IV

[265] Der Dualismus würde, wie ich ihn mir dachte, dem jetzt bestehenden Verhältniß ähnlich gewesen sein, jedoch mit dem Unterschiede, daß Oesterreich auf die Staaten, welche jetzt mit Preußen das Deutsche Reich bilden, bundesmäßigen Einfluß behalten haben würde. Rechberg war für Verstärkung des Gewichts von Mitteleuropa durch eine solche Verständigung der beiden Mächte gewonnen. Diese Gestaltung würde, im Vergleich zur Vergangenheit und wie die Dinge damals lagen, immerhin ein Fortschritt zum Besseren gewesen sein, aber Dauer nur versprochen haben, so lange das Vertrauen zu den beiderseits leitenden Personen ungestört blieb. Graf Rechberg sagte mir bei meiner Abreise von Wien August 1864, daß seine Stellung angefochten sei; durch die Erörterungen des Ministeriums und die Haltung des Kaisers zu demselben sei er in die Lage gerathen, fürchten zu müssen, daß seine Collegen, namentlich Schmerling, ihn über Bord schieben würden, wenn er nicht für die Zollvereinsbestrebungen Oesterreichs, die den Kaiser vorzugsweise beschäftigten, wenigstens unsre Zusicherung beibringen könne, daß wir auf Verhandlungen in bestimmter Frist eingehen wollten. Ich hatte gegen ein solches pactum de contrahendo keine Bedenken, weil ich überzeugt war, daß dasselbe mir keine über die Grenzen des mir möglich Scheinenden hinaus gehenden Zugeständnisse würde abdingen können, und weil die politische Seite der Frage im Vordergrunde stand. Die Zolleinigung hielt ich für eine unausführbare Utopie wegen der Verschiedenheit der wirthschaftlichen und administrativen Zustände beider Theile. Die Gegenstände, welche im Norden des Zollvereins die finanzielle Unterlage bildeten, gelangen in dem größeren Theile des österreichisch-ungarischen Gebietes gar nicht zum Verbrauch. Die Schwierigkeiten, welche die Verschiedenheit der Lebensgewohnheiten und der Consumtion zwischen Nord- und Süddeutschland schon innerhalb des Zollvereins bedingten, mußten unüberwindlich werden, wenn beide Regionen mit den östlichen Ländern Oesterreich-Ungarns von derselben Zollgrenze umschlossen werden sollten. Ein gerechter, der bestehenden Consumtion zollpflichtiger Waren entsprechender Maßstab der Vertheilung würde sich nicht vereinbaren lassen; jeder Maßstab würde entweder ungerecht für den Zollverein oder unannehmbar für die öffentliche Meinung in Oesterreich-Ungarn sein. Der bedürfnißlose Slowake und Galizier einerseits, der Rheinländer und der Niedersachse andrerseits[266] sind für die Besteuerung nicht commensurabel. Außerdem fehlte mir der Glaube an die Zuverlässigkeit des Dienstes auf einem großen Theile der österreichischen Grenzen.

Von der Unmöglichkeit der Zolleinigung überzeugt, hatte ich kein Bedenken, dem Grafen Rechberg den gewünschten Dienst zu erweisen, um ihn im Amte zu erhalten. Ich glaubte bei meiner Abreise nach Biarritz sicher zu sein, daß der König an meinem Votum festhalten werde; und mir sind noch heute die Motive nicht klar, welche meine Collegen, den Finanzminister Karl von Bodelschwingh und den Handelsminister Grafen Itzenplitz, und ihren freihändlerischen spiritus rector Delbrück bestimmt haben, während meiner Abwesenheit den König auf einem ihm ziemlich fremden Gebiete mit so viel Entschiedenheit zu bearbeiten, daß durch unsre Ablehnung die Stellung Rechbergs, wie er es vorhergesagt hatte, erschüttert und er in dem auswärtigen Ministerium durch Mensdorf ersetzt wurde, der zunächst der Candidat Schmerlings war, bis dieser dann durch reactionäre und katholische Einflüsse selbst verdrängt wurde. Der König, so fest er auch in der innern Politik geworden war, ließ sich damals noch von der durch seine Gemahlin vertretenen Doktrin beeinflussen, daß zur Lösung der deutschen Frage die Popularität das Mittel sei.

Ueber eine Conferenz, welche am 10. October 1864 von Mitgliedern des Auswärtigen und des Handelsministeriums abgehalten wurde, schrieb mir Herr von Thiele nach Biarritz:


»Ich fand in der heutigen Conferenz neu bestätigt, was freilich längst bekannt ist, daß die Herren Fachmänner bei aller ihrer, von mir gern anerkannten Virtuosität in Behandlung der fachlichen Seite die politische arg mißachten und z.B. die Eventualität eines Ministerwechsels in Wien wie eine Bagatelle behandeln. – Itzenplitz wankt in seinen Ansichten sehr. Wiederholt gelang es mir, ihn zu dem Geständniß zu bringen, daß uns der Artikel 25 finaliter und realiter zu nichts verpflichtet. Dann schreckte ihn aber jedesmal ein strafender Blick von Delbrück in seine Fachposition zurück.«


Zwei Tage später, am 12. October, berichtete mir Abeken, der sich bei dem Könige in Baden-Baden befand, es sei ihm nicht gelungen, denselben für den Artikel 25 zu gewinnen; Se. Majestät scheue »das Geschrei«, welches sich über eine solche Concession an Oesterreich erheben würde, und habe u.A. gesagt: »Die Ministerkrisis in Wien würden wir vielleicht vermeiden, aber dadurch in[267] Berlin eine solche hervorrufen; Bodelschwingh und Delbrück würden wahrscheinlich ihre Entlassung geben, wenn wir den Artikel 25 zuließen.«

Und wieder zwei Tage später schrieb mir Graf Goltz aus Paris:

»Ist Rechbergs Stellung entschieden erschüttert (daß sie es bei dem Kaiser sei, muß ich noch bezweifeln), so dürfte für uns die Nothwendigkeit eintreten, hier den Eröffnungen eines rein Schmerling'schen Ministeriums zuvorzukommen.«

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 265-268.
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