Kriegsverbrechen und Verbrechen

gegen die Menschlichkeit.

[329] Als Kaltenbrunner am 30. Januar 1934 Chef der Sicherheitspolizei, des SD und des RSHA wurde, übernahm er die Leitung einer Organisation, die die Hauptämter der Gestapo, des SD und der Kriminalpolizei umfaßten. Als Chef des RSHA hatte Kaltenbrunner die Befugnis, Schutzhaft in Konzentrationslager anzuordnen. Befehle dieser Art wurden normalerweise mit seiner Unterschrift ausgegeben. Kaltenbrunner kannte die Zustände in den Konzentrationslagern. Er hat zweifellos Mauthausen besucht, und Zeugen haben ausgesagt, daß er der Tötung von Gefangenen durch die verschiedensten Hinrichtungsmethoden, wie Erhängen, Genickschuß und Vergasen, als Teil einer Vorführung, beigewohnt habe. Kaltenbrunner selbst befahl die Hinrichtung von Gefangenen in diesen Lagern und sein Büro war gewohnt, Hinrichtungsbefehle an die Lager weiterzugeben, die aus Himmlers Büro stammten. Am Ende des Krieges war Kaltenbrunner bei den Vorkehrungen für die Evakuierung von Konzentrationslager-Insassen, sowie der Vernichtung einer großen Anzahl von ihnen, beteiligt, in der Absicht, zu verhindern, daß sie von den alliierten Armeen befreit würden.

Während des Zeitraumes, da Kaltenbrunner Chef des RSHA war, befolgte dieses ein weitverbreitetes Programm der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zu diesen Verbrechen gehörte die Mißhandlung und Ermordung von Kriegsgefangenen. Unter der Kontrolle der Gestapo arbeitende Einsatzkommandos führten die Untersuchung von Sowjet-Kriegsgefangenen durch. Juden, Kommissare und andere, von denen angenommen wurde, daß sie auf Grund ihrer Weltanschauung dem Nazi-System feindlich gegenüberstanden, wurden dem RSHA gemeldet, das ihre Überführung in ein Konzentrationslager und ihre Ermordung veranlaßte. Ein Befehl des RSHA, der während Kaltenbrunners Regime erlassen wurde, setzte den »Kugel-Erlaß« in Kraft, auf Grund dessen gewisse Kriegsgefangene, die geflohen und wieder ergriffen worden waren, nach Mauthausen gebracht und erschossen wurden.

Während Kaltenbrunner Chef des RSHA war, wurde von der Gestapo der Befehl zur Tötung von Kommandotrupps auf Fallschirmtruppen ausgedehnt. Ein von Kaltenbrunner unterzeichneter Befehl wies die Polizei an, sich bei Angriffen auf abgesprungene alliierte Flieger nicht einzumischen. Im Dezember 1944 nahm Kaltenbrunner an der Ermordung eines kriegsgefangenen französischen Generals teil.

Während des Zeitraums, da Kaltenbrunner Chef des RSHA war, setzten die Gestapo und der SD in den besetzten Gebieten die Ermordung [329] und Mißhandlung der Bevölkerung fort, wozu sie Methoden anwandten, zu denen Folterung und Verbringung in Konzentrationslager gehörten, und dies geschah gewöhnlich auf Grund von Befehlen, die mit Kaltenbrunners Namen unterzeichnet waren.

Die Gestapo war dafür verantwortlich, daß den Sklavenarbeitern eine strenge Arbeitsdisziplin aufgezwungen wurde; Kaltenbrunner richtete zu diesem Zweck eine Anzahl von Arbeitserziehungslagern ein. Als die SS ein eigenes Sklavenarbeitsprogramm einleitete, wurde die Gestapo dazu benutzt, die benötigten Arbeiter in der Weise zu beschaffen, daß sie die Arbeiter in Konzentrationslager überführte.

Das RSHA spielte eine führende Rolle bei der »Endlösung« des jüdischen Problems durch Ausrottung der Juden. Eine Sonderabteilung wurde unter Amt IV des RSHA zur Überwachung dieses Programms geschaffen. Unter ihrer Leitung wurden ungefähr 6 Millionen Juden ermordet, von denen 2 Millionen von Einsatzgruppen und anderen Einheiten der Sicherheitspolizei getötet wurden. Kaltenbrunner war von der Tätigkeit dieser Einsatzgruppen in Kenntnis gesetzt worden, als er Höherer SS- und Polizeiführer war, und diese Einsatzgruppen setzten ihre Tätigkeit fort, nachdem er Chef des RSHA geworden war.

Die Ermordung von ungefähr 4 Millionen Juden in Konzentrationslagern wurde bereits erwähnt. Auch dieser Teil des Programms unterstand der Aufsicht des RSHA, während Kaltenbrunner Chef dieser Organisation war; vom RSHA ausgesandte Sondergruppen durchreisten die besetzten Gebiete sowie die verschiedenen Vasallenstaaten der Achse, um die Deportation der Juden nach diesen Ausrottungsinstituten einzurichten. Kaltenbrunner wußte um diese Tätigkeit Bescheid. Ein von ihm am 30. Juni 1944 verfaßter Brief beschrieb die Verfrachtung von 12000 Juden nach Wien zu diesem Zweck, und ordnete an, daß alle diejenigen, die nicht arbeiten könnten, zur »Sonderaktion« bereitzustellen seien – was Mord bedeutete. Kaltenbrunner leugnete seine Unterschrift auf diesem Brief, was er auch mit Bezug auf eine große Anzahl von Befehlen getan hat, auf die sein Name gestempelt oder mit Schreibmaschine geschrieben, in wenigen Fällen auch handschriftlich gesetzt war. Es ist nicht glaubhaft, daß seine Unterschrift in Angelegenheiten von so großer Wichtigkeit ohne seine Ermächtigung so oft erscheinen konnte.

Kaltenbrunner hat behauptet, daß sein Amtsantritt als Chef der Sicherheitspolizei, des SD und des RSHA auf Grund einer Vereinbarung mit Himmler geschah, die vorsah, daß er seine Tätigkeit auf Angelegenheiten des ausländischen Nachrichtendienstes beschränken solle, während er die Gesamtverantwortung für die Tätigkeit des RSHA nicht zu übernehmen hatte. Er behauptet, daß das verbrecherische Programm vor seinem Amtsantritt bereits eingesetzt[330] hatte; daß er selten wußte, was vorging, und daß er sein möglichstes tat, es aufzuhalten, wenn er in Kenntnis gesetzt wurde. Es ist richtig, daß er für Angelegenheiten des ausländischen Nachrichtendienstes besonderes Interesse zeigte. Er hat jedoch die Kontrolle über die Tätigkeit des RSHA ausgeübt; er wußte Bescheid über die von diesem begangenen Verbrechen und hat an vielen aktiv teilgenommen.


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 1, S. 329-331.
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