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[3] »Das Reallexikon deutscher Altertümer macht keinen Anspruch auf selbständige fachwissenschaftliche Forschung; die letztere läge sowohl ausserhalb des Umfanges des Werkes, als noch viel mehr ausserhalb der Arbeit und Kraft seines Verfassers. Es stützt sich deshalb das ganze Werk auf die Arbeiten anerkannter Forscher, wobei von Kontroversen möglichst Umgang genommen wurde. Die angeführten Quellen sind also nicht dazu bestimmt, den Umfang der vorhandenen Litteratur irgendwie zu erschöpfen, ein solches wäre hier ein eitles Unternehmen; sondern dieselben sollen teils mitteilen, woher der Verfasser sich Rats erholt hat, teils denjenigen Lesern, welche den Originaldarstellungen näher rücken wollen, einen ersten sichern Weg besonders zu solchen Schriften weisen, wo die Quellen in weiterem Umfange angeführt sind. In der Auswahl dieser Quellen sind dem Verfasser bewährte Freunde bereitwillig zu Dienste gestanden; doch hat er sich von Anfang an nicht verhehlt, dass ihm vorläufig manches, älteres sowohl als neues, entgehen werde; von neueren Werken aber musste manches deshalb bei Seite gelegt werden, weil sie für ein Werk wie das vorliegende noch zu wenig abschliessende Resultate der Forschung enthielten; denn wenn unserer Arbeit auch das Bemühen zu Grunde liegt, sich auf der Höhe der[3] gegenwärtigen Forschung zu halten, so will sie doch auch kein Fundort neuaufgebrachter Hypothesen sein, sondern im grossen und ganzen solche Kenntnisse und Ansichten vermitteln, für welche bewährte Forscher und Schriftsteller als Zeugen angezogen werden können. Es muss zugegeben werden, dass bei der befolgten Methode manche Artikel verwandten Inhaltes in ihrer Auffassung sich einigermassen ausschliessen, es schien dies aber thunlicher und bei der jedesmaligen Nennung der Quelle gewissenhafter und ehrlicher, als wenn überall der Versuch gemacht worden wäre, verschiedene Anschauungen durch allerlei Mittel und Mittelchen künstlich in eins zu verschmelzen.
In der Auswahl der aufzunehmenden Artikel war eine gewisse Unsicherheit nicht zu vermeiden; sie haftet jedem ähnlichen Werke an. Wurden auch von vornherein historische Persönlichkeiten, Örtlichkeiten, Landgebiete und Namen ethnographischer Natur ausgeschlossen, so blieb doch noch oft zweifelhaft, ob ein Artikel in das Fach der Altertümer und nicht vielmehr in dasjenige der Geschichte oder des Wörterbuches gehöre und blieb in solchen Fällen die Aufnahme oder Abweisung desselben vom Takte des Verfassers und vom Umfange der vorhandenen Hilfsmittel abhängig. Wie zahlreiche Altertümer liessen sich nennen, die heute noch jeder kulturhistorischen Bearbeitung ermangeln, und wie viele mögen zwar bearbeitet, aber in schwer zugänglichen Büchern, Zeitschriften u. dergl. mehr oder weniger versteckt sein? Doch dürfte die geschehene Auswahl dem Bedürfnisse wissensbegieriger Leser im ganzen entsprechen. Dass auch der Umfang der einzelnen Artikel oft von der Beschaffenheit der Quellen abhängig ist, versteht sich von selbst.
Gegenüber einem Wörterbuch des klassischen Altertums hat ein ähnliches für das Mittelalter bestimmtes Werk mehr als eine Schwierigkeit zu überwinden. In ungleich höherem Masse als in der antiken Welt liegt im Mittelalter fast alles im Fluss der Entwickelung, so dass Anschauungen, Sitten, Gebräuche, Sachen, Zustände der verschiedensten Natur oft[4] von der urgermanischen Zeit durch zahlreiche Entwickelungsstufen bis dahin durchgeführt werden wollen, wo sie aufhören Altertum zu sein. Noch charakteristischer aber ist für das Mittelalter, dass die sachlichen Altertümer oft so augenfällig hinter der beweglichen Welt der Sitte, des Gemütes, des Rechtes, der religiösen Auffassung zurücktreten, was alles deutlich darzustellen ungleich schwieriger ist als die plastische Welt des konkreten Lebens; und doch handelt es sich in einem Werke wie das vorliegende nicht sowohl um Einführung in den Geist des Mittelalters, sondern die Formen dieses Geistes sollen sich demjenigen öffnen, der Teilnahme und Verständnis dafür entgegenbringt. Auch die zahlreichen Berührungen des deutschen Mittelalters mit anderen Völkern, von den Kelten herab zu den Iren, Angelsachsen, Skandinaviern, Franzosen und Italienern erschweren eine einheitliche und kompakte Darstellung, und nicht minder der durch die landschaftlichen Zustände bedingte Unterschiede, zumal von Ober- und Niederdeutschland.
Wenn es nun auch nicht zu vermeiden war, dass an verschiedenen Orten dieses Werkes gewisse Einseitigkeiten zu Tage treten, so ist anderseits nicht zu vergessen, dass über der schwer zu kontrollierenden Mannigfaltigkeit auch eine Einheit der Anschauung ihre ebenso grosse Berechtigung hat; sie soll die einzelnen divergierenden Strahlen in eine gemeinsame Lichtquelle sammeln. In diesem Sinne und Geiste war der Verfasser zu arbeiten bemüht.«
Vorliegende Worte, ursprünglich als Prospekt nach der Beendigung des ersten Vierteiles des Realwörterbuches verfasst, mögen hier wiederholt und durch einige weitere Anmerkungen ergänzt werden. Manchem Leser dürfte eine gewisse Ungleichheit in der Darstellungsweise und Behandlung der einzelnen Artikel aufgefallen sein, und zwar nicht bloss bei solchen Artikeln, die ich mir von befreundeter Hand ausarbeiten liess, sondern auch, was weitaus bei den meisten der Fall ist, in den von mir bearbeiteten; manches ist kürzer und knapper[5] ausgefallen, als wohl erwartet werden durfte, anderes breiter und ausgiebiger geworden; hier sind mehr bloss die Umrisse gezeichnet, dort manches beigebracht, was zur besseren Unterscheidung von Schatten und Licht dient; diese Erscheinung ist bloss bis zum Ausgange des Mittelalters, jene bis ins achtzehnte Jahrhundert durchgeführt; auch den besonderen Ton eines Quellenschriftstellers durchschimmern zu lassen, wurde nicht ängstlich vermieden. Was dem Ganzen dadurch an Einheit der Behandlung abgeht, gewinnt vielleicht das Einzelne an Frische und Mannigfaltigkeit, zumal für denjenigen Leser, dem auch in solchen Dingen ein charakteristischer Gesichtszug behagt. Und das letztere wird ja wohl, wie ich mir dachte, bei der Mehrzahl meiner Leser der Fall sein; denn von vornherein war es nicht auf Gelehrte von Beruf abgesehen, sondern auf Freunde und Liebhaber des deutschen Altertums, welche, ohne besondere Studien dieser Art zu pflegen, einen in seiner Art ausgiebigen Ratgeber gerne zur Seite haben. Gab ich mir Mühe, diesen im allgemeinen das anzubieten, was nach meiner Erfahrung gewünscht und erwartet wird, und in einer Form, welche den Leser anspricht, so sollte doch auch der Ernst einer wissenschaftlich-historischen Methode nicht zu verkennen sein.
Bei der durch die Lieferungsausgabe bedingten stückweisen Ausarbeitung des Realwörterbuches war es unmöglich, von Anfang an die Auswahl aller aufzunehmenden Artikel festzustellen und es musste bei zahlreichen Stichwörtern vorläufig bloss auf einen folgenden Artikel verwiesen werden; bei dessen Stelle im Alphabet angekommen, stellte es sich dann manchmal heraus, dass aus diesem und jenem Grunde ein besonderer Artikel unthunlich sei und der dahin gehörige Stoff besser unter einem grösseren Ganzen untergebracht werde. Die Folge davon war, dass von jenen Verweisungen einige im Stich lassen; als ohne Zweifel willkommener Ersatz für diesen Mangel wurde die Ausarbeitung eines eingehenden Registers ins Auge genommen und durchgeführt, ein Verzeichnis, das nun jene im[6] Buche selbst, besonders in der ersten Hälfte, sich vorfindenden Verweisungen überhaupt unnötig macht und den Nutzen und Gebrauch des Buches wesentlich erhöhen dürfte.
Dass vieles noch der Verbesserung bedarf, dass noch manche Artikel fehlen, manche Bücher und Schriften neu herbeigezogen werden müssen, dass manche ältere Quelle durch eine neuere zu ersetzen ist u. dgl., ist mir längst klar geworden. Einige Rezensenten hatten die Freundlichkeit, mich in dieser Beziehung auf Einzelheiten aufmerksam zu machen und auch an wohlwollenden brieflichen Berichtigungen freundlicher Leser hat es jetzt schon nicht gefehlt. Gern richte ich hier die fernere Bitte an die Leser, dass sie mir in dieser Hinsicht zum Behuf einer neuen Auflage behilflich sein möchten.
Ich will endlich nicht schliessen ohne einen herzlichen Dank, einesteils an die Mitarbeiter, welche, meist ehemalige Schüler von mir, gern und hilfreich mir beisprangen, andernteils an die Vorsteher der beiden hiesigen Bibliotheken, der Stadt- und Stiftsbibliothek, deren Geduld und Aufmerksamkeit ich in hohem Masse in Anspruch nehmen durfte.
St. Gallen, Oktober 1882.
Dr. Ernst Götzinger.
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