Allitterierender

[17] Allitterierender oder stabreimender Vers ist der Vers des altgermanischen Epos, sowohl der Skandinavier als der Deutschen und Angelsachsen. Er besteht aus zwei Hälften, deren jede zwei grammatisch und begrifflich bedeutende, stark accentuierte Silben enthält, an die sich eine beliebige Anzahl schwachaccentuierter Silben anschmiegt; die beiden Halbverse werden durch den Stabreim, d.i. durch den Gleichlaut der Anfangsbuchstaben der gehobenen Silben oder Stäbe so verbunden, dass meist auf den ersten Halbvers ein, auf den zweiten zwei Stäbe fallen; doch kommen auch die Stabverhältnisse 1, 1; 2, 1; 2, 2 vor; die Vokale werden alle als gleichlautig behandelt. Die ganze altskandinavische Litteratur baut sich aus stabreimenden Versen auf, die allmählich freilich verkünstelten und das formal-rhythmische Leben dieser Dichtung erstarren machten. Auch die ganze angelsächsische Poesie, Beowulf, Kynewulf, Kädmon, ist allitterierend. Von Überresten deutscher stabreimender Verse sind zu nennen einige Runensprüche, die Merseburger Zauberlieder, das Hildebrandslied, der Anfang des Wessobrunner Gebetes, Muspilli, der Heliand. Verdrängt wurde die Allitteration besonders[17] durch Otfried dadurch, dass der Endreim an seine Stelle trat, ein Umstand, der ohne Zweifel für sich allein schon viel zum Untergange der alten epischen Dichtungen beitrug. Die Allitteration hat sich von der epischen Zeit her in mannigfachen Redensarten besonders der Rechtssprache erhalten: Mann und Maus, Kind und Kegel, ab und auf, niet- und nagelfest, Haus und Hof, Wind und Wetter, gesammelt in Grimms Rechtsaltertümern, 6 ff.; sodann findet sie sich als malerisches Element in Dichtungen mit Endreim ziemlich zahlreich z.B. im Nibelungenlied; auch die mittellateinische Poesie hat manches stabreimende Gedicht hervorgebracht. Erst die neuere Romantik machte wieder Versuche, den allitterierenden Vers neuerdings einzuführen, dahin gehört Fouqués Heldenspiel: Sigurd der Schlangentöter, besonders aber in neuerer Zeit das Nibelungenlied und Hildebrands Heimkehr von Wilhelm Jordan. Vgl. Ferdinand Vetter, Über die germanische Allitterationspoesie, Wien 1872, und Wilhelm Jordan, der epische Vers der Germanen und sein Stabreim, Frankfurt a.M. 1868.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 17-18.
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