[295] Die Verhandlungen zwischen Berlin und Wien, zwischen Preußen und den übrigen deutschen Staaten, welche die Zeit von dem Gasteiner Vertrage bis zum Ausbruch des Kriegs ausfüllten, sind actenmäßig bekannt; in Süddeutschland tritt Streit und Kampf mit Preußen zum Theil hinter deutsch-patriotische Gefühle zurück; in Schleswig-Holstein beginnen diejenigen, deren Wünsche nicht in Erfüllung gingen, sich mit der neuen Ordnung der Dinge auszusöhnen; nur die Welfen werden des Federkrieges über die Ereignisse von 1866 nicht müde.
Die unvortheilhafte Gestaltung, welche Preußen auf dem Wiener Congreß als Lohn seiner Anstrengungen und Leistungen davon getragen hatte, war nur haltbar, wenn wir mit den zwischen beide Theile der Monarchie eingeschobenen Staaten des alten Bündnisses aus dem siebenjährigen Kriege sicher waren. Ich bin lebhaft bemüht gewesen, Hannover und den mir befreundeten Graf Platen dafür zu gewinnen, und es war alle Aussicht vorhanden, daß wenigstens ein Neutralitätsvertrag zu Stande kommen werde, als im Januar oder Februar 1866 Graf Platen in Berlin mit mir über die Verheirathung der hannöver'schen Prinzessin Friederike mit unsrem jungen Prinzen Albrecht verhandelte und wir das Einverständniß beider Höfe so weit zu Stande brachten, daß nur noch eine persönliche Begegnung der jungen Herrschaften vorbehalten wurde, um deren gegenseitigen Eindruck festzustellen.
Aber schon im März oder April fing man in Hannover unter fadenscheinigen Vorwänden an, Reserven einzuberufen. Es hatten Einflüsse auf den König Georg stattgefunden, namentlich durch seinen Halbbruder, den österreichischen General Prinzen Solms, der nach Hannover gekommen war und den König umgestimmt hatte durch übertriebene Schilderung der österreichischen Heereskräfte von denen 800000 Mann bereit seien, und wie ich aus intimen hannöver'schen Quellen vernommen habe, auch durch ein Erbieten von territorialer Vergrößerung, mindestens durch den Regierungs-Bezirk Minden. Meine amtlichen Anfragen bezüglich der Rüstungen Hannovers wurden mit der fast höhnisch klingenden Auskunft beantwortet, daß die Herbstübungen aus wirthschaftlichen Gründen schon im Frühjahr abgehalten werden sollten.
Mit dem Thronfolger in Kur-Hessen, Prinzen Friedrich Wilhelm, hatte ich in Berlin noch am 14. Juni eine Besprechung, in der ich ihm empfahl, mit einem Extrazuge nach Kassel zu fahren und die[296] Neutralität Kurhessens oder doch der dortigen Truppen sicher zu stellen, sei es durch Beeinflussung des Kurfürsten, sei es unabhängig von demselben. Der Prinz weigerte sich, früher als mit dem fahrplanmäßigen Zuge zu reisen. Ich stellte ihm vor, er würde dann zu spät kommen, um den Krieg zwischen Preußen und Hessen zu hindern und den Fortbestand des Kurstaats zu sichern. Wenn die Oesterreicher siegten, so würde er immer vis major geltend machen können, seine neutrale Haltung ihm sogar preußische Landestheile einbringen, wenn wir aber siegten, nachdem er sich geweigert, neutral zu bleiben, so würde der Kurstaat nicht fortbestehen; der hessische Thron sei immer einen Extrazug werth. Der Prinz machte der Unterredung ein Ende mit den Worten: »Wir sehen uns wohl noch einmal in diesem Leben wieder, und 800000 gute österreichische Truppen haben auch noch ein Wort mitzureden.« Hatte doch auch die von dem Könige noch aus Horsitz am 6. und aus Pardubitz am 8. Juli in dem freundschaftlichsten Tone an den Kurfürsten gerichtete Aufforderung, ein Bündniß mit Preußen zu schließen und seine Truppen aus dem feindlichen Lager zurückzurufen, keinen Erfolg.
Auch der Erbprinz von Augustenburg hatte durch Ablehnung der sogenannten Februarbedingungen den günstigen Moment versäumt. Von welfischer Seite1 ist neuerdings folgende Version verbreitet worden: Der Verfasser behauptet, von dem Prinzen erfahren zu haben, daß derselbe sich in einer Audienz bei dem Könige Wilhelm zu den geforderten Zugeständnissen verpflichtet, der König ihm die Einsetzung als Herzog zugesichert und die formelle Erledigung durch den Ministerpräsidenten auf den nächsten Tag zugesagt habe. Ich hätte mich am folgenden Tage bei dem Prinzen eingestellt, ihm aber gesagt, mein Wagen hielte vor der Thüre, ich müsse in diesem Augenblicke nach Biarritz zum Kaiser Napoleon reisen, der Prinz sei aufgefordert worden, einen Bevollmächtigten in Berlin zurückzulassen, und nicht wenig erstaunt gewesen, am nächsten Tage in den Berliner Zeitungen zu lesen, daß er die preußischen Vorschläge abgelehnt habe.
Es ist das eine plumpe Erfindung, in der Hauptsache und in allen Einzelheiten. Die Verhandlungen mit dem Erbprinzen sind von Sybel nach den Acten dargestellt; ich habe dazu aus meiner Erinnerung und meinen Papieren einiges nachzutragen. Der König ist niemals mit dem Erbprinzen einig gewesen; ich war nie in des Letztern Wohnung und habe ihm gegenüber nie die Namen[297] Biarritz und Napoleon ausgesprochen; ich bin 1864 am 1. October nach Baden, von dort am 5. nach Biarritz, 1865 am 30. September direct dorthin gereist und 1863 gar nicht in Biarritz gewesen. Eine Unterredung mit ihm habe ich zweimal gehabt; auf die erste bezieht sich sein nachstehender Brief:
»Ew. wollen mir erlauben, daß ich mich in einigen Zeilen an Sie wende, die veranlaßt sind durch einen Artikel, den No. 282 der Kreuzzeitung [also wohl vom 9. October] bringt, und von welchem ich erst nachträglich Kenntniß erhalten habe. In diesem Artikel wird u.A. von mir berichtet, ich habe einem Deputirten gegenüber die Aeußerung gethan, ›Herr von Bismarck sei mein Freund nicht‹. Den Wortlaut dessen, was ich bei jener Gelegenheit gesagt habe, vermag ich nicht anzugeben, da es sich hier um eine in der Conversation gefallene Aeußerung handelt. Es ist recht wohl möglich, daß ich mein Bedauern darüber ausgesprochen habe, daß Ew. politische Anschauungen über die gegenwärtige Lage der schleswig-holstein'schen Angelegenheit nicht mit den meinigen übereinstimmen, wie ich keinen Anstand genommen habe, dies Ihnen selbst gegenüber bei meiner letzten Anwesenheit in Berlin offen auszusprechen. Ich bin mir jedoch vollkommen bewußt, daß ich die in der Zeitung referirte Aeußerung nicht gethan habe, da ich mir stets zur festen Regel gemacht habe, das Politische von dem Persönlichen zu trennen. Ich bedauere daher aufrichtig, daß eine solche Nachricht ihren Weg in die Zeitungen gefunden hat.
Ich habe mich umsomehr verpflichtet gefühlt, mit dieser Erklärung nicht zurückzuhalten, je mehr ich die loyale Weise anerkennen muß, in welcher Ew. mir in Berlin offen sagten, daß Sie zwar persönlich von mei nem Rechte überzeugt seien und es billigten, wenn ich suchte meinem Rechte Geltung zu verschaffen, daß Sie jedoch in Berücksichtigung der von Preußen eingegangenen Verbindlichkeiten sowie der allgemeinen Weltlage mir keine Versprechungen zu machen vermöchten.
Mit pp.
Gotha, den 11. Dec. 63.
Friedrich.«
Am 16. Januar 1864 schrieb mir S.M.:
»Mein Sohn kam heute Abend noch zu mir, um mir die Bitte des Erbprinzen von Augustenburg vorzutragen, aus den Händen des[298] Herrn Samwer ein Schreiben desselben entgegenzunehmen, und ob ich nicht dieserhalb seine Soirée besuchen wolle, wo ich ganz unbemerkt den pp. S. in einem abgelegenen Zimmer finden könne. Ich lehnte dies ab, bis ich den Brief des Prinzen gelesen haben würde, weshalb ich meinem Sohn aufgab, mir denselben zuzusenden. Dies ist geschehen und lege ich den Brief hier bei. Er enthält nichts Verfängliches außer am Schluß, wo er mich fragt, ob ich dem pp. S. nicht einige Hoffnung geben könne? Vielleicht könnten Sie mir eine Antwort morgen noch fertigen lassen, die ich dem pp. S. mitgeben kann. Wenn ich ihn incognito bei meinem Sohne doch noch sehen wollte, so könnte ich ihm keine andere Hoffnung geben, als die, welche in der Punctation2 angedeutet sind, d.h., daß man nach dem Siege sehen würde, welche neue Basen für die Zukunft aufzustellen wären, und den Ausspruch in F. a/M. über die Succesion abzuwarten.
W.«
Und am 18. Januar:
»Ich berichte Ihnen, daß ich mich doch entschloß, den Samwer bei meinem Sohne zu sehen ungefähr 6–10 Minuten in dessen Gegenwart. Ich sprach ihm ganz im Sinne der projectirten Antwort, aber noch etwas kühler und sehr ernst. Vor Allem sagte ich bestimmt, daß der Prinz keinen Falls nach Schleswig einfallen dürfe.
W.«
In einer Denkschrift vom 26. Februar 1864 bezeichnete der Kronprinz folgende Forderungen Preußens als sachlich begründet: Rendsburg Bundesfestung, Kiel eine preußische Marinestation, Beitritt zum Zollverein, Bau eines Canals zwischen beiden Meeren und eine Militär- und Marine-Convention mit Preußen; er hege die Hoffnung, daß der Erbprinz bereit willig darauf eingehen werde.
Nachdem die preußischen Bevollmächtigten im Mai 1864 auf der Londoner Conferenz die Erklärung abgegeben hatten, daß die deutschen Mächte die Constituirung Schleswig-Holsteins als eines selbständigen Staates unter der Souveränetät des Erbprinzen von Augustenburg begehrten, hatte ich mit dem Letzteren am 1. Juni 1864, Abends von 9 bis 12 Uhr, in meiner Wohnung eine Besprechung, um festzustellen, ob ich zur Vertretung seiner Candidatur dem Könige rathen könne. Die Unterredung drehte sich hauptsächlich um die von dem Kronprinzen in der Denkschrift vom 26. Februar bezeichneten Punkte. Die Erwartung Seiner K.H., daß der[299] Erbprinz bereitwillig darauf eingehen würde, fand ich nicht bestätigt. Die Substanz der Erklärungen des Letzteren ist von Sybel nach den Acten gegeben. Am lebhaftesten widersprach er den Landabtretungen behufs der Anlage von Befestigungen; sie könnten sich ja auf eine Quadratmeile belaufen, meinte er. Ich mußte unsre Forderungen als abgelehnt, eine weitere Verhandlung als aussichtslos betrachten, auf welche der Prinz hinzudeuten schien, indem er beim Abschied sagte: »Wir sehen uns wohl noch« – nicht in dem drohenden Sinne, in welchem der Prinz Friedrich von Hessen zwei Jahre später mir dieselben Worte sagte, sondern als Ausdruck seiner Unentschiedenheit. Wiedergesehn habe ich den Erbprinzen erst am Tage nach der Schlacht von Sedan in bayrischer Generalsuniform.
Nachdem am 30. October 1864 der Friede mit Dänemark geschlossen war, wurden die Bedingungen formulirt, unter welchen wir die Bildung eines neuen Staates Schleswig-Holstein nicht als eine Gefahr für die Interessen Preußens und Deutschlands ersehen würden. Unter dem 22. Februar 1865 wurden dieselben nach Wien mitgetheilt. Sie deckten sich mit den vom Kronprinzen empfohlenen.
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