IV

[117] Die Haltung, welche ich in der conservativen Fraktion angenommen hatte, griff störend in die Pläne ein, welche der König mit mir hatte oder zu haben behauptete. Als er zu Anfang des Jahres 1854 das Ziel, mich zum Minister zu machen, directer ins Auge zu fassen begann, wurde seine Absicht nicht nur von Manteuffel bekämpft, sondern auch von der Camarilla, deren Hauptpersonen der General Gerlach und Niebuhr waren. Diese, ebenso wie Manteuffel, waren nicht geneigt, den Einfluß auf den König mit mir zu theilen, und glaubten sich mit mir im täglichen Zusammenleben nicht so gut wie in der Entfernung zu vertragen. Gerlach wurde in dieser Voraussetzung bestärkt durch seinen Bruder, den Präsidenten, der die Gewohnheit hatte, mich als einen Pilatus-Charakter zu bezeichnen auf der Basis: Was ist Wahrheit? also als einen unsicheren Fraktionsgenossen. Dieses Urtheil über mich kam auch in den Kämpfen innerhalb der conservativen Fraktion und des intimern Comités derselben mit Schärfe zum Ausdruck, als ich, auf Grund meiner Stellung als Bundestagsgesandter und weil ich im Besitz des Vortrags bei dem Könige über die deutschen Angelegenheiten sei, einen größeren Einfluß auf die Haltung der Fraktion in der deutschen und der auswärtigen Politik verlangte, während der Präsident Gerlach und Stahl die absolute Gesammtleitung nach allen Seiten hin in Anspruch nahmen. Ich befand mich im Widerspruche mit Beiden, mehr aber mit Gerlach als mit Stahl, und der Erstere erklärte schon damals, vorauszusehen, daß unsre Wege sich trennen und wir als Gegner enden würden. – In Uebereinstimmung habe ich mich in den wechselnden Phasen der conservativen Fraktion stets mit Below-Hohendorf und Alvensleben-Erxleben befunden.

Im Winter 1853 zu 1854 hielt der König mich lange fest; ich lag mehrere Monate im Wirthshause und verfiel dadurch äußerlich in die Kategorie der Streber, die am Sturze Manteuffel's arbeiteten, den Prinzen von Preußen gegen seinen Bruder einzunehmen, für sich Stellen oder wenigstens Aufträge herauszuschlagen suchten und dann und wann von dem Könige als Rivalen Manteuffel's cum spe succedendi behandelt wurden. Nachdem ich mehrmals von dem Könige gegen Manteuffel in der Weise ausgespielt worden war, daß ich Gegenentwürfe von Depeschen zu machen hatte, bat ich Gerlach, den ich in einem kleinen Vorzimmer neben dem Cabinet des Königs in dem längs der Spree hinlaufenden Flügel des Schlosses fand, mir die Erlaubniß zur Rückkehr nach Frankfurt zu[118] erwirken. Gerlach trat in das Cabinet und sprach, der König rief: »Er soll in des Teufels Namen warten, bis ich ihm befehle abzureisen!« Als Gerlach herauskam, sagte ich lachend, ich hätte den Bescheid schon. Ich blieb also noch eine Zeit lang in Berlin. Als es endlich zur Abreise kam, hinterließ ich den Entwurf eines eigenhändigen, von dem Könige an den Kaiser Franz Joseph zu richtenden Schreibens, den ich auf Befehl Seiner Majestät ausgearbeitet und den Manteuffel dem Könige vorzulegen übernommen hatte, nachdem er sich mit mir über den Inhalt verständigt haben würde. Der Schwerpunkt lag in dem Schlußsatze, aber auch ohne diesen bildete der Entwurf ein abgerundetes Aktenstück, freilich von wesentlich modificirter Tragweite. Ich bat den Flügeladjutanten vom Dienst unter Mittheilung einer Abschrift des Concepts, den König darauf aufmerksam zu machen, daß der Schlußsatz das entscheidende Stück des Erlasses sei. Diese Vorsichtsmaßregel war im Auswärtigen Amte nicht bekannt; die Collationirung im Schlosse ergab, daß, wie ich befürchtet hatte, das Concept geändert und der österreichischen Politik näher gerückt war. Während des Krimkriegs und der vorangegangenen Verhandlungen drehten sich die Kämpfe in den Regierungskreisen häufig um eine westmächtlich-österreichische oder eine russische Phrase, die, kaum geschrieben, keine praktische Bedeutung mehr hatte.

Um eine ernstere, in den Verlauf der Dinge eingreifende Frage der Redaktion handelte es sich im September 1854. Der König befand sich in Rügen; ich war auf dem Wege von Frankfurt nach Reinfeld, wo meine Frau krank lag, als in Stettin ein höherer Postbeamter, der angewiesen war, auf mich zu fahnden, mir eine Einladung des Königs nach Putbus ausrichtete. Ich hätte mich gern gedrückt, der Postbeamte aber begriff nicht, wie ein Mann von altem preußischen Schlage sich einer solchen Aufforderung entziehen wolle. Ich ging nach Rügen, nicht ohne Sorge vor neuen Zumuthungen, Minister zu werden und dadurch in unhaltbare Beziehungen zum Könige zu gerathen. Der König empfing mich gnädig und setzte mich von einer vorliegenden Meinungsverschiedenheit über die durch den Rückzug der Russen aus den Donaufürstenthümern entstandene Situation in Kenntniß. Es handelte sich um die Depesche des Grafen Buol vom 14. September und einen von Manteuffel vorgelegten Entwurf einer Antwort, den der König zu österreichisch fand. Auf Befehl machte ich einen andern Entwurf, der von Sr. Majestät genehmigt und nach Berlin geschickt wurde, um im Widerspruch mit dem leitenden Minister zunächst[119] an den Grafen Arnim in Wien gesandt und dann den deutschen Regierungen mitgetheilt zu werden1. Die durch Annahme meines Entwurfs bekundete Stimmung des Königs zeigte sich auch in dem Empfang des Grafen Benkendorf, der mit Briefen und mündlichen Aufträgen in Putbus eintraf, und den ich mit der Nachricht hatte empfangen können, daß die Engländer und Franzosen in der Krim gelandet seien. »Freut mich,« erwiderte er, »da sind wir sehr stark.« Es wurde russische Strömung. Ich glaubte, politisch meine Schuldigkeit gethan zu haben, hatte schlechte Nachrichten von meiner Frau und bat um die Erlaubniß abzureisen. Dieselbe wurde mir indirect dadurch verweigert, daß ich auf das Gefolge übertragen wurde, ein hoher Gunstbeweis. Gerlach warnte mich, denselben nicht zu überschätzen. »Bilden Sie sich nur nicht ein,« sagte er, »daß Sie politisch geschickter gewesen sind als wir. Sie sind augenblicklich in Gunst, und der König schenkt Ihnen diese Depesche, wie er einer Dame ein Bouquet schenken würde.«

Wie wahr das war, erfuhr ich sofort, aber in vollem Umfange erst später nach und nach. Als ich darauf bestand, abzureisen, und in der That abreiste, erfolgte eine ernste Ungnade des Königs; mir wäre meine Häuslichkeit doch mehr werth als das ganze Reich, hatte er zu Gerlach gesagt. Aber wie tief die Verstimmung gegangen war, wurde mir erst während und nach meiner Pariser Reise klar. Mein beifällig aufgenommener Depeschen-Entwurf wurde telegraphisch angehalten und dann geändert.

1

Sie ist vom 21. September datirt und in Jasmund, Aktenstücke zur orientalischen Frage Thl. I, S. 363, abgedruckt.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 120.
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