[1080] Weistümer hiessen die mittelalterlichen Aufzeichnungen der Hof- und Dorfrechte. Vereinzelt finden sie sich schon seit dem 8. Jahrhundert, in grösserer Zahl seit dem 13. Jahrhundert, bis sie mit dem 14. Jahrhundert in fast unübersehbarer Masse in den meisten Gegenden Deutschlands zum Vorschein kommen. Da es grössere Landschaften umfassende Rechtsnormen im Bauernrecht gar nicht gab und jeder einzelne Hof sein durch Herkommen oder Übereinkunft des Herrn mit den Unterthanen entwickeltes eigenes Recht besass, so hatten die Bauern auch Interesse daran, die geltenden Rechtssätze immer von neuem in Erinnerung zu bringen, damit dem Herrn die Möglichkeit benommen würde, sein Recht wirklich weiter auszudehnen. Es war daher Sitte, dass an bestimmten Tagen, wo die ganze Gemeinde sich versammelte und der Herr oder sein Vertreter zugegen war, besonders in den ungebotenen Gerichten (siehe Gerichtswesen), die wichtigsten Rechtssätze ausgesprochen wurden, welche sich so von Geschlecht zu Geschlecht weiter forterbten. Später verzeichnete man die Rechtssätze und las sie in den Gerichten vor. Das Recht verlesen oder aus der Erinnerung mitteilen, hiess nun das Recht weisen, eröffnen, und die darüber aufgesetzte Urkunde Weistum, Öffnung, mhd. wîstuom, offenunge, in Bayern êhaftrecht, in Österreich pantaiding. Die Form des Weisens war verschieden: bald werden die Schöffen, die Gerichtspersonen oder alle Männer, welche am besten das Herkommen kennen, nur im allgemeinen aufgefordert, alles was sie vom Recht wissen, auszusagen; bald thut der Richter, Beamte oder Herr einzelne Fragen und die Gemeindeglieder geben darauf ihre Antworten; ist ihnen dabei etwas nicht vollständig bewusst, so versprechen sie zu antworten, soweit es sie Sinn und Witz lehre, oder sie erklären, dass sie keine Entscheidung wüssten, weil ihnen ein solcher Fall noch nicht vorgekommen sei, oder sie bitten sich zur Antwort einen spätern Termin aus. Mit der Zeit zog man zur schriftlichen Aufzeichnung der Weistümer Notare oder sonstige Schreiber zu, welche dieselben in der Form von Fragen und Antworten oder in derjenigen von einzelnen[1080] Rechtssätzen redigierten; man schrieb sie auf einzelne Blätter oder Pergamentstreifen oder trug sie in Bücher und Register ein. Auch die spät niedergeschriebenen Weistümer enthalten meist sehr alte Rechtssätze, welche schon seit Jahrhunderten gegolten hatten, und man wusste, dass man althergebrachtes Recht mitteile; die Schöffen, heisst es, weisen das Recht, wie sie es von den Vorfahren und ihren Mitbrüdern erlernt und gehört haben, und halten es für Pflicht ihrer Nachkommen, es unangetastet spätern Generationen zu überliefern. Man schrieb die alten Weistümer wörtlich von neuem wieder ab, selbst dann, wenn die veränderten Verhältnisse eine Änderung erforderten und fügte bloss einzelne neue Sätze hinzu.
Der Inhalt der Weistümer ist sehr mannigfaltig, je nachdem die Bauern frei oder unfrei sind u.s.w. Einige Weistümer sind blosse Dorfordnungen, andere Hofrechte. Es gibt Mark- und Forstweistümer, welche sich nicht auf eine einzelne Gemeinde, sondern auf die Rechte mehrerer Dörfer an der gemeinen Mark, auf Markfrevel u.a. beziehen; ferner Bergrechte für Weinbau treibende Dörfer, Grenzweistümer, Zeidlerrechte, Wasserrechte, Deich- und Mühlenrechte, Fischereiweistümer, Fährweistümer, Flurordnungen, Kirchenrechte. Den Hauptinhalt bildet die Stellung der Gemeinde zum Landes-, Gerichts-, Vogtei- und Grundherren; die Zahl und Beschaffenheit der einzelnen Güter wird aufgezeichnet, die Abgaben, Zinsen und Frohnden aufgezählt, die Verpflichtungen des Herrn genannt, die Grundsätze mitgeteilt über die Vererblichkeit und Übertragbarkeit der Güter, Strafen für niedere Frevel u.a. Nach Stobbe, Rechtsquellen, I, 585 ff. Die bedeutendste Sammlung von Weistümern wurde seit 1840 von Jacob Grimm veranstaltet und nach seinem Tode fortgesetzt.