VI

[381] Die »Germania« vom 6. December 1891 deduzirt aus dem Briefwechsel zwischen dem Grafen von Roon und Moritz von Blankenburg, veröffentlicht in der »Deutschen Revue«, daß ich den Widerstand des Kaisers gegen die Civilehe gebrochen hätte.

Blankenburg war ein Kampfgenosse, dessen Hauptwerth für mich in unsrer aus den Kinderjahren datirenden und bis zu seinem Tode fortdauernden Freundschaft bestand. Dieselbe war aber auf seiner Seite nicht identisch mit Vertrauen oder Hingebung auf dem politischen Gebiete; auf diesem hatte ich die Concurrenz seiner politischen und confessionellen Beichtväter zu bestehen, und bei diesen war nicht die Absicht, bei Blankenburg nicht die Befähigung vorhanden, das historische Fortschreiten deutscher und europäischer Politik in breitem Ueberblick zu beurtheilen. Er selbst war ohne Ehrgeiz und frei von der Krankheit vieler altpreußischer Standesgenossen, dem Neide gegen mich; aber sein politisches Urtheil konnte sich schwer losreißen von dem preußisch-particularistischen, ja pommerisch-lutherischen Standpunkte. Sein hausbackner gesunder Menschenverstand und seine Ehrlichkeit machten ihn unabhängig von conservativen Partei-Strömungen, denen beides fehlte; von dieser Unabhängigkeit war jedoch die vorsichtige Bescheidenheit in Abrechnung zu bringen, mit welcher ihn die Fremdartigkeit erfüllte, die das politische Gebiet für ihn behielt. Er war weich und gegen Beredsamkeit nicht gepanzert, keine unerschütterliche Säule, auf welche ich mich hätte stützen können. Der Kampf zwischen seinem Wohlwollen für mich und seinem Mangel an Energie andern Einflüssen gegenüber bewog ihn schließlich, sich von der Politik überhaupt zurückzuziehen. Als ich ihn das erste Mal zum landwirtschaftlichen Minister vorgeschlagen hatte, scheiterte die Ausführung an dem Widerstande derselben Collegen, welche vorher meine an Blankenburg gerichtete Anfrage gebilligt hatten. Ich lasse dahingestellt sein, ob die Abneigung meines Freundes, unter übelwollender Aufsicht dauernd auf dem Präsentirteller der Oeffentlichkeit zu stehen, bei dem Mißlingen meiner Absicht, diese conservative Kraft in das Ministerium zu ziehen, mitgewirkt hat; bei seiner zweiten und definitiven Ablehnung unter dem 10. November 18731 war dies zweifellos der Fall. Mangel an Klarheit zeigt sich in seinem Briefe an Roon vom April 18742, in welchem er gleichzeitig von seiner Ablehnung und[382] von meinem Fallenlassen Falk gegenüber spricht. Wenn die conservative Partei in der Person ihrer damaligen Hauptredner und Führer Blankenburg und Kleist-Retzow bereitwillig mit mir gegangen wäre, so würde die Mischung des Ministeriums eine andre und das, was in dem Briefe die Falk'sche Sackgasse genannt ist, vielleicht nicht nothwendig geworden sein. Die ministerielle Ablehnung ist aber, wie der Brief documentirt, von Blankenburg selbst ausgegangen, vielleicht nicht unbeeinflußt durch die Residuen der Kämpfe der »armen Lutheraner«, der »Alt-Lutheraner«, zu denen Blankenburg sich hielt, in den dreißiger Jahren. Als er sich von der Politik zurückzog, hatte ich die Empfindung, daß er mich im Stiche ließ.

Daß ich den Widerstand des Kaisers Wilhelm gegen die Civilehe gebrochen hätte, ist eine der Erfindungen des demokratischen Jesuitismus, welchen die »Germania«3 vertritt. Die Abneigung des Kaisers wurde überwunden durch den Druck, welchen die Majorität der ohne mich und unter Roons formalem Präsidium in Berlin anwesenden Minister auf Se. Majestät ausübte, und welcher so weit ging, daß der Kaiser zwischen Annahme des Gesetzentwurfs und Neubildung des Ministeriums zu wählen hatte. In meinem damaligen Gesundheitszustande wäre ich der Aufgabe nicht gewachsen gewesen, aus den mir und sich unter einander feindlichen Fractionen ein neues Cabinet behufs Fortsetzung der Kämpfe nach allen Seiten hin zu recrutiren. Wenn der Kaiser in dem Briefe vom 8. Mai 1874 sagt, daß er trotz seiner Hinfälligkeit noch zwei Mal dagegen geschrieben habe, so waren diese Schreiben nicht an mich, sondern an das Ministerium in Berlin gerichtet, und ich habe ihm nur gerathen, zwischen der obligathorischen Civilehe und einem Ministerwechsel für erstere zu optiren unter Bezugnahme darauf, daß ich, krank und abwesend, nicht im Stande sein würde, ihm ein neues Cabinet sofort zu bilden. Unzweifelhaft war seine Abneigung gegen die Civilehe noch größer als die meinige; ich hielt mit Luther die Eheschließung für eine bürgerliche Angelegenheit, und mein Widerstand gegen Anerkennung dieses Grundsatzes beruhte mehr auf Achtung vor der bestehenden Sitte und der Ueberzeugung der Massen als auf eignen christlichen Bedenken.

1

Deutsche Revue, October 1891, S. 140.

2

Deutsche Revue, December 1891, S. 270.

3

1891. Nro. 281.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 383.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen 3 Bände in einem Band.
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen