.
Mit meinem allerunterthänigsten Danke für dieses Andenken an die Vergangenheit verbinde ich meine ehrfurchtsvollen Glückwünsche zum bevorstehenden Jahreswechsel.
In tiefster Ehrfurcht ersterbe ich
Eurer Majestät
allerunterthänigster Diener
v. Bismarck.«
1 | In der Sitzung des preußischen Landtages vom 28. April 1892 hat Graf Eulenburg nach den vorliegenden Berichten über die Stellung des Ministerpräsidenten folgendes erklärt: »Daß die Aufgabe des preußischen Ministerpräsidenten nicht blos darin besteht, die Verhandlungen zu leiten und die Stimmen zu zählen, glaube ich, bedarf keines Beweises; es ist die Aufgabe des Vorsitzenden des preußischen Staatsministeriums, für einen gleichmäßigen und in gleicher Richtung sich bewegenden Gang der Staatsgeschäfte zu sorgen und das Gesammtministerium, wo es nöthig ist, zu repräsentiren. Ich glaube also, daß die von jener Seite geäußerte Meinung, daß sein Antheil sehr unbedeutend sei, der Begründung entbehrt. (Beifall.)« Aus dieser Aeußerung darf man den Schluß ziehen, daß auch heute die Aufhebung der Cabinetsordre vom Jahre 1852 über die Befugnisse des Ministerpräsidenten, die bei meiner Entlassung eine hervorragende Rolle gespielt hat, nicht erfolgt ist; denn wenn sie wirklich aufgehoben wäre, so würde der Ministerpräsident Graf Eulenburg kaum in der Lage sein, das Programm, das er in obigen Worten aufgestellt hat und das sich der vollen Zustimmung des Abgeordnetenhauses erfreute, thatsächlich durchzuführen. |
2 | Ueber Verlängerung eines im Juni 1890 ablaufenden Vertrages, der uns für den Fall, daß wir von Frankreich angegriffen würden, die Neutralität Rußlands sicherte. |
3 | Das amtliche Protokoll derselben, welches bei allen Ministern, wie üblich, zur Correctur circulirt hatte, ist nach einer späteren Mittheilung des Ministers von Miquel aus den Acten verschwunden und, wahrscheinlich auf Veranlassung des Viceprädisenten Boetticher, vernichtet worden (S. Anlage II, unten S. 631 ff.) |
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