Siebentes Kapitel
König Ludwig II. von Bayern

[269] Auf dem Wege von Gastein nach Baden-Baden berührten wir München, was der König Max bereits verlassen hatte, um sich nach Frankfurt zu begeben, es seiner Gemahlin überlassend, die Gäste zu empfangen. Ich glaube nicht, daß die Königin Marie nach ihrer wenig aus sich heraustretenden und der Politik abgewandten Stimmung auf den König Wilhelm und die Entschließung, mit welcher er sich damals trug, lebhaft eingewirkt hat. Bei den regelmäßigen Mahlzeiten, welche wir während des Aufenthalts in Nymphenburg, 16. und 17. August 1863, einnahmen, war der Kronprinz, später König Ludwig II., der seiner Mutter gegenüber saß, mein Nachbar. Ich hatte den Eindruck, daß er mit seinen Gedanken[269] nicht bei der Tafel war und sich nur ab und zu seiner Absicht erinnerte, mit mir eine Unterhaltung zu führen, die aus dem Gebiete der üblichen Hofgespräche nicht herausging. Gleichwohl glaubte ich in dem, was er sagte, eine begabte Lebhaftigkeit und einen von seiner Zukunft erfüllten Sinn zu erkennen. In den Pausen des Gesprächs blickte er über seine Frau Mutter hinweg an die Decke und leerte ab und zu hastig sein Champagnerglas, dessen Füllung, wie ich annahm, auf mütterlichen Befehl verlangsamt wurde, so daß der Prinz mehrmals sein leeres Glas rückwärts über seine Schulter hielt, wo es zögernd wieder gefüllt wurde. Er hat weder damals noch später die Mäßigkeit im Trinken überschritten, ich hatte jedoch das Gefühl, daß die Umgebung ihn langweilte und er den von ihr unabhängigen Richtungen seiner Phantasie durch den Champagner zu Hülfe kam. Der Eindruck, den er mir machte, war ein sympathischer, obschon ich mir mit einiger Verdrießlichkeit sagen mußte, daß mein Bestreben, ihn als Tischnachbar angenehm zu unterhalten, unfruchtbar blieb. Es war dies das einzige Mal, daß ich den König Ludwig von Angesicht gesehen habe, ich bin aber mit ihm, seit er bald nachher den Thron bestiegen hatte, bis an sein Lebensende in günstigen Beziehungen und in verhältnißmäßig regem brieflichen Verkehre geblieben und habe dabei jederzeit von ihm den Eindruck eines geschäftlich klaren Regenten von national deutscher Gesinnung gehabt, wenn auch mit vorwiegender Sorge für die Erhaltung des föderativen Princips der Reichsverfassung und der verfassungsmäßigen Privilegien seines Landes. Als außerhalb des Gebietes politischer Möglichkeit liegend ist mir sein in den Versailler Verhandlungen auftauchender Gedanke erinnerlich, daß das deutsche Kaiserthum resp. Bundes-Präsidium zwischen dem preußischen und dem bayrischen Hause erblich alterniren solle. Die Zweifel darüber, wie dieser unpraktische Gedanke praktisch zu machen, wurden überholt durch die Verhandlungen mit den bayrischen Vertretern in Versailles und deren Ergebnisse, wonach dem Präsidium des Bundes, also dem Könige von Preußen, die Rechte, welche er heut dem bayrischen Bundesgenossen gegenüber ausübt, schon in der Hauptsache bewilligt waren, ehe es sich um den Kaisertitel handelte.

Aus meinem Briefwechsel mit dem Könige Ludwig schalte ich einige Stücke ein, welche zur richtigen Charakteristik dieses unglücklichen Fürsten beitragen und auch wieder einmal ein actuelles Interesse gewinnen können. Die Curialien sind nur in den ersten beiden Briefen gegeben.
[270]

Mein lieber Fürst!

Es würde mir nicht nur ein hohes Interesse bieten, sondern zugleich lebhafte Freude bereiten, Sie zu sprechen und meinen Gefühlen besonderer Hochachtung für Sie, mein lieber Fürst! mündlichen Ausdruck zu geben. Wie ich zu meinem aufrichtigen Bedauern erfahre, hat jener so verabscheuungswürdige Mordanschlag, für dessen Mißlingen ich Gott immerdar dankbar sein werde, störend auf Ihre auch mir so theure Gesundheit und auf den Curgebrauch gewirkt, so daß es vermessen von mir wäre, wollte ich Sie ersuchen, Sich demnächst zu mir zu bemühen, der ich jetzt mitten in den Bergen verweile. – Für Ihren letzten Brief, der mich mit aufrichtiger Freude erfüllte, bin ich Ihnen aus ganzer Seele dankbar. Fest vertraue ich auf Sie! und glaube ich, daß Sie, wie Sie meinem Minister v. Pfretschner gegenüber sich äußerten, Ihren politischen Einfluß dafür einsetzen werden, daß das föderative Princip die Grundlage der neuen Ordnung der Dinge in Deutschland bilde. Möge der Himmel Ihr theures Leben noch viele Jahre uns Allen erhalten! Ihr Tod, sowie der des von mir hochverehrten Kaisers Wilhelm wäre ein großes Unglück für Deutschland und Bayern. – Aus ganzem Herzen meine besten Grüße Ihnen, mein lieber Fürst, zurufend, bleibe ich stets mit besonderer Hochschätzung und tiefgewurzeltem Vertrauen


Hohenschwangau,

den 31. Juli 1874

Ihr

aufrichtiger Freund Ludwig.


Kissingen, den 10. August 1874


Allerdurchlauchtigster König,

Allergnädigster Herr,

Im Begriff, meine Cur zu beendigen, kann ich Kissingen nicht verlassen, ohne Eurer Majestät für alle Gnade, welche Allerhöchstdieselben mir hier erzeigt haben, nochmals ehrfurchtsvoll zu danken, insbesondere auch für das huldreiche Schreiben vom 31. v. Mts.

Ich bin hoch beglückt durch das Vertrauen, welches Eure Majestät mir darin aussprechen, und werde stets bestrebt sein, dasselbe zu verdienen; aber auch unabhängig von persönlichen Bürgschaften, dürfen Eure Majestät mit voller Zuversicht auf diejenigen rechnen, welche in der Reichsverfassung selbst liegen. Letztere beruht auf der föderativen Grundlage, welche sie durch die Bundesverträge erhalten hat, und kann nicht ohne Vertragsbruch verletzt werden. Darin unterscheidet sich die Reichsverfassung von jeder Landesverfassung. Die Rechte Eurer Majestät bilden einen unlöslichen[271] Theil der Reichsverfassung, und beruhen daher auf denselben sicheren Rechtsgrundlagen wie alle Institutionen des Reichs. Deutschland hat gegenwärtig in der Institution seines Bundesrathes, und Bayern in seiner würdigen und einsichtigen Vertretung im Bundesrathe, eine feste Bürgschaft gegen jede Ausartung oder Uebertreibung der einheitlichen Bestrebungen. Eure Majestät werden auf die Sicherheit des vertragsmäßigen Verfassungsrechtes auch dann volles Vertrauen setzen können, wenn ich nicht mehr die Ehre habe, dem Reiche als Kanzler zu dienen.

In tiefer Ehrfurcht verharre ich

Eurer Majestät unterthänigster Diener

v. Bismarck.


Auszug.

Friedrichsruh, 2. Juni 1876


Die türkischen Angelegenheiten sehen bedrohlich aus und können dringliche diplomatische Arbeit erfordern: aber unter allen europäischen Mächten wird Deutschland immer in der günstigsten Lage bleiben, um sich aus den Wirren, mit welchen eine orientalische Frage den Frieden bedrohen kann, dauernd oder doch länger als andre fern halten zu können. Ich gebe daher die Hoffnung nicht auf, daß es mir möglich sein werde, Kissingen in einigen Wochen zu besuchen, und bitte Eure Majestät ehrfurchtsvoll, meinen allerunterthänigsten Dank für Allerhöchstdero huldreiche Fürsorge in Gnaden entgegennehmen zu wollen.

v. Bismarck.


Kissingen, 5. Juli 1876


... Leider läßt mir die Politik nicht ganz die Ruhe, deren man im Bade bedarf: es ist dabei mehr die allgemeine Unruhe und Ungeduld als eine wirkliche Gefährdung des Friedens, für Deutschland wenigstens, wodurch die unfruchtbaren Arbeiten der Diplomaten veranlaßt werden. Unfruchtbar sind sie nothwendig, so lange der Kampf innerhalb der türkischen Grenzen zu keiner Entscheidung gediehen sein wird. Wie die letztere auch ausfallen möge, so wird die Verständigung zwischen Rußland und England bei gegenseitiger Aufrichtigkeit immer möglich sein, da – und so lange – Rußland nicht nach dem Besitze von Constantinopel strebt. Sehr viel schwieriger wird auf die Dauer die Vermittlung zwischen den österreichisch-ungarischen und den russischen Interessen sein; bisher[272] aber sind beide Kaiserhöfe noch einig, und ich bin überzeugt, Eurer Majestät Allerhöchste Billigung zu finden, wenn ich die Erhaltung dieser Einigkeit als eine Hauptaufgabe deutscher Diplomatie ansehe. Es würde eine große Verlegenheit für Deutschland sein, zwischen diesen beiden so eng befreundeten Nachbarn optiren zu sollen; denn ich zweifle nicht daran, im Sinne Eurer Majestät und aller deutscher Fürsten zu handeln, wenn ich in unsrer Politik den Grundsatz vertrete, daß Deutschland nur zur Wahrung zweifelloser deutscher Interessen sich an einem Kriege freiwillig betheiligen sollte. Die türkische Frage, so lange sie sich innerhalb der türkischen Grenzen entwickelt, berührt meines unterthänigsten Dafürhaltens keine kriegswürdigen deutschen Interessen; auch ein Kampf zwischen Rußland und einer der Westmächte oder beiden kann sich entwickeln, ohne Deutschland in Mitleidenschaft zu ziehen. Sehr viel schwieriger aber liegt der Fall, wenn Oesterreich und Rußland uneinig werden sollten, und hoffe ich, daß die Begegnung beider Monarchen in Reichstadt gute Früchte zur Befestigung ihrer Freundschaft tragen werde. Der Kaiser Alexander will glücklicherweise den Frieden und erkennt an, daß Oesterreichs Lage der südslavischen Bewegung gegenüber schwieriger und zwingender ist als die Rußlands. Für Letzteres sind es auswärtige, für Oesterreich aber innere und vitale Interessen, die auf dem Spiele stehen.

v. Bismarck.


Durch Ihre so klare Darlegung der politischen Situation haben Sie, mein lieber Fürst, mich ganz besonders verbunden. Der weitsehende, staatsmännische Blick, welcher sich in Ihren Anschauungen über die Stellung Deutschlands zu den gegenwärtigen und etwa noch drohenden Verwicklungen im Auslande kund gibt, hat meine volle Bewunderung, und ich brauche noch [wohl] nicht zu versichern, daß Ihre mächtigen Anstrengungen zur Erhaltung des Friedens von meinen wärmsten Sympathien und meinem unbegränzten Vertrauen begleitet sind. – Möge der glückliche Erfolg der deutschen Politik und der Dank der deutschen Fürsten und Stämme Sie, mein lieber Fürst, im Besitze Ihrer vollen Gesundheit und Rüstigkeit finden.


Hohenschwangau,

den 16. Juli 1876

Ludwig.
[273]

Kissingen, 29. Juni 1877


. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Die vielen Geschäfte bei der Cur waren unvermeidlich, weil der Reichstag durch die Schwierigkeiten, die er bezüglich meiner Vertretung machte und gegen die aufzutreten ich damals nicht gesund genug war, mich nöthigte, die Contrasignaturen auch im Urlaub beizubehalten. Es war dies eines der Mittel, durch welche die Mehrheit im Reichstage die Einführung jener Institution zu erkämpfen sucht, welche sie unter der Bezeichnung »verantwortlicher Reichsminister« versteht, und gegen die ich mich jederzeit abwehrend verhalte, nicht um der alleinige Minister zu bleiben, sondern um die verfassungsmäßigen Rechte des Bundesraths und seiner hohen Vollmachtgeber zu wahren. Nur auf Kosten der letzteren könnten die erstrebten Reichsministerien geschäftlich dotirt werden, und damit würde ein Weg in der Richtung der Centralisirung eingeschlagen, in der wir das Heil der deutschen Zukunft, wie ich glaube, vergebens suchen würden. Es ist, meines Dafürhaltens, nicht nur das verfassungsmäßige Recht, sondern auch die politische Aufgabe meiner außerpreußischen Collegen im Bundesrath, mich im Kampfe gegen die Einführung solcher Reichsministerien offen zu unterstützen und dadurch klar zu stellen, daß ich bisher nicht für die ministerielle Alleinherrschaft des Kanzlers, sondern für die Rechte der Bundesgenossen und für die ministeriellen Befugnisse des Bundesraths eingetreten bin. Ich darf annehmen, Ew. Majestät Intentionen entsprochen zu haben, wenn ich mich in diesem Sinne schon Pfretschner gegenüber geäußert habe, und ich bin überzeugt, daß Ew. Majestät Vertreter im Bundesrath selbst und in Verbindung mit andern Collegen mir einen Theil des Kampfes gegen das Drängen des Reichstages nach verantwortlichen Reichsministerien durch ihren Beistand abnehmen werden.

Wenn, wie ich höre, Ew. Majestät Wahl auf Herrn von Rudhart gefallen ist, so kann ich nach Allem, was ich durch Hohenlohe über ihn weiß, dafür ehrfurchtsvoll dankbar sein und voraussehen, daß ich nicht nur die innern, sondern auch die auswärtigen Geschäfte des Reichs ihm gegenüber mit der vertrauensvollen Offenheit werde besprechen können, die mir dem Vertreter Ew. Majestät gegenüber ein geschäftliches und ein persönliches Bedürfniß ist. Für den Augenblick ist unsre Stellung zum Auslande noch dieselbe, wie während des ganzen Winters, und die Hoffnung, daß uns der Krieg nicht berühren werde, ungeschwächt. Das Vertrauen Rußlands[274] auf die Zuverlässigkeit unsrer nachbarlichen Politik hat ersichtlich zugenommen, und damit auch die Aussicht, solche Entwicklungen zu verhüten, gegen welche Oesterreich einzuschreiten durch seine Interessen genöthigt werden könnte. Die guten Beziehungen der beiden Kaiserreiche zu einander zu erhalten, bleiben wir mit Erfolg bestrebt. Unsre Freundschaft mit England hat bisher darunter nicht gelitten, und auch die am dortigen Hof durch politische Intriganten angebrachten Gerüchte, als könne Deutschland Absichten auf die Erwerbung von Holland haben, konnten nur in hohen Damenkreisen vorübergehend Anklang finden; die Verleumder werden nicht müde, aber die Gläubigen scheinen es endlich zu werden. Unter diesen Umständen ist die äußere Politik des Reiches im Stande, ihre Aufmerksamkeit ungeschwächt dem Vulkan im Westen zuzuwenden, der Deutschland seit 300 Jahren so oft mit seinen Ausbrüchen überschüttet hat. Ich traue den Versicherungen nicht, die wir von dort erhalten, kann aber doch dem Reiche keinen andern Rath geben, als wohlgerüstet und Gewehr bei Fuß den etwaigen neuen Anfall abzuwarten ...

v. Bismarck.


... Es drängt mich bei diesem Anlasse, Ihnen, mein lieber Fürst, zu sagen, mit welcher lebhaften Besorgniß mich vor einiger Zeit die Nachricht von der Möglichkeit Ihres Rücktrittes erfüllte. Je größer meine persönliche Verehrung für Sie und mein Vertrauen zu der föderativen Grundlage Ihres staatsmännischen Wirkens ist, desto schmerzlicher hätte ich ein solches Ereigniß für mich und mein Land empfunden.

Zu meiner wahren Freude ist es nicht eingetreten, und ich wünsche von ganzem Herzen, daß Ihre Weisheit und Thatkraft dem Reiche und dem reichstreuen Bayern noch recht lange erhalten bleiben möge! Haben Sie, mein lieber Fürst, meinen innigsten Dank auch für die Mittheilung erfreulicher Friedensaussichten und für die Zusicherung, daß mein für Berlin bestimmter Gesandter v. Rudhardt bei Ihnen wohlwollende und vertrauensvolle Aufnahme finden werde. In Ihrer Stellung zu der immer wieder auftauchenden Frage verantwortlicher Reichsministerien erscheinen Sie als der starke Hort der Rechte der Bundesfürsten, und mit wahrhafter Beruhigung nehme ich von Ihnen, mein lieber Fürst, das Wort entgegen, daß das Heil der deutschen Zukunft nicht in der Centralisirung zu suchen ist, welche mit der Schaffung solcher Ministerien[275] eintreten würde. Seien Sie überzeugt, daß ich es an nichts fehlen lassen werde, um Ihnen in dem Kampfe für Aufrechterhaltung der Grundlagen der Reichsverfassung die offene und vollste Unterstützung meiner Vertreter im Bundesrathe, welchen sich gewiß auch die Bevollmächtigten der andern Fürsten anschließen werden, für alle Zukunft zu sichern.1


Berg, den 7. Juli 1877.

Ludwig.


Kissingen, den 12. August 1878


Eurer Majestät erlaube ich mir meinen ehrfurchtsvollen Dank zu Füßen zu legen für die huldreichen Befehle, welche der Königliche Marstall auch in diesem Jahre für meinen hiesigen Aufenthalt erhalten hat, und für die gnädige Anerkennung, welche der Minister von Pfretschner mir im Allerhöchsten Auftrage überbracht hat. Durch den Congreß ist die Politik einstweilen zum Abschlusse gebracht, deren Angemessenheit für Deutschland Eure Majestät in huldreichem Schreiben anzuerkennen geruhten. Der eigne Frieden blieb gewahrt, die Gefahr eines Bruches zwischen Oesterreich und Rußland ist beseitigt, und unsre Beziehungen zu beiden befreundeten Nachbarreichen sind erhalten und befestigt. Namentlich freue ich mich, daß es gelungen ist, das noch junge Vertrauen Oesterreichs zu unsrer Politik im Cabinet wie in der Bevölkerung des Kaiserstaates wesentlich zu kräftigen. Ich darf von der allerhöchsten Billigung E.M. überzeugt sein, wenn ich auch ferner bemüht bin, die auswärtige Politik des Reiches in der vorbezeichneten Richtung zu erhalten, und dementsprechend bei der Pforte und anderweit gegenwärtig dahin zu wirken, daß die schwierige Aufgabe, die Oesterreich, allerdings etwas spät, übernommen hat, durch diplomatischen Beistand nach Möglichkeit erleichtert werde.

Schwieriger sind die augenblicklichen Aufgaben der innern Politik. Meine Verhandlungen mit dem Nuntius ruhn seit dem Tode des Cardinals Franchi vollständig, in Erwartung von Instructionen aus Rom. Diejenigen, welche der Erzbischof von Neocäsarea mitbrachte, verlangten Herstellung des status quo ante 1870 in Preußen, factisch, wenn nicht vertragsmäßig. Derartige principielle Concessionen sind beiderseits unmöglich. Der Papst besitzt die Mittel nicht, durch welche er uns die nöthigen Gegenleistungen machen könnte; die Centrumspartei, die staatsfeindliche Presse,[276] die polnische Agitation, gehorchen dem Papste nicht, auch wenn Seine Heiligkeit diesen Elementen befehlen wollte, die Regierung zu unterstützen. Die im Centrum vereinten Kräfte fechten zwar jetzt unter päpstlicher Flagge, sind aber an sich staatsfeindlich, auch wenn die Flagge der Katholicität aufhörte sie zu decken; ihr Zusammenhang mit der Fortschrittspartei und den Socialisten auf der Basis der Feindschaft gegen den Staat ist von dem Kirchenstreit unabhängig. In Preußen wenigstens waren die Wahlkreise, in denen das Centrum sich ergänzt, auch vor dem Kirchenstreite oppositionell, aus demokratischer Gesinnung, bis auf den Adel in Westfalen und Oberschlesien, der unter der Leitung der Jesuiten steht und von diesen absichtlich schlecht erzogen wird. Unter diesen Umständen fehlt dem römischen Stuhl die Möglichkeit, uns für die Concessionen, die er von uns verlangt, ein Aequivalent zu bieten, namentlich da er über den Einfluß der Jesuiten auf deutsche Verhältnisse gegenwärtig nicht verfügt. Die Machtlosigkeit des Papstes ohne diesen Beistand hat sich besonders bei den Nachwahlen erkennen lassen, wo die katholischen Stimmen, gegen den Willen des Papstes, für socialistische Candidaten abgegeben wurden und der Dr. Moufang in Mainz öffentlich Verpflichtungen in dieser Beziehung einging. Die hiesigen Verhandlungen mit dem Nuntius können das Stadium der gegenseitigen Recognoscirung nicht überschreiten; sie haben mir die Ueberzeugung gewährt, daß ein Abschluß noch nicht möglich ist; ich glaube aber vermeiden zu sollen, daß sie gänzlich abreißen, und dasselbe scheint der Nuntius zu wünschen. In Rom hält man uns offenbar für hülfsbedürftiger, als wir sind, und überschätzt den Beistand, den man uns, bei dem besten Willen, im Parlamente zu leisten vermag. Die Wahlen zum Reichstage haben den Schwerpunkt des letztern weiter nach rechts geschoben, als man annahm. Das Uebergewicht der Liberalen ist vermindert, und zwar in höherem Maße, als die Ziffern es erscheinen lassen. Ich war bei Beantragung der Auflösung nicht im Zweifel, daß die Wähler regierungsfreundlicher sind als die Abgeordneten, und die Folge davon ist gewesen, daß viele Abgeordnete, welche ungeachtet ihrer oppositionellen Haltung wiedergewählt wurden, dies nur durch Zusagen zu Gunsten der Regierung erreichen konnten. Wenn sie diese Zusagen nicht halten und eine neue Auflösung folgen sollte, so werden sie nicht mehr Glauben bei den Wählern finden und nicht wieder gewählt werden. Die Folge der gelockerten Beziehungen zu den liberalen und centralistischen Abgeordneten wird, meines ehrfurchtsvollen Dafürhaltens, ein festeres Zusammenhalten[277] der verbündeten Regierungen unter einander sein. Das Anwachsen der socialdemokratischen Gefahr, die jährliche Vermehrung der bedrohlichen Räuberbande, mit der wir gemeinsam unsre größeren Städte bewohnen, die Versagung der Unterstützung gegen diese Gefahr von Seiten der Mehrheit des Reichstags drängt schließlich den deutschen Fürsten, ihren Regierungen und allen Anhängern der staatlichen Ordnung eine Solidarität der Nothwehr auf, welcher die Demagogie der Redner und der Presse nicht gewachsen sein wird, so lange die Regierungen einig und entschlossen bleiben, wie sie es gegenwärtig sind. Der Zweck des Deutschen Reiches ist der Rechtsschutz; die parlamentarische Thätigkeit ist bei Stiftung des bestehenden Bundes der Fürsten und Städte als ein Mittel zur Erreichung des Bundeszweckes, aber nicht als Selbstzweck aufgefaßt worden. Ich hoffe, daß das Verhalten des Reichstages die verbündeten Regierungen der Nothwendigkeit überheben wird, die Consequenzen dieser Rechtslage jemals praktisch zu ziehen. Aber ich bin nicht gewiß, daß die Mehrheit des jetzt gewählten Reichstages schon der richtige Ausdruck der zweifellos loyal und monarchisch gesinnten Mehrheit der deutschen Wähler sein werde. Sollte es nicht der Fall sein, so wird die Frage einer neuen Auflösung in die Tagesordnung treten. Ich glaube aber nicht, daß ein richtiger Moment der Entscheidung darüber schon in diesem Herbst eintreten könne. Bei einem neuen Appell an die Wähler wird die wirthschaftliche und finanzielle Reformfrage ein Bundesgenosse für die verbündeten Regierungen sein, sobald sie im Volke richtig verstanden sein wird; dazu aber ist ihre Discussion im Reichstage nöthig, die nicht vor der Wintersession stattfinden kann. Das Bedürfniß höherer Einnahmen durch indirecte Steuern ist in allen Bundesstaaten fühlbar und von deren Ministern in Heidelberg einstimmig anerkannt worden. Der Widerspruch der parlamentarischen Theoretiker dagegen hat in der productiven Mehrheit der Bevölkerung auf die Dauer keinen Anklang.

Eure Majestät bitte ich unterthänigst, diese kurze Skizze der Situation mit huldreicher Nachsicht aufnehmen und mir Allerhöchstdero Gnade ferner erhalten zu wollen.

[v. Bismarck.]

1

Das bewährte sich bei Rudhart nicht.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 278.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen 3 Bände in einem Band.
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Liebelei. Schauspiel in drei Akten

Liebelei. Schauspiel in drei Akten

Die beiden betuchten Wiener Studenten Theodor und Fritz hegen klare Absichten, als sie mit Mizi und Christine einen Abend bei Kerzenlicht und Klaviermusik inszenieren. »Der Augenblich ist die einzige Ewigkeit, die wir verstehen können, die einzige, die uns gehört.« Das 1895 uraufgeführte Schauspiel ist Schnitzlers erster und größter Bühnenerfolg.

50 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon