I

[384] Der Bruch der Conservativen mit mir, der 1872 mit Geräusch vollzogen wurde, hatte zuerst 1868 vorgespukt in den Debatten über den hannoverschen Provinzialfonds. Nachdem der Gesetzentwurf, welchen die Regierung in Erfüllung einer den Hannoveranern im Jahre zuvor gemachten Zusage dem Landtage vorgelegt hatte, schon in der Commission von den conservativen Mitgliedern lebhaft bekämpft worden war, brachten die Abgeordneten von Brauchitsch und von Diest im Plenum einen Antrag ein, der die Vorlage wesentlich einschränkte. Der erstere entwickelte als Wortführer die Gründe, aus denen die conservative Partei nicht für das Gesetz stimmen könne. Meine eingehende Widerlegung habe ich damals mit den Worten geschlossen: »Es ist eine constitutionelle Regierung nicht möglich, wenn die Regierung nicht auf eine der größeren Parteien mit voller Sicherheit zählen kann auch in solchen Einzelheiten, die der Partei vielleicht nicht durchweg gefallen, – wenn nicht diese Partei den Ueberschlag ihrer Rechnung dahin zieht: wir gehen im Großen und Ganzen mit der Regierung; wir finden zwar, daß sie ab und zu eine Thorheit begeht, aber doch bisher noch weniger Thorheiten brachte als annehmbare Maßregeln; um deswillen wollen wir ihr die Einzelheiten zu Gute halten. Hat eine Regierung nicht wenigstens Eine Partei im Lande, die auf ihre Auffassungen und Richtungen in dieser Art eingeht, dann ist ihr das constitutionelle Regiment unmöglich, dann muß sie gegen die Constitution arbeiten; sie muß sich eine Mehrheit künstlich schaffen oder vorübergehend zu erwerben suchen. Sie verfällt dann in die Schwäche der Coalitions-Ministerien, und ihre Politik geräth in Schwankungen, die für das Staatswesen und namentlich das conserfative Princip von nachtheiliger Wirkung sind.«

Ungeachtet dieser Warnung gelangte das Gesetz mit einer von der Regierung zugestandenen Abschwächung am 6. Februar nur mit einer Mehrheit von 5 Stimmen zur Annahme, weil die meisten Conservativen dagegen stimmten. Auch in der Commission des Herrenhauses wiederholte sich der Angriff von conservativer Seite. Mit welchen Mitteln damals operirt wurde, zeigt folgender Vorgang. Karl von Bodelschwingh, während des Conflikts Finanzminister, der 1866 die Beschaffung der für den Krieg erforderlichen[384] Geldmittel abgelehnt hatte und deshalb durch den Freiherrn von der Heydt ersetzt worden war, hatte in der conservativen Fraktion verbreitet, daß mir die Ablehnung der Vorlage eigentlich recht sein würde, und erbot sich, dafür einen Beweis zu erbringen. Er trat in dem Sitzungssaale beim Beginn der Verhandlungen an mich heran, leitete ein gleichgültiges Gespräch mit der Frage nach dem Befinden meiner Frau ein und kehrte in die Mitte seiner Fraktionsgenossen zurück mit der Erklärung, er sei nach Rücksprache mit mir seiner Sache sicher.

Wenn man die sehr sachkundigen Berichte liest, welche Roon, damals in Bordighera, im Februar 1868 von Mitgliedern der conservativen Partei empfing, abgedruckt in der »Deutschen Revue« vom April 1891, so sieht man, daß die Conservativen von mir verlangten, in ihre Franktion einzutreten. Ich hatte wenig Zeit übrig, war präoccupirt durch das, was wir von Frankreich zu erwarten hatten, durch die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit, daß Oesterreich unter Beust auf französische Kriegspläne eingehen werde, um 1866 ungeschehen zu machen, durch die Frage, welche Stellung Rußland, Bayern, Sachsen, zu solchen Conjuncturen nehmen würden, endlich durch das Bestehen einer hannöver'schen Legion. Diese Sorgen und die Arbeit, zu denen sie nöthigten, erschöpften mich vollständig, und dabei verlangten die Herren, ich sollte jeden einzelnen Privatpolitiker ihrer Fraktion aufsuchen, bekehren. Ich that das sogar, so weit ich konnte, aber meine Versuche wurden durch die Intriguen von Bodelschwingh und die Leidenschaftlichkeit von Vincke, Diest, Kleist-Retzow und andern verstimmten und eifersüchtigen Standes- und früheren Fraktions-Genossen vereitelt.

Wie Roon selbst über die ihm berichteten Zustände dachte, ergibt sich aus seinem Briefe an mich vom 19. Februar 1868, aus Bordighera, dessen einschlagende Stellen lauten:

»Wie es nach den Zeitungen scheint, so haben Sie sich und Andre wieder weidlich geärgert. Mich wundert das nicht, aber es wurmt mich, daß Dissonanzen so ernster Art nicht vermieden werden konnten, Dissonanzen, welche die Liberalen von Profession in einen lauten Freudenrausch versetzen und die Conservativen von Metier noch confuser zu machen scheinen, als sie es leider ohnehin schon sind. Was sollen Sie nach Galignani1 nicht alles gesagt haben! Man hat mir die bezüglichen stenographischen Berichte verheißen; leider sind sie noch nicht in meinen Händen.[385] Ohnehin bin ich in der Hauptsache – in der Ihres gedrohten Rücktritts – vollkommen ruhig, denn ich halte einen solchen, den Fall der physischen Unmöglichkeit ausgenommen, für absolut unmöglich. Beunruhigt aber bin ich dennoch über die immer drohendere Zersetzung der conservativen Partei, welche, falls sie sich in der von den Liberalen gehofften Weise vollziehen sollte, von mir für eine sehr ernste und bedeutungsschwere Sache gehalten werden würde, für einen Vorgang, der Sie und die Regierung zu einem gehorsamen Werkzeug der liberalen Partei herabwürdigen müßte. Zwar verstehe ich, daß es für unsre Politik nützlich, wenn die Liberalen die Hoffnung behalten, die Hand mit an's Ruder legen zu können. Aber ebenso begreife ich, daß es schädlich sein würde, wenn die Situation sich so gestaltete, daß ihre Theilnahme am Regiment eine unvermeidliche Nothwendigkeit wäre. Sie werden dagegen vielleicht bemerken, daß die Verworrenheit, Rath- und Kopflosigkeit der Conservativen – ganz abgesehen von der neidischen und boshaften Ueberhebung Einzelner – von selbst dahin führen werde, und daß Sie dagegen nichts thun können. Aber ist denn das ganz richtig? Hätten Sie Ihre bedeutenden Ressourcen ernstlich dazu verwandt, die conservative Partei, die leider noch immer nicht klar erkennt, daß ihre heutige Aufgabe eine andre sein muß als 1862 und in den folgenden Jahren, zu endoctriniren und zu organisiren, und wollen Sie das heute noch versuchen, so wird nicht nur die Mesalliance mit den Liberalen vermieden werden können, sondern auch aus der reformirten conservativen Partei der dauerhafteste und sicherste Stab für die Wanderung auf dem schwierigen, aber unvermeidlichen Wege conservativen Fortschritts in innerer reformatorischer Erneuerung gemacht werden können. – Wohl kann Ein Mensch, wie bedeutend er auch von Gott ausgestattet worden, nicht Alles selbst thun, was gethan werden muß. Indem ich dies ausspreche schließe ich jeden Vorwurf aus, der für Sie in Vorstehendem gefunden werden könnte. Ich erkenne vielmehr gern und wiederholt an, daß Ihre amtlichen Helfer Ihnen und Ihren Zielen nicht die entsprechende Unterstützung gewähren. Und wenn ich von der Reform der conservativen Partei sprach, so erkenne ich an, daß diese Aufgabe zunächst die des Ministers des Innern sein sollte. Aber besitzt Graf E[ulenburg] das zu der Lösung derselben unentbehrliche Vertrauen? (und Pflichtgefühl!) Wo sollen Sie andre Collegen hernehmen, namentlich einen andern Minister des Innern? Aus der Reihe der Nationalliberalen? Der Gedanke ist mir unerträglich. Aus den Conservativen?[386] Wen aber? Die organisatorisch schöpferischen Geister unter ihnen sind unbekannte Größen, und so sehr ich unsrem bureaukratischen Unwesen abhold bin, das sehe ich ein, der Betreffende müßte es kennen, um es reformiren zu können.«

Einige Tage später, am 25. Februar, schrieb Roon an einen nicht genannten Parteigenossen:

» ... Ueber Politik und Conflict möchte ich am liebsten gar nichts schreiben, nachdem ich auf Grund des am 9. mir gesandten vertraulichen Berichtes am 19. an Graf Bismarck geschrieben, um ihm mein Bedauern auszusprechen, daß die Dinge so verlaufen sind u.s.w. Die stenographischen Berichte, welche mir verheißen sind, können wahrscheinlich an meiner Auffassung der Dinge nichts ändern: Bismarck kann unmöglich Alles selbst thun. Die nothwendig gewordene Organisation oder Reorganisation der conservativen Partei ist eine Sache des Ministers des Innern, und weder Bismarck noch ich noch Blankenburg oder sonst Jemand hat dazu den amtlichen Beruf. Ist der dazu allein Berufene dazu nicht geneigt oder geeignet, so fehlt ihm etwas Unentbeherliches für sein Amt, und die daraus sich ergebende Folgerung mag man ziehen und darnach verfahren. Was durch Bismarcks Verhalten gegen die Conservativen, durch meine oder Blankenburgs Abwesenheit an heilsamer Einwirkung etwa unterblieben ist: daraus kann man auch für Bismarck kaum einen wohlbegründeten Vorwurf ableiten. Wenn man, wie ich, ganz sicher weiß, wie Ungeheures B. zu leisten hat und auch leistet, so kann man ihn billigerweise nicht schelten, daß er nicht auch noch mehr leistet und für seines Collegen Versäumniß oder Unfähigkeit eintritt. Der allein gegen ihn zu begründende Vorwurf würde vielmehr nur darin bestehen, wenn man mit Grund behaupten könnte, daß er nicht Alles was möglich gethan, um sich wirksamere Gehülfen zu verschaffen, und vielleicht kann man dies; aber ich, der ich die betreffenden persönlichen Beziehungen, trotz meiner Entfernung, vielleicht besser und richtiger beurtheilen kann als sonst Jemand, vermag doch kaum eine solche Behauptung mit voller Bestimmtheit auszusprechen. Uebrigens wird der Bruch heilen, denn er muß heilen; wir können uns auf keine andre Partei in der Hauptsache stützen, aber die Partei muß endlich begreifen, daß ihre heutigen Auffassungen und Aufgaben wesentlich andre sein müssen als zur Zeit des Conflicts; sie muß eine Partei des conservativen Fortschritts sein und werden und die Rolle des Hemmschuhs aufgeben, so wesentlich und nothwendig solche zur Zeit der Uebermacht des demokratischen Fortschritts[387] und der damit angedrohten demagogischen Ueberstürzung auch sein mochte und in der That gewesen ist. Dies sind in nuce meine Gedanken über die neueste Situation; natürlich sind sie nur für die allervertrautesten Kreise zur Mittheilung geeignet ...«

1

Galignani's Messenger, ein in Paris erscheinendes englisches Blatt.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 388.
Lizenz:
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