[242] Kaiser Friedrich, der Sohn des Monarchen, den ich in specie als meinen Herrn bezeichne, hatte es mir durch seine Liebenswürdigkeit und sein Vertrauen leicht gemacht, die Gefühle, die ich für seinen Herrn Vater hegte, auf ihn zu übertragen. Er war der verfassungsmäßigen Auffassung, daß ich als Minister die Verantwortlichkeit für seine Entschließungen trug, in der Regel zugänglicher, als sein Vater es gewesen. Auch war es ihm weniger durch Familientraditionen erschwert, politischen Bedürfnissen im Innern und im Auslande gerecht zu werden. Alle Behauptungen, daß zwischen dem Kaiser Friedrich und mir dauernde Verstimmungen existirt hätten, sind ungegründet. Eine vorübergehende entstand[242] durch den Vorgang in Danzig, in dessen Besprechung ich mir, seitdem die hinterlassenen Papiere Max Dunckers1 veröffentlicht worden sind, weniger Zurückhaltung auflege, als sonst geschehen wäre. Am 31. Mai 1863 reiste der Kronprinz zu einer militärischen Inspection nach der Provinz Preußen ab, nachdem er den König schriftlich gebeten hatte, jede Octroyirung zu vermeiden. Auf dem Zuge, mit welchem er fuhr, befand sich der Ober-Bürgermeister von Danzig, Herr von Winter, den der Prinz unterwegs in sein Coupé einlud und einige Tage später auf dessen Gute bei Culm besuchte. Am 2. Juni folgte ihm die Kronprinzessin nach Graudenz; am Tage vorher war die Königliche Verordnung über die Presse auf Grund eines Berichtes des Staatsministeriums erschienen, welcher gleichzeitig veröffentlicht wurde. Am 4. Juni richtete Se. Kgl. Hoheit an den König ein Schreiben, in welchem er sich mißbilligend über diese Octroyirung aussprach, sich über die unterlassene Zuziehung seiner zu den betreffenden Berathungen des Staatsministeriums beschwerte und über die Pflichten aussprach, welche ihm als dem Thronfolger seiner Meinung nach oblägen. Am 5. Juni fand im Rathhause in Danzig der Empfang der städtischen Behörden statt, bei dem Herr von Winter ein Bedauern darüber aussprach, daß die Verhältnisse es nicht gestatteten, der Freude der Stadt ihren vollen lauten Ausdruck zu geben. Der Kronprinz sagte in seiner Antwort unter Anderm:
»Auch ich beklage, daß ich in einer Zeit hergekommen bin, in welcher zwischen Regierung und Volk ein Zerwürfniß eingetreten ist, welches zu erfahren mich in hohem Grade überrascht hat. Ich habe von den Anordnungen, die dazu geführt haben, nichts gewußt. Ich war abwesend. Ich habe keinen Theil an den Rathschlägen gehabt, die dazu geführt haben. Aber wir Alle und ich am meisten, der ich die edlen und landesväterlichen Intentionen und hochherzigen Gesinnungen Seiner Majestät des Königs am besten kenne, wir Alle haben die Zuversicht, daß Preußen unter dem Szepter Seiner Majestät des Königs der Größe sicher entgegengeht, die ihm die Vorsehung bestimmt hat.«
Exemplare der »Danziger Zeitung« mit einem Berichte über den Vorgang wurden an die Redactionen berliner und andrer Zeitungen versandt, welche das genannte Blatt bei seinem wesentlich localen Charakter nicht zu halten pflegten. Die Worte des Kronprinzen erhielten daher sofort eine weite Verbreitung und erregten im In- und Auslande ein begreifliches Aufsehen. Aus Graudenz übersandte[243] er mir einen förmlichen Protest gegen die Preßverordnung und verlangte Mittheilung desselben an das Staatsministerium, die jedoch auf Befehl des Königs unterblieb. Am 7. ging ihm eine ernste Antwort Sr. Majestät auf die Beschwerdeschrift vom 4. zu. Er bat darauf den Vater um Verzeihung wegen eines Schrittes, den er um seiner und seiner Kinder Zukunft willen geglaubt hätte nicht unterlassen zu können, und stellte die Entbindung von allen seinen Aemtern anheim. Am 11. erhielt er die Antwort, die ihm die erbetene Verzeihung gewährte, seine Beschwerden über den Minister und sein Entlassungsgesuch überging und ihm für die Zukunft Schweigen zur Pflicht machte.
Während ich die Erregung des Königs als berechtigt anerkennen mußte, bemühte ich mich zu verhindern, daß er derselben Folge gebe durch staatliche oder auch nur öffentlich erkennbare Acte. Ich mußte es mir im dynastischen Interesse zur Aufgabe stellen, den König zu beruhigen und von Schritten, die an Friedrich Wilhelm I. und Küstrin erinnert hätten, abzuhalten. Es geschah das hauptsächlich am 10. Juni auf einer Fahrt von Babelsberg nach dem neuen Palais, wo Se. Majestät das Lehrbataillon besichtigte und wurde die Unterhaltung wegen der Dienerschaft auf dem Bocke französisch geführt. Es gelang mir in der That, die väterliche Entrüstung durch die Staatsraison zu besänftigen, daß in dem vorliegenden Kampfe zwischen Königthum und Parlament ein Zwiespalt innerhalb des Königlichen Hauses abgestumpft, ignorirt und todtgeschwiegen werden, daß der Vater und König in höherem Maße dafür Sorge tragen müsse, daß die Interessen beider nicht geschädigt würden. »Verfahren Sie säuberlich mit dem Knaben Absalon!« sagte ich in Anspielung darauf, daß schon Geistliche im Lande über Samuelis Buch 2, Kapitel 15, Vers 3 und 4 predigten; »vermeiden Ew. Majestät jeden Entschluß ab irato, nur die Staatsraison kann maßgebend sein.« Einen besonderen Ein druck schien es zu machen als ich daran erinnerte, daß in dem Conflicte zwischen Friedrich Wilhelm I. und seinem Sohne dem Letzteren die Sympathie der Zeitgenossen und der Nachwelt gehöre, daß es nicht rathsam sei, den Kronprinzen zum Märtyrer zu machen.
Nachdem die Sache durch den oben erwähnten Briefwechsel zwischen Vater und Sohn wenigstens äußerlich beigelegt war, erhielt ich ein aus Stettin vom 30. Juni datirtes Schreiben des Kronprinzen, welches meine ganze Politik in starken Ausdrücken verurtheilte. Dieselbe sei ohne Wohlwollen und Achtung für das Volk, stütze sich auf sehr zweifelhafte Auslegungen der Verfassung,[244] werde dieselbe dem Volke werthlos erscheinen lassen und dieses in Richtungen treiben, die außerhalb der Verfassung lägen. Auf der andern Seite werde das Ministerium von gewagten Deutungen zu gewagteren fortschreiten, endlich dem Könige Bruch mit derselben anrathen. Er werde den König bitten, sich, so lange dieses Ministerium im Amte sei, der Theilnahme an den Sitzungen desselben enthalten zu dürfen.
Die Thatsache, daß ich, nachdem ich diese Aeußerung des Thronfolgers erhalten hatte, auf dem eingeschlagenen Wege beharrte, war ein sprechender Beweis dafür, daß mir nichts daran lag, nach dem Thronwechsel, der ja sehr bald eintreten konnte, Minister zu bleiben. Gleichwohl nöthigte der Konprinz mich in einem später zu erwähnenden Gespräche, ihm das mit ausdrücklichen Worten zu sagen.
Zur Ueberraschung des Königs war am 16. oder 17. Juli in der »Times« zu lesen: »Der Prinz erlaubte sich bei Gelegenheit einer militärischen Dienstreise mit der Politik des Souverains in Widerspruch zu treten und Maßregeln desselben in Frage zu stellen. Das Mindeste, was er thun konnte, um diese schwere Beleidigung wieder gut zu machen, war die Zurücknahme seiner Aeußerungen. Dies forderte der König von ihm in einem Briefe, hinzufügend, daß er seiner Würden und Anstellungen beraubt werden würde, wenn er sich weigerte. Der Prinz, in Uebereinstimmung, wie man sagt, mit Ihrer K.H. der Prinzessin, schrieb eine feste Antwort auf dieses Verlangen. Er weigerte sich, irgend etwas zurückzunehmen, bot die Niederlegung seines Commandos und seiner Würden an und bat um Erlaubniß, sich mit seiner Frau und Familie an einen Ort zurückzuziehen, wo er frei von dem Verdacht sein könne, sich auf irgend eine Weise in Staatsangelegenheiten zu mischen. Dieser Brief, sagt man, sei ausgezeichnet, und der Prinz sei glücklich zu preisen im Besitz einer Gattin, welche nicht nur seine liberalen Ansichten theilt, sondern auch im Stande ist, ihm in einem wichtigen und kritischen Augenblicke seines Lebens so viel Beistand zu leisten. Man könne sich nicht leicht eine schwierigere Stellung denken als die des Prinzlichen Paares ohne jeden Rathgeber, mit einem eigenwilligen Souverain und einem verderblichen Cabinet auf einer Seite und einem aufgeregten Volke auf der andern.«
Die Nachforschungen nach dem Vermittler dieses Artikels haben zu keinem sichern Ergebnisse geführt. Eine Reihe von Umständen ließ den Verdacht auf den Legationsrath Meyer fallen. Die ausführlicheren Mittheilungen an die »Grenzboten« und die[245] »Süddeutsche Post« des Abgeordneten Brater scheinen durch einen kleinen deutschen Diplomaten gegangen zu sein, der das Vertrauen der Kronprinzlichen Herrschaften besaß, behielt und ein Vierteljahrhundert später durch indiscrete Veröffentlichung ihm anvertrauter Manuscripte des Prinzen mißbraucht hat.
Der Versicherung des Kronprinzen, um diese Veröffentlichung nicht gewußt zu haben, habe ich nie einen Zweifel entgegengebracht, auch nicht, nachdem ich gelesen, daß er in einem Briefe an Max Duncker vom 14. Juli2 geschrieben hat, er wäre wenig überrascht, wenn man sich Bismarck'scher Seits in Besitz von Abschriften des Briefwechsels zwischen ihm und dem Könige zu setzen gewußt hätte.
Die Urheberschaft der Veröffentlichung glaubte ich auf derselben Seite suchen zu müssen, von woher nach meiner Ueberzeugung der Kronprinz zu seiner Haltung bestimmt worden war. Wahrnehmungen während des französischen Krieges und neuerdings die Mittheilungen aus Dunckers Papieren haben meine damalige Auffassung bestätigt. Wenn eine ganze Schule von politischen Schriftstellern ein Vierteljahrhundert lang das, was sie die englische Verfassung nannten und wovon sie keine eindringende Kenntniß besaßen, den festländischen Völkern als Muster gepriesen und zur Nachahmung empfohlen hatten, so war es erklärlich, daß die Kronprinzessin und ihre Mutter das eigenthümliche Wesen des preußischen Staates, die Unmöglichkeit, ihn durch wechselnde parlamentarische Gruppen regieren zu lassen, verkannten, war es erklärlich, daß aus diesem Irrthume sich der andre erzeugte, es würden sich in dem Preußen des 19. Jahrhunderts die innern Kämpfe und Katastrophen Englands im 17. wiederholen, wenn nicht das System, durch welches jene Kämpfe zum Abschluß kamen, bei uns eingeführt werde. Ich habe nicht feststellen können, ob die mir damals zugegangene Nachricht wahr ist, daß im April 1863 die Königin Augusta durch den Präsidenten Ludolf Camphausen und die Kronprinzessin durch den Baron von Stockmar kritisirende Denkschriften über die innern Zustände Preußens ausarbeiten lassen und zur Kenntniß des Königs gebracht haben; daß aber die Königin, zu deren Umgebung der Legationsrath Meyer gehörte, mit der Besorgniß vor Stuartischen Katastrophen er füllt war, wußte ich und fand es schon 1862 ausgeprägt in der gedrückten Stimmung, in welcher der König aus Baden von der Geburtstagsfeier seiner Gemahlin zurückkehrte. Die im Kampfe mit dem Königthume[246] liegende, von Tag zu Tag auf den Sieg rechnende Fortschrittspartei versäumte es nicht, in der Presse und durch die Personen einzelner Führer die Situation unter die Beleuchtung zu stellen, welche auf weibliche Gemüther besonders wirksam sein mußte.
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