III

[290] Als der König dieses Schreiben erhielt, war er schon aus der Verstrickung der darin wiederholten Argumente frei geworden durch den Gasteiner Vertrag vom 20. August 1865. Mit welchen Schwierigkeiten ich bei den Verhandlungen über denselben noch zu kämpfen hatte, welche Vorsicht zu beachten war, zeigt mein nachstehendes Schreiben an Se. Majestät:


Gastein, 1. August 1865


Allergnädigster König und Herr.

Ew. M. wollen mir huldreich verzeihen, wenn eine vielleicht zu weit getriebene Sorge für die Interessen des allerhöchsten Dienstes mich veranlaßt, auf die Mittheilungen zurückzukommen, welche Ew. M. soeben die Gnade hatten mir zu machen. Der Gedanke einer Theilung auch nur der Verwaltung der Herzogthümer würde, wenn er im Augustenburgischen Lager ruchbar würde, einen heftigen Sturm in Diplomatie und Presse erregen, weil man den Anfang der definitiven Theilung darin erblicken und nicht zweifeln würde, daß die Landestheile, welche der ausschließlich preußischen Verwaltung anheimfallen, für Augustenburg verloren sind. Ich glaube mit Ew. M., daß I.M. die Königin die Mittheilungen geheim halten werde; wenn aber von Coblenz im Vertrauen auf die verwandtschaftlichen Beziehungen eine Andeutung an die Königin Victoria, an die Kronprinzlichen Herrschaften, nach Weimar oder nach Baden gelangte, so könnte allein die Thatsache, daß von uns das Geheimniß, welches ich dem Grafen Blome auf sein Verlangen zusagte, nicht bewahrt worden ist, das Mißtrauen des Kaisers Franz Joseph wecken und die Unterhandlung zum Scheitern bringen. Hinter diesem Scheitern steht aber fast unvermeidlich der[290] Krieg mit Oesterreich; Ew. M. wollen es nicht nur meinem Interesse für den allerhöchsten Dienst, sondern meiner Anhänglichkeit an Allerhöchstdero Person zu Gute halten, wenn ich von dem Eindrucke beherrscht bin, daß Ew. M. in einen Krieg mit einem andern Gefühle und mit freierem Muthe hineingehen werden, wenn die Nothwendigkeit dazu sich aus der Natur der Dinge und aus den monarchischen Pflichten ergibt, als wenn der Hintergedanke Raum gewinnen kann, daß eine vorzeitige Kundwerdung der beabsichtigten Lösung den Kaiser abgehalten habe, zu dem letzten für Ew. M. annehmbaren Auskunftsmittel die Hand zu bieten. Vielleicht ist meine Sorge thöricht, und selbst wenn sie begründet wäre und Ew. M. darüber hinweggehen wollen, so würde ich denken, daß Gott Ew. M. Herz lenkt, und meinen Dienst deshalb nicht minder freudig thun, aber zur Wahrung des Gewissens doch ehrfurchtsvoll anheimgeben, ob Ew. M. mir nicht befehlen wollen, den Feldjäger telegraphisch von Salzburg zurückzurufen.† Die äußere Veranlassung dazu könnte die ministerielle Expedition bieten, und es könnte morgen ein andrer an seiner Statt oder derselbe rechtzeitig abgehen. Eine Abschrift dessen, was ich an Werther über die Verhandlung mit Graf Blome telegraphirt habe, lege ich allerunterthänigst bei. Zu Ew. M. bewährter Gnade habe ich das ehrfurchtsvolle Vertrauen, daß Allerhöchstdieselben, wenn Sie meine Bedenken nicht gutheißen, deren Geltendmachung dem aufrichtigen Streben verzeihen wollen, Ew. M. nicht nur pflichtmäßig, sondern auch zu Allerhöchstdero persönlicher Befriedigung zu dienen.


An der mit † bezeichneten Stelle dieses Schreibens hat der König an den Rand geschrieben:


»Einverstanden. – Ich that der Sache deshalb Erwähnung, weil in den letzten 24 Stunden ihrer nicht mehr Erwähnung geschah und ich sie als ganz aus der Combination fallengelassen ansah, nachdem die wirkliche Trennung und Besitzergreifung an die Stelle getreten war. Durch meine Mittheilung an die Königin wollte ich den Uebergang dereinst anbahnen zur Besitzergreifung, die sich nach und nach aus der Admi nistrations-Theilung entwickelt hätte. Indessen dies kann ich auch später so darstellen, wenn die Eigenthumstheilung wirklich erfolgt, an die ich noch immer nicht glaube, da Oesterreich zu stark zurückstecken muß, nachdem es sich für Augustenburg und gegen Besitznahme, wenn freilich die einseitige, zu sehr avancirte.

W.«
[291]

Nach dem Gasteiner Vertrage und der Besitznahme von Lauenburg, der ersten Mehrung des Reichs unter König Wilhelm, fand meiner Wahrnehmung nach ein psychologischer Wandel in seiner Stimmung, ein Geschmackfinden an Eroberungen statt, aber doch mit vorwiegender Befriedigung darüber, daß dieser Zuwachs, der Hafen von Kiel, die militärische Stellung in Schleswig und das Recht, einen Canal durch Holstein zu bauen, in Friede und Freundschaft mit Oesterreich gewonnen worden war.

Ich denke mir, daß das Verfügungsrecht über den Kieler Hafen bei Sr. Majestät schwerer in das Gewicht gefallen ist als der Eindruck der neuerworbenen freundlichen Landschaft von Ratzeburg mit seinem See. Die deutsche Flotte, und der Kieler Hafen als Unterlage ihrer Errichtung, war seit 1848 einer der zündenden Gedanken gewesen, an deren Feuer die deutschen Einheitsbestrebungen sich zu erwärmen und zu versammeln pflegten. Einstweilen aber war der Haß meiner parlamentarischen Gegner stärker als das Interesse für die deutsche Flotte, und es schien mir, daß die Fortschrittspartei damals die neuerworbenen Rechte Preußens auf Kiel und die damit begründete Aussicht auf unsre maritime Zukunft lieber in den Händen des Auctionators Hannibal Fischer als in denen des Ministeriums Bismarck gesehen hätte. Das Recht zu Klagen und Vorwürfen und die Vernichtung deutscher Hoffnungen durch diese Regierung hätte den Abgeordneten größere Befriedigung gewährt als der gewonnene Fortschritt auf dem Wege zur Erfüllung derselben. Ich schalte einige Stellen aus der Rede ein, welche ich am 1. Juni 1865 für den außerordentlichen Geldbedarf der Marine gehalten habe.

»Es hat wohl keine Frage die öffentliche Meinung in Deutschland in den letzten 20 Jahren so einstimmig interessirt wie gerade die Flottenfrage. Wir haben gesehen, daß die Vereine, die Presse, die Landtage ihren Sympathien Ausdruck gaben, diese Sympathien haben sich in Sammlung von verhältnißmäßig recht bedeutenden Beträgen bethätigt. Den Regierungen, der conservativen Partei wurden Vorwürfe gemacht über die Langsamkeit und über die Kargheit, mit der in dieser Richtung vorgegangen würde; es waren besonders die liberalen Parteien, die dabei thätig waren. Wir glaubten deshalb, Ihnen eine rechte Freude mit dieser Vorlage zu machen.

Ich war nicht darauf gefaßt, in dem Bericht der Commission eine indirecte Apologie Hannibal Fischers zu finden, der die deutsche Flotte unter den Hammer brachte. Auch diese deutsche Flotte scheiterte daran, daß in den deutschen Gebieten, ebenso in den höheren,[292] regierenden Kreisen, wie in den niederen, die Parteileidenschaft mächtiger war als der Gemeinsinn. Ich hoffe, daß der unsrigen dasselbe nicht beschieden sein wird. Ich war einigermaßen überrascht ferner darüber, daß dem Gebiete der Technik ein so großer Raum in dem Berichte angewiesen war. Ich zweifle nicht daran, daß es viele unter Ihnen giebt, die vom Seewesen mehr verstehen als ich und mehr zur See gewesen sind als ich, die Mehrzahl unter Ihnen, meine Herren, ist es aber nicht, und doch muß ich sagen, ich würde mich nicht getrauen, über technische Details der Marine ein Urtheil zu fällen, welches meine Abstimmung motiviren, welches mir Motive zur Verwerfung einer Marinevorlage geben könnte. Ich kann mich deshalb auch mit der Widerlegung dieses Theils Ihrer Einwendungen nicht beschäftigen. – Ihr Zweifel, ob es mir gelingen wird, Kiel zu erwerben, berührt mein Ressort näher. Wir besitzen in den Herzogthümern mehr als Kiel, wir besitzen die volle Souveränetät in den Herzogthümern in Gemeinschaft mit Oesterreich, und ich wüßte nicht, wer uns dieses Pfand, das dem von uns erstrebten Object an Werth so viel überlegen ist, nehmen könnte anders als durch einen für Preußen unglücklichen Krieg. Fassen wir aber diese Eventualität in's Auge, so können wir jeden in unsrem Besitz befindlichen Hafen ebenso gut verlieren. Unser Besitz ist ein gemeinsamer, das ist wahr, mit Oesterreich. Nichtsdestoweniger ist er ein Besitz, für dessen Aufgebung wir berechtigt sein würden, unsre Bedingungen zu stellen. Eine dieser Bedingungen, und zwar eine der ganz unerläßlichen, ohne deren Erfüllung wir diesen Besitz nicht aufgeben wollen, ist das künftige alleinige Eigenthum des Kieler Hafens für Preußen. –

Angesichts der Rechte, die sich in unsern Händen und in denen Oesterreichs befinden, sehe ich nicht ein, wie uns die schließliche Erfüllung unsrer Bedingungen entgehen sollte, sobald wir nur nicht die Geduld verlieren, sondern ruhig abwarten, ob sich Jemand findet, der es unternimmt, Düppel zu belagern, wenn die Preußen darin sind.

Zweifeln Sie dennoch an der Möglichkeit, unsre Absichten zu verwirklichen, so habe ich schon in der Commission ein Auskunftsmittel empfohlen: limitiren Sie die Anleihe dahin, daß die erforderlichen Beträge nur dann zahlbar sind, wenn wir wirklich Kiel besitzen, und sagen Sie: ›Kein Kiel, kein Geld!‹ Ich glaube, daß Sie andern Ministern als denen, die jetzt die Ehre haben, sich des Vertrauens Sr. Majestät des Königs zu erfreuen, eine solche Bedingung nicht abschlagen würden.[293]

Ich bin überzeugt, daß ihr [d.h. der Bevölkerung] in die Weisheit des Königs gesetztes Vertraun sie nicht täuschen wird; aber ich kann doch nicht leugnen, daß es mir einen peinlichen Eindruck macht, wenn ich sehe, daß angesichts einer großen nationalen Frage, die seit 20 Jahren die öffentliche Meinung beschäftigt hat, diejenige Versammlung, die in Europa für die Concentration der Intelligenz und des Patriotismus in Preußen gilt, zu keiner andern Haltung als zu der einer impotenten Negative sich erheben kann. Es ist dies, meine Herren, nicht die Waffe, mit der Sie dem Königthum das Scepter aus der Hand winden werden, es ist auch nicht das Mittel, durch das es Ihnen gelingen wird, unsern constitutionellen Einrichtungen diejenige Festigkeit und weitere Ausbildung zu geben, deren sie bedürfen.« –

Die Forderung für die Marine wurde abgelehnt.

Es liegt im Rückblick auf die Situation ein bedauerlicher Beweis, bis zu welchem Maße von Unehrlichkeit und Vaterlandslosigkeit die politischen Parteien bei uns auf dem Wege des Parteihasses gelangen. Es mag Aehnliches anderswo vorgekommen sein, doch weiß ich kein Land, wo das allgemeine Nationalgefühl und die Liebe zum Gesammtvaterlande den Ausschreitungen der Parteileidenschaft so geringe Hindernisse bereitet wie bei uns. Die für apokryph gehaltene Aeußerung, welche Plutarch dem Cäsar in den Mund legt, lieber in einem elenden Gebirgsdorfe der Erste als in Rom der Zweite sein zu wollen, hat mir immer den Eindruck eines ächt deutschen Gedankens gemacht. Nur zu viele unter uns denken im öffentlichen Leben so und suchen das Dörfchen, und wenn sie es geographisch nicht finden können, die Fraktion resp. Unterfraktion und Coterie, wo sie die Ersten sein können. Diese Sinnesrichtung, die man nach Belieben Egoismus oder Unabhängigkeit nennen kann, hat in der ganzen deutschen Geschichte von den rebellischen Herzogen der ersten Kaiserzeiten bis auf die unzähligen reichsunmittelbaren Landesherren, Reichs-Städte, Reichs-Dörfer, -Abteien und -Ritter und die damit verbundene Schwäche und Wehrlosigkeit des Reichs ihre Bethätigung gefunden. Einstweilen findet sie im Parteiwesen, welches die Nation zerklüftet, stärkeren Ausdruck als in der rechtlichen oder dynastischen Zerrissenheit. Die Parteien scheiden sich weniger durch Programme und Principien als durch die Personen, welche als Condottieri an der Spitze einer jeden stehen und für sich eine möglichst große Gefolgschaft von Abgeordneten und publicistischen Strebern anzuwerben suchen, welche hoffen, mit dem Führer oder den Führern zur Macht zu[294] gelangen. Principielle programmatische Unterschiede, durch welche die Fraktionen zu Kampf und Feindschaft gegen einander genöthigt würden, liegen nicht in einer Stärke vor, welche hinreichte, um die leidenschaftlichen Kämpfe zu motiviren, welche die Fraktionen gegen einander glauben ausfechten zu müssen und welche Conservative und Freiconservative in getrennte Lager verweisen. Auch innerhalb der conservativen Partei haben wohl Viele das Gefühl, daß sie mit der »Kreuzzeitung« und ihrem Zubehör nicht im Einverständnisse sind. Aber die principielle Scheidelinie in einem Programme zu präcisiren und überzeugend auszudrücken, würden auch die Führer und Unterführer für eine schwere Aufgabe halten, gerade so, wie confessionelle Fanatiker, und nicht blos Laien, in der Regel der Nothwendigkeit ausweichen oder die Auskunft schuldig bleiben, wenn man sie nach den unterscheidenden Merkmalen der verschiedenen Bekenntnisse und Glaubensrichtungen und nach dem Schaden fragt, welchen sie für ihr Seelenheil befürchten, wenn sie eine der Abweichungen des Andersgläubigen nicht angriffsweise bekämpfen. So weit die Parteien sich nicht lediglich nach wirthschaftlichen Interessen gruppiren, kämpfen sie im Interesse der rivalisirenden Führer der Fraktionen und nach deren persönlichem Willen und Streberthum; nicht Verschiedenheit von Principien, sondern Kephisch oder Paulinisch ist die Frage.

Ein Andenken an den Gasteiner Vertrag ist das nachstehende Schreiben des Königs:


»Berlin, den 15. September 1865


Mit dem heutigen Tage vollziehet sich ein Act, die Besitzergreifung des Herzogthums Lauenburg, als eine Folge meiner, von Ihnen mit so großer und ausgezeichneter Umsicht und Einsicht befolgten Regierung. Preußen hat in den vier Jahren, seit welchen ich Sie an die Spitze der Staats-Regierung berief, eine Stellung eingenommen, die seiner Geschichte würdig ist und demselben auch eine fernere glückliche und glorreiche Zukunft verheißt. Um Ihrem hohen Verdienste, dem ich so oft Gelegenheit hatte, meinen Dank auszusprechen, auch einen öffentlichen Beweis desselben zu geben, erhebe ich Sie hiermit mit Ihrer Deszendenz in den Grafen Stand, eine Auszeichnung, welche auch [auf] immerhin beweisen wird, wie hoch ich Ihre Leistungen um das Vaterland zu würdigen wußte.

Ihr

wohlgeneigter König

Wilhelm.«

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 290-295.
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