Zweites Kapitel.

Die Schlacht bei Taginä. (552)

[374] Wir wollen diese Schlacht untersuchen, indem wir den vollständigen Bericht Procops (IV, 29-32) hernehmen239 und die kritischen und erläuternden Bemerkungen von Absatz zu Absatz einschieben.

Die Goten unter Totilas kamen von Rom, die Byzantiner unter Narses von Ravenna. Im Appennin begegneten sie sich und lagerten einander gegenüber, nicht mehr als zwei Pfeilschüsse von einander entfernt, in einer Ebene, die rings von Hügeln umgeben war. Von hier ab lautet die Erzählung Procops wörtlich:

»Es befand sich daselbst ein Hügel von geringem Umfang, den beide Heere gar zu gern gehabt hätten, da die Römer ein lebhaftes Interesse hatten, die Feinde von oben zu beschießen und die Goten bei dem hügeligen Terrain, wie ich es bereits beschrieben habe, dem römischen Heer nur dann in den Rücken fallen konnten, wenn sie auf einem Feldweg vorrückten, der an eben jenem Hügel entlang ging. Deshalb mußte beiden dieser Punkt von höchster Wichtigkeit sein, den Goten, um während des Gefechts die Feinde zu umgehen und von zwei Seiten zu beschießen, den Römern, um dies verhindern zu können. Narses kam dem Gegner zuvor, indem er aus einem Regiment Fußvolk 50 Mann aussuchte und sie noch vor Mitternacht abschickte, um den Punkt einzunehmen und besetzt zu halten. Sie dorthin, ohne daß der Feind[374] ihnen irgendwie entgegentrat, und setzten sich fest. Vor dem Hügel fließt ein Bach daher, hart an dem Feldweg, von dem ich soeben gesprochen habe, gerade gegenüber dem Punkte, wo die Goten ihr Lager aufgeschlagen hatten. Dort hielten die fünfzig, dicht aneinander gedrängt, so gut es die Enge erlaubte, in einer Phalanx geordnet. Kaum hatte Totilas bei Tagesanbruch sie bemerkt, so machte er sich daran, sie zu vertreiben. Sofort schickte er eine Schwadron Reiter ab, mit dem Befehl, jene schleunigst zu verjagen. Die Reiter sprengten mit großem Getöse und Geschrei auf sie los, um sie im ersten Anlauf über den Haufen zu rennen; jene aber erwarteten, Schild an Schild, dicht aneinander geschlossen, den Angriff, den die Goten, die im Gedränge sich gegenseitig behinderten, nun versuchten. Der Schild- und Speerwall der fünfzig war so dicht geschlossen, daß sie die Attacke glänzend abschlugen. Dabei machten sie mit den Schilden ein Getöse, vor dem die Pferde scheuten, während die Reiter vor den Speerspitzen zurückprallten. Die Pferde, welche durch die Enge und den Lärm mit den Schilden wild wurden und weder vor- noch rückwärts konnten, bäumten sich hoch auf, und die Reiter wußten sich auch nicht zu helfen gegen diese enggeschlossene Schar, die nicht wankte und wich, während sie ihre Pferde vergeblich dagegen anspornten. Der erste Angriff war also abgeschlagen; nicht besser erging es ihnen beim zweiten. Nach mehrfachen Versuchen gaben sie es endlich auf, und Totilas schickte eine zweite Schwadron zu gleichem Zwecke vor. Als auch diese, wie die erste, abgewiesen wurde, trat eine dritte an ihre Stelle. So ließ Totilas eine ganze Anzahl Schwadronen vorgehen; als er aber gar nichts ausrichten konnte, gab er die Sache endlich auf. Die fünfzig trugen für ihre Tapferkeit unsterblichen Ruhm davon, vor allem aber zeichneten sich zwei Männer in diesem Gefecht aus, Paulus und Ausilas, die aus der Phalanx hervorsprangen und ihre Tapferkeit in hellstem Lichte zeigten.«

Über diese Vorgefecht ist nachher zu sprechen. Procop berichtet nunmehr die Reden, die die beiden Feldherren an ihre Soldaten halten und fährt fort:

»Die Heere aber standen kampfbereit folgendermaßen geordnet:[375] Beide hatten eine gerade Front, die jeder so lang und so tief wie möglich zu machen bestrebt war.«

Dieser Ausdruck (ὡς βαθύτατόν τε καὶ περίμηκες τῆς φάλαγγος τὸ μέτωπον ποιησάμε νοι) erscheint recht anfechtbar: man kann eine Phalanx tiefer machen, dann wird sie weniger lang; man kann sie länger machen, dann wird sie weniger tief. Zugleich möglichst lang und möglichst tief aber kann man sie nicht machen, es sei denn, der Autor wolle sagen, sie stellten alle verfügbaren Truppen auch wirklich auf. Auch wenn man, nach dem genauen Wortlaut übersetzend, das »so sehr als möglich« nur auf die Tiefe bezieht, bleibt der Sinn und der logische Fehler derselbe.

»Auf dem linken Flügel der Römer hielten Narses und Johannes bei dem Hügel« (ἀμφὶ τὸ γεώλοφον)

Nach der obigen Schilderung des Kampfes um den Hügel würde man ihn etwa in der Mitte zwischen den beiden Heeren suchen. Nachher hören wir, daß die Römer von hier aus ihren linken Flügel noch vorbogen. Der Hügel muß also dem römischen Lager näher, mithin, da man ja nur zwei Pfeilschüsse von einander lagerte, sehr nahe gelegen haben. Darin wird die Erklärung zu suchen sein, daß die Goten die 50 Mann nicht zu vertreiben vermochten.

»und mit ihnen die Blüte des Römerheeres: außer den gewöhnlichen Soldaten hatten nämlich beide ein auserlesenes Gefolge von Doryphoren, Hypaspisten und Hunnen. Auf dem rechten Flügel standen Valerian, Johannes der Fresser und Dagisthäus mit den übrigen Römern: auf beiden Seiten ungefähr 8000 Bogenschützen von den Regimentern zu Fuß. In die Mitte der Phalanx stellte Narses die Langobarden, Heruler und anderen Barbaren, ließ sie absitzen, damit sie zu Fuß kämpften und ihnen die Möglichkeit abgeschnitten wäre, sich schnell zurückzuziehen, wenn sie etwa während der Schlacht flau oder unbotmäßig werden sollten.«

Sollen wir wirklich glauben, daß es Mißtrauen war, um deswillen Narses die Barbaren zu Fuß kämpfen ließ? Eben diese Truppen haben nachher allen Anstürmen der Goten[376] Trotz geboten – sollte Narses die Seinen wirklich so schlecht gekannt haben? Oder waren diese Germanen überhaupt die Leute, die, wenn sie eigentlich Reiter waren, sich befehlen ließen, und zwar ohne sachlichen Grund, sie sollten zu Fuß kämpfen? Die Geschichte ist so unglaublich, daß man annehmen darf, es sind entweder Fußkämpfer von Beruf gewesen, die Procop hier vermöge irgendeines Mißverständnisses zu abgesessenen Reitern gemacht hat, oder es lag irgend ein einleuchtendes sachliches Motiv für die Anordnung vor, das der Berichterstatter des Procop entweder selbst nicht verstanden oder um einer pikanten Lagerklatschgeschichte willen verschwiegen hat.

»Nur den äußersten linken Flügel der römischen Front zog Narses in einem stumpfen Winkel vor, in einer Stärke von 1500 Reitern. Von diesen hatten 500 Mann den Befehl, schleunigst zu Hilfe zu eilen, wenn an irgend einem Punkte die Römer geschlagen werden sollten; 1000 Mann waren dazu bestimmt, das feindliche Fußvolk, sobald es in Aktion getreten sei, zu umgehen, so daß es von zwei Seiten zugleich angegriffen wurde.«

Eine Reserve, die bestimmt ist, allenthalben zu Hilfe zu kommen, wo es not tut, darf man eigentlich nicht auf dem äußersten, noch dazu vorgebogenen Flügel aufstellen. Eine solche Reserve kann nur hinter dem Zentrum stehen. Es läßt sich aber verstehen, wie es gemeint ist. Die Randhügel, die das Tal einschlossen, müssen so steil und hoch gewesen sein, daß eine Umgehung des römischen Heeres nicht möglich war. Die einzige Stelle, wo man hätte hinaufkommen können, war jener Feldweg, der zwischen dem Einzelhügel und den Randhügeln, also rechts des Hügels von den Goten aus, auf die Höhen hinaufführte. Hinter diesen schluchtenartigen Aufstieg stellte Narses die 1000 Reiter, die einem Angriff des Fußvolks auf seine Front in die Flanke fallen sollten, und hinter diesen 1000 Reitern hielt er noch 500 in Reserve, über die er sich selbst die Verfügung vorbehielt. Die Vorbiegung des Flügels war nur sehr gering; die 500 Reiter standen also tatsächlich so, daß sie auch noch dem Zentrum im Notfall zu Hilfe kommen können.[377]

»Totilas stellte sein ganzes Heer dementsprechend auf. Er ritt vor der Front entlang, indem er den Soldaten Mut zusprach und sie durch Wort und Miene zur Tapferkeit aufforderte. Auf der anderen Seite tat Narses dasselbe; er ließ goldene Armringe, Ketten und Zügel auf Stangen vor sich hertragen und zeigte den Soldaten diese und ähnliche Dinge, die den Mut für Kampf und Gefahr anreizen sollten. Eine Zeitlang lagen sich die Heere untätig einander gegenüber, indem jedes den Angriff des Gegners abwartete.«

»Darauf sprengte aus dem gotischen Heer ein tapferer Krieger, Namens Kokas, hervor bis nahe an die römische Schlachtreihe und rief, ob ihm nicht jemand im Einzelkampfe gegenübertreten wolle. Dieser Kokas war einer von den römischen Soldaten, die früher zu Totilas übergelaufen waren. Sofort stellte sich ihm einer von Narses Doryphoren, ein Armenier Namens Anzalas, ebenfalls zu Pferde. Kokas stürmte zuerst auf seinen Gegner los, mit eingelegter Lanze nach dem Unterleib desselben zielend, doch Anzalas machte mit dem Pferde schnell eine Wendung, so daß er dem Angriff auswich. Da er so dem Feinde in die Flanke gekommen war, stieß er ihm den Speer in die linke Seite. Jener sank vom Pferde tot zu Boden, worüber die Römer ein ungeheures Geschrei erhoben. Nichtsdestoweniger hielte sich beide Heere ruhig. Totilas aber ritt allein in den Raum zwischen beiden, nicht um zum Einzelkampf aufzufordern, sondern um Zeit zu gewinnen. Denn da er die Meldung empfangen hatte, die 2000 Goten, welche noch nicht zu ihm gestoßen waren, seien schon ganz in der Nähe, wollte er den Kampf nicht vor ihrer Ankunft beginnen und tat folgendes: Zuerst wollte er den Feinden zeigen, was für ein Mann er sei. Er hatte eine ganz von Gold strotzende Rüstung an; von seinem Helm und Speer wallten purpurne Büsche von großer Schönheit, wie es sich wohl für einen König ziemt. Auf einem prachtvollen Pferde reitend, führte er auf dem freien Raum mit Geschicklichkeit das Waffenspiel aus. Zuerst ließ er sein Roß die zierlichsten Wendungen und Volten machen. Dann warf er in vollem Jagen den Speer hoch in die Lüfte und faßte ihn, wenn er wirbelnd niedersank, in der Mitte; er fing ihn bald mit der rechten Hand, bald mit der linken Hand in künstlicher Abwechslung, wobei er seine Gewandtheit[378] zeigte, sprang von hinten und von vorn, wie von beiden Seiten vom Pferde herab und wieder hinauf, wie einer, der von Jugend auf die Künste der Reitbahn geübt hat. Mit solchem Tun brachte er den ganzen Morgen hin. Um dann den Beginn der Schlacht noch mehr hinauszuziehen, schickte er einen Herold zum römischen Heer, der eine Unterredung nachsuchen sollte. Aber Narses schlug das ab: so lange Zeit zu Unterhandlungen gewesen sei, habe sich Totilas kriegslustig gezeigt, und nun, mitten auf dem Schlachtfeld, suche er eine Unterredung herbeizuführen – dadurch lasse man sich nicht täuschen.«

Warum denn aber griff Narses nicht an, da er sich durch die Künste des Goten, der bloß Zeit gewinnen wollte, nicht täuschen ließ? Der Zweikampf des Kokas und Anzalas und die ritterliche Übung des gotischen Königs im Angesicht der beiden Heere lesen sich prächtig. Es ist auch ganz glaublich, daß Totilas Zeit zu gewinnen suchte, da er noch 2000 Reiter erwartete – aber was für den einen Zeit gewinnen ist, ist für den anderen Zeit verlieren. Sollen wir nicht die ganze Erzählung für eine Fabel halten, so müssen wir annehmen, daß Narses ein taktisches Motiv hatte, in der Defensive zu bleiben, dem Gegner den Angriff zu überlassen, das Procop versäumt hat, uns mitzuteilen.

»Mittlerweile waren die 2000 Goten angelangt. Als Totilas erfuhr, daß sie im Lager seien, begab er sich in sein Zelt, da die Zeit zum Mittagsmahl herangekommen war, die Goten gaben ihre Stellung auf und zogen sich ebenfalls zurück. Bei seiner Ankunft fand er die 2000 schon vor und befahl, daß alle Soldaten ihre Mahlzeit einnehmen sollten.«

Hier wiederholt sich die Frage: weshalb nahm Narses nicht den außerordentlich günstigen Augenblick, wo die Goten ihre Schlachtordnung auflösten und ins Lager zurückkehrten, wahr, um sie mit seiner aufmarschierten Macht anzugreifen? Der Vorgang spielte sich ja unmittelbar vor der römischen Front ab?

Alle die Fragen, die wir bisher aufgeworfen haben, lassen sich durch ein und dieselbe Vorstellung erklären und weisen deshalb gemeinschaftlich auf diese hin als auf das verloren[379] gegangene Bindeglied des Zusammenhanges, das alle Lücken zugleich ausfüllt. Wir müssen nämlich annehmen, daß Narses eine vorzügliche Defensivstellung hatte und bestimmt darauf rechnete, daß Totilas ihn in dieser angreifen werde und müsse: deshalb die Fußkämpfer in der Mitte, bestehend oder verstärkt aus abgesessener Reiterei; deshalb das Abwarten des Angriffes; deshalb das untätige Zuschauen zu den Reiterkünsten des Gotenkönigs. Dieser wiederum aber hat absichtlich den Vormittag mit kleinen Scharmützeln und Scheinangriffen zugebracht, um seine Verstärkung herankommen zu lassen, das Gros aber so weit zurückgehalten, daß er im Fall eines feindlichen Angriffes noch hätte einen geordneten Rückzug antreten können. Das wäre ausführbar gewesen, da er der Stärkere an Kavallerie war.

»Er selbst legte eine ander Rüstung an und ließ alle sich gefechtsbereit machen. Dann führte er sofort sein Heer gegen den Feind, in der Hoffnung, ihn zu überfallen und demnächst zu schlagen. Aber die Römer waren keineswegs unvorbereitet, denn Narses hatte in richtiger Voraussicht dessen, was nachher wirklich eintraf, um einem Überfall vorzubeugen, befohlen, Niemand dürfe abkochen, Mittagsruhe halten, ein Stück der Rüstung ablegen und sein Pferd abzäumen. Doch blieben die Soldaten nicht ganz ohne Speise und Tank: in Reih und Glied frühstückten sie, ohne auch nur einen Augenblick die Beobachtung des feindlichen Anmarsches aus den Augen zu lassen. Außerdem wurde die Schlachtordnung geändert: Narses ließ die Flügel, auf denen je 4000 Bogenschützen zu Fuß standen, halbmondförmig schwenken.«

Es ist wohl möglich, daß Totilas gehofft hat, die Römer würden, als das Gros der Goten, statt heranzukommen, ins Lager zurückging, auch ihrerseits aus ihrer Stellung abziehen; immerhin wird er kaum erwartet haben, daß Narses unmittelbar vor dem Feinde so unaufmerksam sein würde, sich überfallen zu lassen. Wohl ist zuweilen derartiges geschehen, z.B. bei Murten 1476, aber das beruhte nicht auf Berechnung, und es spielten besondere Umstände mit.

Das halbmondförmige Vorziehen der römischen Bogner wird so zu verstehen sein, daß sie sich auf den Hügeln, die[380] die Ebene umgaben, etwas vorschoben. Sehr weit kann es nicht gewesen sein, da ein solches ausgestrecktes Horn gar zu sehr isoliert einem Anfall des Feindes preisgegeben gewesen wäre.

»Das gotische Fußvolk stand in seiner Gesamtheit hinter den Reitern, damit, wenn diese geschlagen werden sollten, die Fliehenden einen Rückhalt hätten und mit jenen zusammen wieder zum Angriff vorgehen könnten.«

Wenn das ganze gotische Fußvolk wirklich gar keine andere Bestimmung gehabt hat, als Reserve zu dienen, so folgt daraus, daß es sehr schwach gewesen sein muß und daß das gotische Heer also ganz vorwiegend aus Reitern bestand.

»Alle Goten hatten strengen Befehl, für dieses Treffen nicht den Bogen oder eine andere Waffe, sondern nur die Lanze zu gebrauchen. So wurde Totilas durch seine eigene Unklugheit überwunden, indem er am Anfang dieser Schlacht sein Heer den Feinden entgegenwarf, ohne daß es ihnen in bezug auf Bewaffnung oder sonstwie gewachsen war – wie er dazu kam, weiß ich nicht. Die Römer brauchten nämlich, wie es die Gelegenheit mit sich brachte, im Kampf bald den Bogen, bald die Lanze, bald das Schwert und konnten so jede Chance ausnutzen: sie fochten teils zu Pferde, teils zu Fuß, indem sie die Feinde hier umzingelten, dort den Angriff abwarteten und mit ihren Schilden dem ersten Anprall erfolgreich begegneten. Die gotischen Reiter dagegen, welche ihr Fußvolk weit hinter sich gelassen hatten, ritten im blinden Vertrauen auf die Wucht ihrer Lanzen wie toll drauf los und ernteten, als sie an den Feind kamen, die Früchte ihres unbesonnenen Vorgehens; denn da sie ihren Angriff auf die Mitte der feindlichen Aufstellung gerichtet hatten, kamen sie ganz unvermutet gerade mitten zwischen die 8000 Bogenschützen, da diese, wie schon erwähnt, allmählich herumgeschwenkt waren. Von beiden Seiten beschossen, wurden sie sofort in Verwirrung gebracht und verloren zahlreiche Leute und noch mehr Pferde, ehe sie noch an die Feinde gekommen waren. Arg mitgenommen, wurden sie endlich mit denselben handgemein.«[381]

Was wir hier über die taktischen Grundsätze und die Waffen der römischen Truppen hören, zeigt, daß wir uns in einer ganz anderen Welt als in der der alten römischen Legionen befinden. Wir werden darüber ja noch zu handeln haben. Hier nur die Bemerkung, daß der Verlust, den die gotischen Reiter durch die feindlichen Bogner erlitten, doch nicht so sehr groß gewesen sein kann. Die Römer schossen von den Hügeln herab, die das Schlachtfeld umgaben; in der Ebene selbst können keine Bogner gestanden haben, sie wären sonst von dem wilden Ansturm der Goten sofort überritten worden. Obgleich nun von der Höhe herab sehr vorteilhaft wirkend, können doch in der Hauptsache nur Reiter und Rosse auf den beiden Flügeln der Angriffskolonnen davon gefährlich getroffen worden sein. Die Ebene muß doch eine nicht ganz geringe Ausdehnung gehabt haben, und die Pfeilwirkung reicht nicht sehr weit. Nicht nur die gotischen Reiter, sondern auch ihre Rosse waren gepanzert (Procop I, 16), und in schnellster Gangart – so weit das die schwere Rüstung gestattete, wie wir hinzufügen dürfen – stürmten sie an der Aufstellung der römischen Schützen vorüber.

An anderer Stelle (I, 27) behauptet Procop, die gotischen Reiter kannten die Benutzung des Pfeiles gar nicht, sondern gebrauchten nur Schwert und Lanze.

»Ob man in diesem Kampfe die Römer oder ihre barbarischen Bundesgenossen mehr bewundern soll, vermag ich nicht zu sagen, weil wirklich Mut und Tapferkeit beim Zurückweisen des feindlichen Angriffs bei beiden ganz gleich war. Schon wurde es Abend, da kamen beide Heere plötzlich in Bewegung, die Goten zur Flucht, die Römer zur Verfolgung. Der Angriff der Goten war vollständig gescheitert, sie gaben dem Andrängen der Römer nach und wandten sich, bestürzt über deren große Anzahl und vortreffliche Ordnung.«

Die gotische Reiterei machte einen geschlossenen Choc auf das feindliche Fußvolk, das allem Anschein nach im Gelände irgendwelche Vorteile hatte, die Procop nicht erwähnt, die wir aber aus den oben erwähnten Gründen, daß erstens[382] Narses Reiter absitzen ließ, die hier fochten, und daß er zweitens sich streng in der Defensive hielt, erschließen dürfen. Daß nun dieser Kampf vom Mittag bis zum Abend gewährt habe, wird eine recht starke Übertreibung sein. Die Reserve, die die Goten hatten, haben sie nicht ins Gefecht geführt. Die Schlacht war von ihnen ausschließlich darauf angelegt, daß der gewaltige Ansturm ihrer Reitermasse das Zentrum der Römer sprengen werde. Als das nicht gelang, war die Schlacht zu ihren Ungunsten entschieden. Ein derartiger Angriff, ohne Unterstützung durch neue Kräfte, wird beim zweitenmal nicht stärker, sondern matter, wird also tatsächlich schon beim ersten Zusammenstoß entschieden. Ein stundenlanges Schlagen ist unter solchen Umständen nicht wohl vorstellbar. Sind die Reiter bei ihrem Choc in die Infanterie eingedrungen, so haben sie die Überlegenheit und werden jene bald auseinander getrieben haben. Sind sie nicht eingedrungen, so können sie bei dem reinen Frontalangriff, ihrerseits überdies aus beiden Flanken bedroht und beschossen, kaum noch etwas ausrichten. Wie Procop das Gefecht schildert, als ein stundenlanges Ringen, vermißt man einen eigentlichen Grund, weshalb endlich der Umschlag zugunsten der Römer erfolgte. Anschaulich und deutlich aber wird das Gefechtsbild, wenn wir hier die Übertreibung in Abzug bringen und uns daran halten, daß die »große Anzahl und vortreffliche Ordnung« der Römer die Oberhand behielt und den Angriff der Goten abschlug. (»ἕκαστοι τῶν ἐναντίων ἐπιόντων σφίσιν ὡς καρτερώτατα δεξάμενοι τὴν ἐπιδρομὴν ἀπεώσαντο. ἤδη δέ ἀμφὶ τὰ πρὸς ἑσπέραν ᾖν καὶ τὰ στρατόπεδα ἐξαπιναίως ἐκινήθη ἑκάτερα, Γότθων μὲν εἰς ὑπαγωγὴν, ᾽Ρωμαίων δὲ ἐς τὴν δίωξιν. ὡρμημένο γὰρ ἐς αὐτοὺς Γότθοι οὐκ ἀντεῖχον τοῖς πολεμίοις, ἀλλ᾽ ἐνεδίδοσαν ἐπιόντων αὐτῶν καὶ τροπάδην ἐνέστρεφον, καταπεπληγμένοι αὐτῶν τῷ τε ὁμίλῳ καὶ τῇ διακοσμίᾳ.«)

Ob es zu dem Flankenangriff, den Narses auf seinem linken Flügel aus der Schlucht heraus mit den 1000 Reitern machen wollte, gekommen ist, bleibt dunkel; er war ja auf das gotische Fußvolk gemünzt und dieses ist nicht ins Gefecht[383] gekommen. Da dieses sich nun so zurückhielt, wäre es wohl nicht unnatürlich, daß Narses endlich seine Reiter den gotischen Reitern in die Flanke geführt und eben dadurch das Gefecht zur Entscheidung gebracht hat.

»Sie dachten nicht mehr an Gegenwehr, sondern flohen, als ob sie sich vor Gespenstern fürchteten oder eine höhere Macht gegen sie kämpfe. Als sie bald darauf bei ihrem eigenen Fußvolk ankamen, nahm das Übel zu und griff immer weiter um sich; denn sie gingen nicht in geordnetem Rückzuge dorthin zurück, um sich zu sammeln und dann das Gefecht aufzunehmen oder einen neuen Vorstoß zu unternehmen oder dergleichen, sondern in solcher Unordnung, daß bei ihrem stürmischen Rückprall Leute des eigenen Fußvolkes niedergetreten wurden.«

»Deshalb öffnete auch das Fußvolk seine Reihen nicht, um sie hindurchzulassen, noch hielt es Stand und gewährte ihnen dadurch Sicherheit, sondern alle flohen mit ihnen Hals über Kopf, wobei sie, wie in einem nächtlichen Treffen, sich gegenseitig Tod und Verderben brachten. Die römischen Soldaten genutzten diesen panischen Schrecken und schlugen ohne Schonung alles nieder, was noch auf den Beinen war und weder sich zu wehren, noch aufzusehen wagte. Jene boten gewissermaßen selbst die Kehle dem Messer dar. Und ihre Furcht beruhigte sie nicht, sondern nahm womöglich noch größere Dimensionen an. Bei dieser Metzelei kamen 6000 Mann von ihnen um; viele ergaben sich den Feinden, die ihnen zuerst Quartier gaben, sie nachher aber doch niedermachten. Außer den Goten kamen auch die meisten von den alten römischen Soldaten um, die früher sich vom Römerheer getrennt hatten und, wie bereits früher erwähnt, zu Totilas und den Goten übergelaufen waren. Wer vom Gotenheer nicht umgekommen oder in die Hände der Feinde gefallen war, der suchte im Verborgenen zu entschlüpfen, zu Fuß oder zu Pferde, wie Glück, Umstände und örtliche Verhältnisse es gerade gestatteten.«

Der taktische Vorgang, der aus dieser Erzählung zu entnehmen ist, dürfte folgendermaßen auszudrücken sein: als der gotische Angriff erlahmt war, befahl Narses seiner ganzen Schlachtlinie, zum Angriff überzugehen, trieb die feindlichen[384] Reiter auf ihr Fußvolk zurück und jagte endlich alle in regellose Flucht.

Auch der Verlauf der Schlacht beweist wieder, daß das Fußvolk der Goten sehr unbedeutend gewesen sein muß. Es ist gänzlich nutzlos. Weder rückt es vor, die Reiter zu unterstützen, noch nimmt es sie auf, als sie geschlagen sind. Auch die besondere Aufgabe, die sich ihnen aus der Struktur der feindlichen Aufstellung geboten hätte, nämlich die Randhügel emporkletternd einen der vorgebenen Glügel der feindlichen Bogner anzugreifen und durch einen Erfolg an dieser Stelle auf das Ganze zu wirken, ist von dem gotischen Fußvolk nicht ergriffen worden. Es mag wohl sein, daß es überhaupt keine vollwertige Gefechtstruppe war, sondern nur aus den alten Leuten, Halbinvaliden und Knechten bestand, so daß das Gotenheer in dieser Schlacht eigentlich ausschließlich aus Reitern gebildet war. Ganz unmöglich ist auch die Auslegung nicht, daß die Goten wohl eine ansehnliche Streitmacht zu Fuß gehabt haben, daß diese aber nicht ins Gefecht gekommen ist, weil die Entscheidung bei dem Reiterangriff zu schnell fiel. Die zurückflutenden und energisch verfolgten gotischen Reiter rissen das Fußvolk um und mit sich fort, ehe es in die eigentliche Schlachtlinie eingerückt war.

War dem so, so liegt der Hauptfehler Procops in der Behauptung von der Dauer des Gefechts, die ja auf jeden Fall übertrieben ist. Daß das wirkliche Gefecht auch nur eine halbe Stunde gedauert und in dieser Zeit das gotische Fußvolk nicht herangekommen sein soll, erscheint kaum glaublich – Totilas müßte denn ein gänzlich unfähiger Feldherr gewesen sein.

Über das Ende, das Totilas persönlich gefunden, erklärt Procop selbst, nicht sicher unterrichtet zu sein. Nach dem einen sei er auf der Flucht getötet worden, nach dem anderen sei er in der Schlacht selbst von einem Pfeil getroffen und tödlich ver wundet worden, und sein Fall habe die Goten mit solchem Schrecken erfüllt, daß sie, ohnehin den Römern nicht gewachsen, die Flucht ergriffen hätten. Ob Totilas schon der Schlacht oder auf der Flucht die tödliche Wunde empfangen,[385] müssen wir dahingestellt sein lassen; auch in jenem Fall kann das aber auf den Ausgang des Treffens eine direkte Wirkung nicht gehabt haben, da, nachdem das Handgemenge einmal begonnen, die Masse den Fall des Führers nicht mehr bemerken kann.

Ob die Angabe, daß 6000 Goten gefallen seien, richtig ist, müssen wir dahingestellt sein lassen; meistens sind diese Behauptungen ja sehr übertrieben.

Daß die Römer im ganzen eine große numerische Überlegenheit hatten, ist klar; wir werden ihre Gesamtstärke auf etwa 15000 Mann veranschlagen dürfen.[386]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1921, Teil 2, S. 374-387.
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