Viertes Kapitel
Diplomat

[67] Nachdem die preußische Regierung sich entschlossen hatte, den von Oesterreich reactivirten Bundestag zu beschicken und dadurch vollzählig zu machen, wurde der General von Rochow, der in Petersburg accreditirt war und blieb, provisorisch zum Bundestags-Gesandten ernannt. Gleichzeitig wurden zwei Legationsräthe für die Gesandtschaft auf den Etat gebracht, ich selbst und Herr von Gruner. Mir wurde durch Se. Majestät und den Minister von Manteuffel vor meiner Ernennung zum Legationsrath die demnächstige Ernennung zum Bundestags-Gesandten in Aussicht gestellt. Rochow sollte mich einführen und anlernen, konnte aber selbst nicht geschäftsmäßig arbeiten und benutzte mich als Redakteur, ohne mich politisch au fait zu halten.

Das meiner Ernennung vorhergehende Gespräch mit dem Könige, kurz gegeben in einem Briefe meines verstorbenen Freundes J.L. Motley an seine Frau, verlief folgendermaßen. Nachdem ich auf die plötzliche Frage des Ministers Manteuffel, ob ich die Stelle eines Bundesgesandten annehmen wolle, einfach mit Ja geantwortet hatte, ließ der König mich zu sich bescheiden und sagte: »Sie haben viel Muth, daß Sie so ohne Weiteres ein Ihnen fremdes Amt übernehmen.« Ich erwiderte: »Der Muth ist ganz auf Seiten Eurer Majestät, wenn Sie mir eine solche Stellung anvertrauen, indessen sind Euer Majestät ja nicht gebunden, die Ernennung aufrecht zu erhalten, sobald sie sich nicht bewährt. Ich selbst kann keine Gewißheit darüber haben, ob die Aufgabe meine Fähigkeit übersteigt, ehe ich ihr näher getreten bin. Wenn ich mich derselben nicht gewachsen finde, so werde ich der erste sein, meine Abberufung zu erbitten. Ich habe den Muth zu gehorchen, wenn Euer Majestät den haben zu befehlen.« Worauf der König: »Dann wollen wir die Sache versuchen.«

Am 14. Mai 1851 traf ich in Frankfurt ein. Herr von Rochow mit weniger Ehrgeiz als Liebe zum Behagen, des Klimas und des anstrengenden Hoflebens in Petersburg müde, hätte lieber den Frankfurter Posten, in welchem er alle seine Wünsche befriedigt fand, dauernd behalten, arbeitete in Berlin dafür, daß ich zum Gesandten in Darmstadt mit gleichzeitiger Accreditierung bei dem Herzog von Nassau und der Stadt Frankfurt ernannt werde, und wäre vielleicht auch nicht abgeneigt gewesen, mir den Petersburger Posten[68] im Tausch zu überlassen: er liebte das Leben am Rhein und den Verkehr mit den deutschen Höfen. Seine Bemühungen hatten indessen keinen Erfolg. Unter dem 11. Juli schrieb mir Herr von Manteuffel, daß der König meine Ernennung zum Bundestagsgesandten genehmigt habe. »Es versteht sich dabei von selbst,« schrieb der Minister, »daß man Herrn von Rochow nicht brusquement wegschicken kann; ich beabsichtige daher, ihm heute noch einige Worte darüber zu schreiben, und glaube Ihres Einverständnisses gewiß zu sein, wenn ich in dieser Sache mit aller Rücksicht auf Herrn von Rochow's Wünsche verfahre, dem ich es in der That nur Dank wissen kann, daß er die schwierige und undankbare Mission angenommen hat im Gegensatz zu manchen andern Leuten, die immer mit der Kritik bei der Hand sind, wenn es aber auf das Handeln ankommt, sich zurückziehen. Daß ich Sie damit nicht meine, brauche ich nicht zu versichern, denn Sie sind ja auch mit uns in die Bresche getreten und werden sie, so denke ich, auch allein vertheidigen.«

Unter dem 14. Juli erfolgte meine Ernennung zum Bundestagsgesandten. Ungeachtet der Rücksicht, mit welcher er behandelt wurde, war Herr von Rochow verstimmt und ließ mich die Vereitelung seines Wunsches entgelten, indem er Frankfurt eines Morgens früh verließ, ohne mich von seiner Abreise unterrichtet und mir die Geschäfte und die Akten übergeben zu haben. Von andrer Seite benachrichtigt, kam ich zur rechten Zeit nach dem Bahnhofe, um ihm meinen Dank für das mir bewiesene Wohlwollen auszudrücken. – Ueber meine Thätigkeit und meine Wahrnehmungen am Bundestage ist so viel Amtliches und Privates veröffentlicht, daß mir nur eine Nachlese übrig bleibt.

Ich fand in Frankfurt zwei preußische Comissarien aus der Zeit des Interim, den Oberpräsidenten von Bötticher, dessen Sohn später als Staatssekretär und Minister mein Beistand sein sollte, und den General von Peucker, der mir Gelegenheit zu meinen ersten Studien über das Ordenswesen gab. Er war ein gescheidter, tapfrer Offizier von hoher wissenschaftlicher Bildung, die er später als Generalinspecteur des Militärerziehungs- und Bildungswesens verwerthen konnte. Im Jahre 1812 in dem York'schen Corps dienend, hatte er durch Diebstahl seinen Mantel eingebüßt, den Rückzug in der knappen Uniform machen müssen, sich die Zehen erfroren und durch die Kälte anderweitige Schäden erlitten. Trotz seiner äußerlichen Unschönheit gewann dieser kluge und tapfre Offizier die Hand einer hübschen Gräfin Schulenburg, durch welche später das[69] reiche Erbe des Hauses Schenck von Flechtingen in der Altmark an seinen Sohn gelangte. In merkwürdigem Contrast mit seiner geistigen Bedeutung stand seine Schwäche für Aeußerlichkeiten, die den Berliner Jargon um einen Ausdruck bereicherte. Von Jemand, der zu viele Orden gleichzeitig trug, sagte man »er peuckert«.

Bei einem Morgenbesuche fand ich ihn vor einem Tische stehend, auf welchem seine wohlverdienten, zuerst auf dem Schlachtfelde gewonnenen Orden ausgebreitet lagen, deren herkömmliche Ordnung auf der Brust durch die eben erfolgte Verleihung eines neuen Sterns gestört war. Nach der Begrüßung sprach er mir nicht etwa von Oesterreich und Preußen, sondern verlangte mein Urtheil von dem Standpunkte künstlerischen Geschmacks über die Stelle, wo der neue Stern einzuschieben sei. Die Gefühle anhänglicher Achtung, die ich aus meinen Kinderjahren für den hochverdienten General überkommen hatte, bestimmten mich, in voller Ernsthaftigkeit auf das Thema einzugehen und die Erledigung desselben herbeizuführen, ehe wir auf Geschäfte zu sprechen kamen.

Ich gestehe, daß ich mich, als ich meine erste Auszeichnung, die Rettungsmedaille, erhielt, erfreut und gehoben fühlte, weil ich damals ein in dieser Beziehung nicht blasirter Landjunker war. Im Staatsdienste habe ich diese Ursprünglichkeit der Empfindung schnell verloren; ich erinnere mich nicht, bei späteren Dekorierungen ein objectives Vergnügen empfunden zu haben, sondern nur die subjective Freude über die äußerliche Bethätigung des Wohlwollens, mit welchem mein König meine Anhänglichkeit erwiderte oder andre Monarchen mir den Erfolg meiner politischen Werbung um ihr Vertrauen und ihr Wohlwollen bestätigten. Unser Gesandter von Jordan in Dresden antwortete auf den scherzhaften Vorschlag, eine seiner vielen Decorationen abzutreten: »Je vous les cède toutes, pourvu que vous m'en laisserez une pour couvrir mes nudités diplomatiques.« In der That gehört ein grand cordon zur Toilette eines Gesandten, und wenn es nicht das des eignen Hofes ist, so bleibt die Möglichkeit, wechseln zu können, für elegante Diplomaten ebenso erwünscht wie für Damen bezüglich der Kleider. In Paris habe ich erlebt, daß unverständige Gewaltthaten gegen Menschenmassen plötzlich stockten, weil sie auf »un monsieur décoré« stießen. Orden zu tragen ist für mich, außer in Petersburg und Paris, niemals ein Bedürfniß gewesen; an beiden Orten muß man auf der Straße irgend ein Band am Rock zeigen, wenn man polizeilich und bürgerlich mit der wünschenswerthen Höflichkeit behandelt werden will. Sonst habe ich in jedem Falle nur die durch[70] die Gelegenheit gebotenen Decorationen angelegt; es ist mir immer als eine Chinoiserie erschienen, wenn ich wahrnahm, wie krankhaft der Sammlertrieb in Bezug auf Orden bei meinen Collegen und Mitarbeitern in der Bureaukratie entwickelt war, wie Geheimräthe, welche schon die ihnen aus der Brust quellende Ordenskaskade nicht mehr gut beherrschen konnten, den Abschluß irgend eines kleinen Vertrages anbahnten, weil sie zur Vervollständigung ihrer Sammlung noch des Ordens des mitkontrahirenden Staates bedurften.

Die Mitglieder der Kammern, welche 1849/50 die octroyirte Verfassung zu revidiren hatten, entwickelten eine sehr anstrengende Thätigkeit; es gab von 8 bis 10 Uhr Commissionssitzungen, von 10 bis 4 Plenarsitzungen, die zuweilen auch noch in später Abendstunde wiederholt wurden und mit den langdauernden Fraktionssitzungen abwechselten. Ich konnte daher mein Bewegungsbedürfniß nur des Nachts befriedigen und erinnere mich, manche Nacht zwischen dem Opernhause und dem Brandenburger Thore in der Mitte der Linden auf- und abgewandelt zu sein. Durch einen Zufall wurde ich damals auf den gesundheitlichen Nutzen des Tanzens aufmerksam, das ich mit 27 Jahren aufgegeben hatte in dem Gefühle, daß dieses Vergnügen nur »der Jugend« anstehe. Auf einem der Hofbälle bat mich eine mir befreundete Dame, ihren abhanden gekommenen Tänzer für den Cotillon zu suchen und, da ich ihn nicht fand, zu ersetzen. Nachdem ich die erste Schwindelbesorgniß auf dem glatten Parket des Weißen Saales überwunden hatte, tanzte ich mit Vergnügen und fand nachher einen so gesunden Schlaf, wie ich ihn lange nicht genossen hatte. In Frankfurt tanzte alle Welt, voran der 65jährige französische Gesandte Monsieur Marquis de Tallenay, nach Proklamirung des Kaiserthums in Frankreich: Monsieur le Marquis de Tallenay, und ich fand mich leicht in diese Gewohnheit, obschon es mir am Bunde nicht an Zeit zum Gehn und Reiten fehlte. Auch in Berlin, als ich Minister geworden war, versagte ich mich nicht, wenn ich von befreundeten Damen aufgefordert oder von Prinzessinnen zu einem Tanze befohlen wurde, bekam aber stets sarkastische Bemerkungen des Königs darüber zu hören, der mir zum Beispiel sagte: »Man macht es mir zum Vorwurf, einen leichtsinnigen Minister gewählt zu haben. Sie sollten den Eindruck nicht dadurch verstärken, daß Sie tanzen.« Den Prinzessinnen wurde dann untersagt, mich zum Tänzer zu wählen. Auch die andauernde Tanzfähigkeit des Herrn von Keudell hat mir, wenn es sich um seine Beförderung handelte,[71] bei Seiner Majestät Schwierigkeit gemacht. Es entsprach das der bescheidenen Natur des Kaisers, der seine Würde auch durch Vermeiden unnöthiger Aeußerlichkeiten, welche die Kritik herausfordern könnten, zu wahren gewöhnt war. Ein tanzender Staatsmann fand in seinen Vorstellungen nur in fürstlichen Ehrenquadrillen Platz; im raschen Walzer verlor er an Vertrauen auf die Weisheit seiner Rathschläge.

Nachdem ich mich auf dem Frankfurter Terrain zu Hause gemacht hatte, nicht ohne harte Zusammenstöße mit dem österreichischen Vertreter, zunächst in der Flottenangelegenheit, in welcher er Preußen autoritativ und finanziell zu verkürzen und für die Zukunft lahm zu legen suchte, beschied der König mich nach Potsdam und eröffnete mir am 28. Mai 1852, daß er sich entschlossen habe, mich nunmehr auf die hohe Schule der Diplomatie nach Wien zu schicken, zunächst als Vertreter, demnächst als Nachfolger des schwer erkrankten Grafen Arnim.1 Zu dem Zwecke übergab er mir das nachstehende Einführungsschreiben an Se. Majestät den Kaiser Franz Joseph vom 5. Juni:

»Euer Kaiserliche Majestät wollen es mir gütig gestatten, daß ich den Ueberbringer dieses Blattes mit einigen eigenhändigen Schriftzügen an Ihrem Hoflager introduzire. Es ist der Herr von Bismarck-Schönhausen. Er gehört einem Ritter-Geschlecht an, welches, länger als mein Haus in unsern Marken seßhaft, von jeher und besonders in ihm seine alten Tugenden bewährt hat. Die Erhaltung und Stärkung der erfreulichen Zustände unsres platten Landes verdanken wir mit seinem furchtlosen und energischen Mühen in den bösen Tagen der jüngst verflossenen Jahre. Ew. M. wissen, daß Herr von Bismarck die Stelle meines Bundesgesandten bekleidet. Da jetzt der Gesundheitszustand meines Gesandten an Ew. M. Kaiserlichen Hofe, des Grafen von Arnim, dessen zeitweilige Abwesenheit nöthig gemacht hat, das Verhältniß unsrer Höfe aber eine subalterne Vertretung nicht zuläßt (meiner Auffassung zufolge), so habe ich Herrn von Bismarck ausersehen, die Vices für Graf Arnim während dessen Abwesenheit zu versehen. Es ist mir ein befriedigender Gedanke, daß Ew. M. einen Mann kennen lernen, der bei uns im Lande wegen seines ritterlich-freien Gehorsams und seiner Unversöhnlichkeit gegen die Revolution bis in ihre Wurzeln hinein von Vielen verehrt, von Manchen gehaßt wird. Er ist mein Freund und treuer Diener und kommt mit dem frischen lebendigen sympathischen[72] Eindruck meiner Grundsätze, meiner Handlungsweise, meines Willens und ich setze hinzu meiner Liebe zu Oesterreich und zu Ew. M. nach Wien. Er kann, wenn es der Mühe werth gefunden wird, Ew. M. und Ihren höchsten Räthen über viele Gegenstände Rede und Antwort geben, wie es wohl Wenige im Stande sind; denn wenn nicht unerhörte, langvorbereitete Mißverständnisse zu tief eingewurzelt sind, was Gott in Gnaden verhüte, kann die kurze Zeit seiner Amtsführung in Wien wahrhaft segensreich werden. Herr von Bismarck kommt aus Frankreich, wo das, was die rheinbundschwangeren Mittelstaaten mit Entzücken die Differenzen Oesterreichs und Preußens nennen, jederzeit seinen stärksten Wiederhall und oft seine Quelle gehabt hat, und er hat diese Dinge und das Treiben daselbst mit scharfem und richtigem Blick betrachtet. Ich habe ihm befohlen, jede darauf gerichtete Frage Ew. M. und Ihrer Minister so zu beantworten, als hätte ich sie selbst an ihn gerichtet. Sollte es Ew. M. gefallen, von ihm Aufklärung über meine Auffassung und meine Behandlung der Zollvereins-Angelegenheit zu verlangen, so lebe ich der Gewißheit, daß mein Betragen in diesen Dingen, wenn auch vielleicht nicht das Glück Ihres Beifalls, doch sicher Ihre Achtung erringen wird. Die Anwesenheit des theuren herrlichen Kaisers Nicolaus ist mir eine wahre Herzstärkung gewesen. Die gewisse Bestätigung meiner alten und starken Hoffnung, daß Ew. M., er und ich vollkommen einig in der Wahrheit sind: daß unsre dreifache, unerschütterliche, gläubige und thatkräftige Eintracht allein Europa und das unartige und doch so geliebte Teutsche Vaterland aus der jetzigen Krise retten könne, erfüllt mich mit Dank gegen Gott und steigert meine alte treue Liebe zu Ew. M. Bewahren auch Sie, mein theuerster Freund, mir Ihre Liebe aus den fabelhaften Tagen von Tegernsee, und stärken Sie Ihr Vertrauen und Ihre so wichtige und so mächtige, dem gemeinsamen Vaterlande so unentbehrliche Freundschaft zu mir! Dieser Freundschaft empfehle ich mich aus der Tiefe meines Herzens, allertheuerster Freund, als Ew. Ks. M. treu und innigst ergebenster Onkel, Bruder und Freund.«

Ich fand in Wien das »einsylbige« Ministerium Buol, Bach, Bruck etc., keine Preußenfreunde, aber liebenswürdig für mich in dem Glauben an meine Empfänglichkeit für hohes Wohlwollen und meine Gegenleistung dafür auf geschäftlichem Gebiete. Ich wurde äußerlich ehrenvoller, als ich erwarten konnte, aufgenommen; aber geschäftlich, d.h. bezüglich der Zollsachen, blieb meine Mission erfolglos. Oesterreich hatte schon damals die Zolleinigung[73] mit uns im Auge, und ich hielt es weder damals noch später für rathsam, diesem Streben entgegenzukommen. Zu den nothwendigen Unterlagen einer Zollgemeinschaft gehört ein gewisser Grad von Gleichartigkeit des Verbrauchs; schon die Unterschiede der Interessen innerhalb des deutschen Zollvereins zwischen Nord und Süd, Ost und West sind schwer und nur mit dem guten Willen zu überwinden, der der nationalen Zusammengehörigkeit entspringt; zwischen Ungarn und Galizien einerseits und dem Zollverein andrerseits ist die Verschiedenheit des Verbrauchs zollpflichtiger Waaren zu stark, um eine Zollgemeinschaft durchführbar erscheinen zu lassen. Der Vertheilungsmaßstab für die Zollerträge würde stets für Deutschland nachtheilig bleiben, auch wenn die Ziffern es für Oesterreich zu sein schienen. Letzteres lebt in Cis- und mehr noch in Trans-Leithanien vorwiegend von eignen, nicht von importirten Erzeugnissen. Außerdem hatte ich damals allgemein und habe ich auch heute noch sporadisch nicht das nöthige Vertrauen zu undeutschen Unterbeamten im Osten.

Unser einziger Legationssekretär in Wien empfing mich mit Verstimmung darüber, daß er nicht Geschäftsträger wurde, und suchte in Berlin Urlaub nach. Derselbe wurde von dem Minister verweigert, von mir aber demnächst bewilligt. So kam es, daß ich mich auf den mir von früher her befreundeten hannöverschen Gesandten Graf Adolf Platen behufs der Vorstellung bei den Ministern und der Einführung in die diplomatische Gesellschaft angewiesen fand.

In vertraulichem Gespräch fragte er mich gelegentlich, ob auch ich glaubte, daß ich zu Manteuffels Nachfolger bestimmt sei. Ich erwiderte, das läge einstweilen nicht in meinen Wünschen. Ich glaubte allerdings, daß der König mich in späterer Zeit einmal zu seinem Minister zu machen gedenke und mich dazu erziehen wolle, in dieser Absicht auch mir die mission extraordinaire nach Oesterreich übertragen habe. Mein Wunsch aber wäre, noch etwa zehn Jahre lang in Frankfurt oder an verschiedenen Höfen als Gesandter die Welt zu sehn und dann gern etwa zehn Jahre lang, womöglich mit Ruhm, Minister zu sein, dann auf dem Lande über das Erlebte nachzudenken und wie mein alter Onkel in Templin bei Potsdam Obstbäume zu pfropfen. Dieses scherzende Gespräch war von Platen nach Hannover berichtet worden und dort zur Kenntniß des General-Steuerdirectors Klentze gekommen, der mit Manteuffel über Zollsachen verhandelte und in mir den Junker im Sinne der liberalen Bureaukraten haßte. Er hatte nichts Eiligeres zu thun, als entstellte Angaben aus Platens Bericht an Manteuffel mitzutheilen[74] in dem Sinne, als ob ich an dessen Sturze arbeitete. Bei meiner Rückkehr von Wien nach Berlin (9. Juli) hatte ich an Aeußerlichem die Wirkung dieser Einbläserei wahrzunehmen. Sie bestand in einer Abkühlung meiner Beziehungen zu meinem Chef, und ich wurde nicht mehr wie bis dahin gebeten, bei ihm zu wohnen, wenn ich nach Berlin kam. Verdacht wurden mir dabei auch meine freundschaftlichen Beziehungen zu dem General von Gerlach.

Die Genesung des Grafen Arnim gestattete mir, meinem Wiener Aufenthalte ein Ende zu machen, und vereitelte einstweilen die Absicht des Königs, mich zum Nachfolger Arnims zu ernennen. Aber auch wenn diese Genesung nicht eingetreten wäre, würde ich den dortigen Posten nicht gern übernommen haben, weil ich schon damals das Gefühl hatte, durch mein Auftreten in Frankfurt persona ingrata in Wien geworden zu sein. Ich hatte die Befürchtung, daß man dort fortfahren würde, mich als gegnerisches Element zu behandeln, mir den Dienst zu erschweren und mich am Berliner Hofe zu discreditiren, was durch Hofkorrespondenz, wenn ich in Wien fungirte, noch leichter gewesen wäre als über Frankfurt.

Später sind mir Unterredungen erinnerlich, welche ich auf langen Eisenbahnfahrten unter vier Augen mit dem Könige über Wien hatte. Ich nahm dann die Stellung, zu sagen: »Wenn Eure Majestät befehlen, so gehe ich dahin, aber freiwillig nicht, ich habe mir die Abneigung des österreichischen Hofes in Frankfurt im Dienste Eurer Majestät zugezogen, und ich werde das Gefühl haben, meinen Gegnern ausgeliefert zu sein, wenn ich Gesandter in Wien werden sollte. Jede Regierung kann jeden Gesandten, der bei ihr beglaubigt ist, mit Leichtigkeit schädigen und durch Mittel, wie sie die österreichische Politik in Deutschland anwendet, seine Stellung verderben.« Die Erwiderung des Königs pflegte zu sein: »Befehlen will ich nicht, Sie sollen freiwillig hingehen und mich darum bitten; es ist das eine hohe Schule für Ihre diplomatische Ausbildung, und Sie sollten mir dankbar sein, wenn ich diese Ausbildung, weil es bei Ihnen der Mühe lohnt, übernehme.«

Ich war überzeugt, daß ich dem Könige gegenüber als Minister eine für mich haltbare Ministerstellung nicht erlangen würde. Er sah in mir ein Ei, was er selbst gelegt hatte und ausbrütete, und würde bei Meinungsverschiedenheiten immer die Vorstellung gehabt haben, daß das Ei klüger sein wolle als die Henne. Daß die Ziele der preußischen auswärtigen Politik, welche mir vorschwebten, sich mit denen des Königs nicht vollständig deckten, war mir klar, ebenso die Schwierigkeit, welche ein verantwortlicher Minister[75] dieses Herrn zu überwinden hatte bei dessen selbstherrlichen Anwandlungen mit oft jähem Wechsel der Ansichten, bei der Unregelmäßigkeit in Geschäften und bei der Zugänglichkeit für unberufene Hintertreppen-Einflüsse von politischen Intriguanten, wie sie von den Adepten unsrer Kurfürsten bis auf neuere Zeiten in dem regierenden Hause, sogar bei dem strengen und hausbacknen Friedrich Wilhelm I. Zutritt gefunden haben – pharmacopolae, balatrones, hoc genus omne. Die Schwierigkeit, gleichzeitig gehorsamer und verantwortlicher Minister zu sein, war damals größer als unter Wilhelm I.

Im Jahre 1853 war mir in Hannover die Aussicht, Minister zu werden, eröffnet. Nach Beendigung meiner Badekur in Norderney wurde ich von dem eben aus dem Ministerium Schele ausgetretenen Minister Bacmeister sondirt, ob ich Minister des Königs Georg werden wolle. Ich sprach mich dahin aus, daß ich in der auswärtigen Politik Hannover nur dienen könne, wenn der König vollständig Hand in Hand mit Preußen gehen wolle; ich könnte mein Preußenthum nicht ausziehen wie einen Rock. Auf dem Wege zu den Meinigen nach Villeneuve am Genfer See, den ich von Norderney über Hannover nahm, hatte ich mehrere Conferenzen mit dem Könige. Eine derselben fand statt in einem, zwischen seinem Schlafzimmer und dem der Königin gelegenen Cabinet im Erdgeschoß des Schlosses. Der König wollte, daß die Thatsache unsrer Besprechung nicht bekannt werde, hatte mich aber um fünf Uhr zur Tafel befohlen. Er kam auf die Frage, ob ich sein Minister werden wolle, nicht zurück, sondern verlangte nur von mir als Sachkundigem in bundestäglichen Geschäften einen Vortrag über die Art und Weise, wie die Verfassung von 1848 mit Hülfe von Bundesbeschlüssen revidirt werden könne. Nachdem ich meine Ansicht entwickelt hatte, verlangte er eine schriftliche Redaction derselben und zwar auf der Stelle. Ich schrieb also in der ungeduldigen Nachbarschaft des an demselben Tische sitzenden Königs die Hauptzüge des Operationsplans nieder unter den erschwerenden Umständen, welche ein selten gebrauchtes Schreibzeug bereitete: Dinte dick, Feder schlecht, Papier rauh, Löschblatt nicht vorhanden; die von mir gelieferte vier Seiten lange Staatsschrift mit ihren Dintenflecken war nicht als ein kanzleimäßiges Mundum anzusehen. Der König schrieb überhaupt nur seine Unterschrift, und auch diese schwerlich in dem Gemach, in welchem er des Geheimnisses wegen mich empfangen hatte. Das Geheimnis wurde freilich dadurch durchbrochen, daß es darüber sechs Uhr geworden war und der[76] auf fünf befohlenen Tischgesellschaft die Ursache der Verspätung nicht entgehen konnte. Als die hinter dem Könige stehende Uhr schlug, sprang er auf und ging wortlos und mit einer bei seiner Blindheit überraschenden Schnelligkeit und Sicherheit durch das mit Meubeln besetzte Gemach in das benachbarte Schlaf- oder Ankleidezimmer. Ich blieb allein, ohne Direction, ohne Kenntniß der Localität des Schlosses, nur durch eine Aeußerung des Königs unterrichtet, daß die eine der drei Thüren in das Schlafzimmer der an den Masern krank liegenden Königin führte. Nachdem ich mir hatte sagen müssen, daß Niemand kommen werde, mich zu geleiten, trat ich durch die dritte Thür hinaus und fand mich einem Lakaien gegenüber, der mich nicht kannte und über mein Erscheinen in diesem Theile des Schlosses erschrocken und aufgeregt war, sich jedoch beruhigte, als ich dem Accente seiner mißtrauischen Frage entsprechend englisch antwortete und zu der königlichen Tafel geführt zu werden verlangte.

Am Abende, ich weiß nicht, ob desselben oder des folgenden Tages, hatte ich wieder eine lange Audienz ohne Zeugen. Während derselben nahm ich mit Erstaunen wahr, wie nachlässig der blinde Herr bedient war. Die ganze Beleuchtung des großen Zimmers bestand in einem Doppelleuchter mit zwei Wachskerzen, an denen schwere, metallene Lichtschirme angeklemmt waren. Der eine fiel in Folge Niederbrennens der Kerze mit einem Geräusch, wie der Schlag auf ein Gong, zu Boden; es erschien aber Niemand, befand sich auch Niemand im Nebenzimmer, und ich mußte mir von dem hohen Herrn die Stelle der Klingel bezeichnen lassen, die ich zu ziehen hatte. Diese Verlassenheit des Königs war mir um so auffälliger, als der Tisch, an welchem wir saßen, mit allen möglichen amtlichen oder privaten Papieren so bedeckt war, daß einzelne bei Bewegungen des Königs herunterfielen und von mir aufgehoben werden mußten. Nicht weniger auffällig war es, daß der blinde Herr mit einem fremden Diplomaten, wie ich, ohne jede ministerielle Kenntnißnahme Stunden lang verhandelte.

Die Erwähnung meines damaligen Aufenthalts in Hannover erinnert mich an einen Vorgang, der mir nie klar geworden ist. Dem preußischen Commissarius, der in Hannover über die schwebenden Zollangelegenheiten zu verhandeln hatte, war von Berlin aus ein Consul Spiegelthal zur Aushülfe beigeordnet worden. Als ich desselben als eines preußischen Beamten im Gespräche mit dem mir befreundeten Minister von Schele erwähnte, gab dieser lachend sein Erstaunen zu erkennen: »Er hätte den Mann nach seiner Thätigkeit[77] für einen österreichischen Agenten gehalten.« Ich telegraphirte chiffrirt an den Minister von Manteuffel und rieth, das Gepäck des Spiegelthal, der in den nächsten Tagen nach Berlin zurückreisen wollte, bei der Zollrevision an der Grenze untersuchen und seine Papiere in Beschlag nehmen zu lassen. Meine Erwartung, in den folgenden Tagen davon zu lesen oder zu hören, erfüllte sich nicht. Während ich die letzten Octobertage in Berlin und Potsdam zubrachte, erzählte der General von Gerlach mir u.A.: »Manteuffel habe zuweilen ganz sonderbare Einfälle; so habe er vor Kurzem verlangt, daß der Consul Spiegelthal zur königlichen Tafel gezogen werde, und habe unter Stellung der Cabinetsfrage sein Verlangen durchgesetzt.«

1

Heinrich Friedrich Graf von Arnim-Heinrichsdorf-Werbelow, geb. 1791, gest. 1859

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 78.
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