Nachtwächter

[709] Nachtwächter, ahd. nahtwahtari, ist schon durch das Horn, das er trägt, als eine sehr alte Erscheinung bezeugt. Karl d. Gr. verordnete, dass die freien Leute ausser dem Heerdienste im Felde ausdrücklich hoch bei Strafe des Heerbannes zum Wachedienste (wacha aut warda) verbunden sein sollten, und zwar zu Tag- und Nachtwachten, zur Aufrechthaltung der Ordnung im Innern des Landes sowohl als zur[709] Bewachung der Städte und Festungen und der Grenzen des Reiches; im besonderen soll der Wachdienst den Ärmeren obliegen, welche die Kosten des Feldzuges und Heerlagers nicht zu erschwingen vermögen. In der Ritterzeit tritt der Nachtwächter, namentlich in dem Amt des Turmwächters, in den Dienst der Höfe und Burgen, und hier mögen sich gewisse Funktionen für sein Amt ausgebildet haben, die ausserhalb des kriegerischen Zweckes lagen und mehr einem allgemeinen menschlichen Bedürfnisse, dem des geselligen und friedlichen Zusammenlebens der Burgbewohner, ihr Dasein verdankten. Hier wohl entstand der bis in neuere Zeit erhaltene Morgen- und Abendruf, welcher der christlichen Denkweise des Mittelalters gemäss dahin lauten musste, dass Gott den Menschen eine gute Nacht und einen guten Tag geben möchte. Denselben Turmwächter mit seinem tageliet hat Wolfram von Eschenbach als Person in das s.g. Tagelied (siehe diesen Art.) eingeführt, daher diese Lieder auch morgensanc, des wahters liet, wahters don, warnesanc, taghorn hiessen. Fliegende Blätter des 16. Jahrh., auf denen Tagelieder gedruckt waren, zeigen auf dem Titel in grobem Holzschnitte den auf der Zinne wachenden Wächter mit dem Horn. Des höfischen Wächters Nachfolger wird der städtische Nachtwächter; in dem dieser das Horn beibehält, vertauscht er Spiess oder Ger mit der Hellebarte; den Abend- und Morgenruf beibehaltend, erwächst ihm mit Einführung der Turmuhren die neue Funktion des Stundenrufes; derselbe ist, wie der Ausdruck ir herren bezeugt, in erster Linie an die Ratsherren gerichtet; die älteste uns bekannte Formel stammt aus dem 15. Jahrh. und lautet: Merkt ir herren und lasst euch sagen, die glock hat Sechse geschlagen. Hüets fewr; wolhin gucter sechse. In italienischen Städten rief der Nachtwächter neben der Stunde auch das Wetter aus. Mit der Zeit wurde der Nachtwächter an gewissen Orten unter die unehrlichen Leute (s. d. besonderen Art.) gezählt; die weit verbreiteten kürzern und längern Nachtwächterlieder stammen höchstens aus dem 16. Jahrh. Vgl. den Art. Nachtwächter in der Krünitzschen Encykl.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 709-710.
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