[391] Die exclusivere Fühlung mit den Nationalliberalen, zu welcher der Abfall der Conservativen mich nothwendig führte, wurde in Kreisen der letzteren Grund oder Vorwand zu gesteigerter Animosität gegen mich. In der Zeit, während deren ich, durch Krankheit genöthigt, dem Grafen Roon den Vorsitz im Staatsministerium abgetreten hatte, von Neujahr bis November 1873, fanden bei ihm in kleinen und größeren Kreisen abendliche Begegnungen mir feindlicher Politiker der rechten Seite statt. An denselben nahm Graf Harry Arnim, der Herrengesellschaften ohne politischen Zweck nicht zu besuchen pflegte, wenn er sich auf Urlaub in Berlin befand, in der Rolle Theil, daß er auf die Anwensenden den Eindruck machte, den mir Roon selbst mit den Worten wiedergab: »In dem steckt doch ein tüchtiger Junker!« Die gesprächliche Verbindung, in welcher dieses Urtheil ausgesprochen wurde, und die öftere scharf accentuirte Wiederholung desselben im Munde meines Freundes und Collegen hatte die Tragweite eines Vorwurfs für mich wegen Mangels gleicher Eigenschaften und einer Andeutung, als ob Arnim die innere Politik schneidiger und conservativer behandeln würde, wenn er an meiner Stelle wäre. In den Unterredungen, in welchen dieses Thema des Arnim'schen Junkerthums breit entwickelt wurde, gewann ich den Eindruck, daß auch mein alter Freund Roon unter der Einwirkung der bei ihm stattfindenden Conventikel in dem Vertrauen zu meiner Politik einigermaßen erschüttert war.[391]
Zu den betreffenden Kreisen gehörte auch Herr von Caprivi, damals Generalstabsoffizier. Ich will nicht entscheiden, zu welchen der Seite 388 aufgeführten Kategorien meiner Gegner er damals gehörte; bekannt ist mir nur seine persönliche Beziehung zu Mitarbeitern an der »Reichsglocke«, wie dem Geheimrath von Lebbin, dem Personalrath im Ministerium des Innern, welcher auch in seinem Ressort einen mir feindlichen Einfluß ausübte. Der Feldmarschall von Manteuffel hat mir gesagt, daß Caprivi seinen, Manteuffels, Einfluß bei dem Kaiser gegen mich anzuspannen versucht und meine »Feindschaft gegen die Armee«1 als Grund zur Klage und als eine Gefahr bezeichnet habe. Es ist erstaunlich, daß Caprivi sich dabei nicht erinnert hat, wie die Armee zur Zeit meines Eintritts ins Amt, 1862 und vorher, civilistisch bekämpft, kritisirt und stiefmütterlich verkürzt wurde und wie sie unter meiner Amtsführung aus der Alltäglichkeit des Garnisonslebens über Düppel, Sadowa und Sedan 1871 zum Einzuge in Berlin gelangte. Ich darf ohne Ueberhebung annehmen, daß König Wilhelm 1862 abdicirt hätte, daß die Politik, welche den Ruhm der Armee gründete, vielleicht nicht oder nicht so, wie geschah, in's Leben getreten wäre, wenn ich ihre Leitung nicht übernommen hätte. Würde die Armee zu ihren Heldenthaten und Graf Moltke auch nur den Degen zu ziehen Gelegenheit erhalten haben, wenn König Wilhelm I. anders und durch Andre berathen worden wäre? Wohl sicher nicht, wenn er 1862 abdicirt hätte, weil er niemand fand, der die Gefahren seiner Stellung zu theilen und zu bestehen bereit war.
1 | Vgl. den Brief des Kaisers Friedrich vom 25. März 1888, Buch II, Kapitel 22. |
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