[101] Capitularia. Da die Bestimmungen der Volksrechte (vgl. den Art. leges Barbarorum) nicht für alle Verhältnisse genügen konnten, suchten die Könige den Mängeln und Lücken durch neue Gesetze abzuhelfen, welche sie teils abgesondert publizierten, teils als Ergänzungen zur lex Salica schreiben liessen. Sie galten als gemeines Recht für den ganzen Umfang des Reiches und führten in der merowingischen Zeit die Namen Edictum, Auctoritas, Decretum oder Decretio, Praeceptio oder Praeceptum, Constitutio, Pactum. Es giebt ihrer von Chlodwig an; später wurden sie von den Hausmeiern erlassen. Seit Karl d. Gr., wo sie überhaupt zahlreicher und eingreifender sind, heissen sie Capitularia oder Capita, weil sie in Kapitel zerfallen. Sie sind wesentlich Beschlüsse der Reichsversammlungen, mitunter durch die Unterschrift der Anwesenden bekräftigt. Regelmässig ist alles, was eine Versammlung beschloss, in Einem Aktenstück verbunden, in anderen Fällen das, was die Geistlichkeit betraf, von dem Übrigen getrennt. Siehe d. Art. Campus Martius. Inhaltlich sind es Instruktionen, Berichte, Gutachten, namentlich aber Gesetze. Regelmässig spricht oder befiehlt darin der König. Handelt es sich um ein Recht eines besondern Volkes oder Stammes, so werden die Bestimmungen den Gauversammlungen zur Anerkennung vorgelegt und hier durch Unterschrift der Anwesenden bekräftigt. Grosses Gewicht wurde auf die Verkündigung dieser Gesetze gelegt. Die Königsboten, Grafen, Erzbischöfe, Bischöfe hatten die Pflicht, für die öffentliche Verkündigung zu sorgen; doch findet sich keine Spur einer offiziellen deutschen Ausfertigung, alle Kapitularien sind in lateinischer Sprache abgefasst. Das Bruchstück einer deutschen Interlinearversion, das bei Müllenhoff und Scherer, Denkmäler, LXVI, abgedruckt ist, scheint Privatarbeit. Die Kapitularien nehmen, soweit sie gesetzliche Vorschriften enthalten, volle und unbeschränkte Geltung in Anspruch; nur waren sie nie recht allgemein verbreitet. Auf das römische Recht ist keine Rücksicht genommen. Unter Ludwig d. Frommen hat ein Geistlicher Ansegis eine Sammlung der Kapitularien der letzten Zeit veranstaltet, die an sich keine offizielle Bedeutung hatte, aber bald in allgemeinen Gebrauch kam und von den Königen selbst wie eine authentische Ausgabe der Reichsgesetze angeführt wurde, obgleich sie durchaus unvollständig ist. Benedictus Levita lieferte eine unbedeutende Fortsetzung des Ansegis. Waitz, Verfass.-Gesch., III, Abschn. 5. Stobbe, deutsche Rechtsquellen, I, § 20 ff. Die vollständige Ausgabe der Kapitularien von Pertz in den Monumenta Germaniae legum I, 1835.