Centavri

[655] CENTAVRI, i, Gr. Κένταυροι, ων, ( Tab. XIV.)

1 §. Namen. Dieser ist aus κεντάω, ich steche, und ταῦρος, ein Ochs, zusammen gesetzet, weil sie die ausgerissenen Ochsen des Ixions mit ihren Stacheln wieder zurück brachten. Serv. ad Virg. Gerog. III. v. 115. Andere nehmen für ταῦρος, nach der Fabel, αὖραν, die Luft, weil Ixion in den Wind oder in die Luft gestochen, woraus die Wolke gebildet war. Eustath. in Hom. Il. Α. 268.

2 §. Herkommen. Als sich Ixion dereinst bey einem Gelage der Götter im Himmel besoffen hatte, Lucian. op. Munck. ad Hygin. Fab. 62. so suchete er der Juno selbst zu nahe zu kommen, die aber auf Jupiters Rath einer Wolke ihre Gestalt gab, mit welcher denn Ixion einen Centaur, und dieser sodann wieder die andern, Schol. Homer. ad Il. Α, 268. oder auch alsofort das ganze Gehecke derselben zeugete. Hygin. l. c. Jedoch wollen auch einige, er habe solche Misgeburten mit den Pferden hervorgebracht, die er gehütet, Serv. ad Virg. Aen. VIII. v. 293. wogegen andere deren Mutter insonderheit Nephele nennen, Diod. Sic. lib. IV. c. 72. p. 189. welches aber an sich doch nichts anders, als nur besagte Wolke, bedeutet. Nach andern sind sie vom Jupiter selbst gezeuget worden, da er sich in ein Pferd verwandelt, und mit Irions Gemahlinn, Dia, zu thun gehabt hat. Nonni Dionys. L. XVI 240. Einige schreiben ihnen einen doppelten [655] Ursprung zu, und sagen, sie wären Söhne der Najaden, welche den Bacchus ernähreten, und von der Juno, aus Hasse gegen ihre Mütter in solche Unthiere verwandelt worden; andere wären von Jupiters Samen erzeuget worden, welcher auf die Erde gefallen, da er sich mit der Venus zu paaren gesuchet, diese aber ihm widerstanden hätte. Id. L. XIV. 193. Cf. Mezir. comment. sur les Ep. d'Ovid. T. I. p. 149. sqq. 3. §.

3 §. Thaten. Nachdem sie von den Nymphen auf dem Berge Pelion auferzogen worden, so zeugeten sie mit andern Pferden wiederum die Hippocentauren, Diod. Sic. lib. IV. c. 72. p. 189. und, als darauf Herkules bey dem Pholus, einem von ihres gleichen, einsprach, dieser aber, seinem Gaste zu Ehren, ein besonderes Faß Wein aufthat, so stieg der Geruch davon den andern so angenehm in die Nase, daß sie sich häufig vor der Höhle einfanden, wie sie denn überhaupt große Liebhaber des Weines waren. Nonni Dionys. XIV. 367. Da man sie nun nicht in der Güte wollte mittrinken lassen, so suchten sie solches mit Gewalt zu thun. Allein, es empfieng sie Herkules dergestalt, daß ihrer ein Theil mit dem Leben bezahlen, die andern aber sich mit der Flucht retten mußten. Diodor. ib. c. 12. p. 154. Immittelst hatte doch Herkules genug mit ihnen zu thun, indem sie theils mit ausgerissenen Bäumen, theils mit Felsenstücken, theils mit brennenden Fackeln, theils auch mit großen Aexten auf ihn los stürmeten. Es kam ihnen auch Nephele, ihre Mutter, mit zu Hülfe, da sie einen starken Platzregen fallen ließ, und damit die Erde so schlüpfrig machte, daß er nicht festen Fuß fassen, und gewiß genug stehen konnte. Ib. Da sie hiernächst als Befreundte auch mit auf des Pirithous und der Hippodamia Beylager eingeladen wurden, und ihnen der Wein in die Köpfe stieg, so griff Eurytus, als der vornehmste unter ihnen, nach der Braut, die andern aber nach dem übrigen Frauenzimmer der Lapithen, um sich deren zu ihrem Willen zu bedienen: allein, da sich Theseus, [656] Pirithous, Cäneus und andere von den Lapithen ihrer annahmen, so gieng es an ein entsetzliches Raufen und Schlagen, in welchem zwar unterschiedene auch von den Lapithen und selbst der tapfere Cäneus mit umkamen, jedoch blieben weit mehr auf der Centauren Seite, und die übrigen mußten sich mit der Flucht retten. Ovid. Metam. XII. v. 219. Indessen kam es doch hernachmals zwischen beyden Nationen zu einem heftigen Kriege, in welchem endlich die Lapithen den Centauren weichen mußten; und da diese den Berg Pholoe besetzet hielten, so streifeten sie von solchem auf alle, welche sie erreichen konnten, Diod. Sic. lib. IV. c. 72. p. 189. bis sie endlich Herkules gänzlich aus Thessalien vertrieb, worauf sie sich in die Inseln der Sirenen begaben, allein auch daselbst vollends durch Hunger umgekommen seyn sollen. Antimachus ap. Nat. Com. lib. VII. c. 4. & Ptol. Hephæst. lib. V. p. 325.

4 §. Bekannteste von ihnen. Diese sind:


Abas, Agrius, Amphion,

Amycus, Amydas, Anchius,

Antimachus, Aphareus, Aphidas,

Arktus, Areus, Argeus,

Asbolus, Astylus, Bianor,

Bravenor, Bretus, Bromus,

Chiron, Chromis, Chthonius,

Clanis, Erenäus, Criton,

Cyllarus, Daphnis, Demoleon,

Diktys, Dorpus, Dorylas,

Dryalus, Dynäus, Dupo,

Emmachius, Enopion, Erygdupus,

Eurynomus, Eurytus, Gryneus,

Gryphäus, Harpagus, Harmandio,

Helimus, Helops, Hippasos,

Hippotion, Hyles, Imbreus,

Iphinous, Isoples, Latreus,

Lykabas, Lycetus, Lycidas,

Lykothas, Lykus, Monychus,

Mimas, Mermerus, Melaneus,

Medon, Melanchätas, Nessus,

Nykton, Odites, Oeklus,

Oreus, Orneus, Pholus,

Perimedes, Pisenor, Phäokomes,

Phlegräus, Peträus, Phryxus,

Pyrakmon, Pyretus, Praxion,

Päantor, Rhökus, Rhötus,[657]

Ripheus, Stiphelus, Thereus,

Thaumas, Teleboas, Thonius,

Theramon, Theroklonus, u. Thurius,


Diod. Sic. & Ovid. ll. cc. itemque Nat. Com. lib. VII. c. 4. & alii, welche meist, wo nicht alle, an ihren Orten besonders nachzusehen.

5 §. Gestalt. Sie waren von oben an, bis ungefähr an den Nabel, Menschen, so dann aber vollends Pferde, und diese zwar mit ihren vier Füßen, Pferdeschwänzen und andern Zugehörungen. Palæphat. Incredib. c. 1. Andere dichten ihnen dagegen vorn zween Menschenfüße, und also nur hinten zween Pferdefüße an. Pausan. Eliac. prior. c. 19. p. 324. Hierbey waren sie sonst zum Theile nicht häßlich beschaffen, wie denn unter andern Cyllarus einen gelblichten Bart, ein langes bis auf die Schultern hangendes Haar, Hals, Arme und Hände, so schön, als sie kein Bildhauer an den Statüen bilden kann, hatte; und so fern er ein Pferd war, war er kohlschwarz, hatte doch aber dabey seinen weißen Schwanz und weiße Füße, dabey auch Brust und Rücken, wie das schönste Pferd haben kann. Eben so schön war auch seine Frau, die Hylonome. Ovid. Metam. lib. XII. v. 395. Man hat ihre Abbildung in mancherley Stellungen und Handlungen auf allerhand Arten alter Denkmäler. Unter den herkulanischen Gemälden kommen sehr schöne Stücke so wohl von bärtigen und unbärtigen Centauren, als auch Centaurinnen vor. Tom. I. tav. 25.–28. e Tom. III. tav. 47. sqq. So findet man auch vielfältig auf Gemmen und andern Kunstwerken ein solches Paar vor des Bacchus Wagen gespannet, wo der Centaur gemeiniglich eine Keule, die Centaurinn aber eine Leyer, oder ein ander musikalisches Instrument, führet. Buonarotti Osserv. sop. alc. Medagl. p. 427. & 430. Zuweilen hat sie dafür einen Schild, so wie die Centauren oft selbst dergleichen und einen Wurfspieß tragen. Begeri Spicileg. antiq. p. 57. Sie werden auch manchmal andern Göttern gegeben, ihre heiligen Wagen zu ziehen, wie man es hin und wieder auf Münzen [658] antrifft. Buonarotti l. c. p. 428. Es soll aber Zeuxis zuerst es gewaget haben, eine Centaurinn zu dichten, welche er mit zweyen jungen abgeschildert, deren eines sie auf eine menschliche Art, das andere aber wie ein Pferd gesäuget. Luciani Zeuxis p. 579. T. I. Opp. Eine andere Abbildung einer solchen Centaurenfamilie beschreibt Philostrat. Icon. L. II. n. 3. p. 813. Wie es aber nichts sonderbares ist, einen Menschen und ein Pferd zusammen zu setzen, so hat man es doch stets für eines der größten Meisterstücke gehalten, den Uebergang von dem einen zum andern so unmerklich zu machen, daß man ihn nicht füglich entdecken und bestimmen könne. Id. n. 2. p. 813. Dieses Kunststück wird auch sonderlich an des Zeuxis seiner Centaurinn bewundert. Lucian. l. c. p. 580. Wie es nun bärtige und unbärtige Centauren gab, so soll es auch welche mit Hörnern, wie Satyren gegeben haben. Nonni. Dionys. V. v. 615.

6 §. Eigentliche Historie. Weil es allerdings unglaublich ist, daß es jemals dergleichen Centauren gegeben, auch nach dem Laufe der Natur keine geben kann, Lucret. de rer. nat. L. V. 876. wiewohl man doch zuweilen dergleichen Misgeburten will gesehen haben. Plutarch. conviv. sept. Sap. p. 149. T. II. Opp. Plin. H. N. L. VII. c. 3. so halten einige dafür, daß, als dereinst eine Heerde Ochsen des Ixions toll geworden, und vielen Schaden im Lande gethan, so habe Ixion denen eine gute Belohnung versprochen, welche sie aus dem Wege räumen würden. Hierauf hätten sich denn ein Haufen junger Leute aus dem Dorfe Nephele zu Pferde gesetzet, und solche mit ihren Wurfspießen verfolget, und endlich erleget; daher sie denn den Namen der Centauren von Nephele bekommen. Als sie aber solcher That wegen hochmüthig geworden, und endlich mit den Lapithen in öffentliche Händel gerathen, sso hätten sie sich nach ihren Streifen wieder auf ihre Berge begeben; und wenn man sie also von hinten her reiten gesehen, so hätte es geschienen, als wären sie halbe Pferde und halbe [659] Menschen. Pelæphat. Incredib. c. 1. Vielleicht waren es die ersten Reiter, welche von denjenigen, die sie von ferne sahen, mit den Pferden für ein Thier gehalten wurden. Heraclit. de Incredib. c. 5. Einigen kam dieses insonderheit so vor, wenn sie die Centauren ihre Pferde im Flusse Peneus tränken sa hen, und diese sich also mit den Köpfen nieder bückten, daß man sie nicht wohl sehen konnte. Serv. ad Virg. Georg. III. v. 125. Man hat diese Erklärungen bitter beurtheilet und lächerlich zu machen gesuchet: dagegen aber behauptet, Ixion habe mit einem Kammermägdchen zu thun gehabt, welche er für die Gemahlinn eines Königes Jupiters gehalten. Weil nun solches Aura geheißen, und ἆυρα auch die Luft oder eine Wolke bedeute, so sey die Fabel daraus entstanden; und der junge Imbrus, welcher die Frucht dieses Liebeshandels gewesen, spottweise daher Centaurus, der aus dem Kammermägdchen gestochen ist, genannt worden. Tzetzes Chil. VII. Hist. 14. Indessen machet man doch wider diese Erklärung den Zweifel, daß eine solche Sclavinn vielmehr ἄβρα als ἆυρα im Griechischen heiße. Meziriac. l. c. p. 154. Ein anderer will, man habe gewisse Hirten so genannt, welche Heerden von Stieren hatten, die sie zu stechen pflegten, wenn sie solche auf die Weide führeten. le Clerc beym Banier IV. B. 469. S. Man will auch, Ixion habe eine Frau von dem Geschlechte der Nephilim geheurathet, mit welchem Namen die Phönicier Reiter belegeten, welche Straßenräuberey trieben, von dem Worte Naphal, er bricht ein, überfällt. Die spätern Griechen, welche dieses Wort nicht mehr verstunden, macheten νεφέλην, eine Wolke, daraus. Aus dieser Verbindung nun wurden die Chnoterim, das ist, Laurer, Nachsteller, erzeuget, welche man wegen ihres beständigen Herumstreifens zu Pferde für halbe Menschen und halbe Pferde hielt, und nach einer verderbten Aussprache Centauren nannte. Cleric. ad Hesiod. Scut. Herc. 184. Noch andere meynen, weil die Thessalier die ersten Pferde [660] gebändiget, und, sich desto besser im Reiten zu üben, mit Wurfspießen wider Stiere gefochten, nach der Zeit aber sich durch Räuberey fürchterlich gemacht, so habe solches diese Fabel veranlasset. Ban. am angef O. 473 S.

7 §. Anderweitige Deutung. Einmal soll ihre monströse Gestalt bemerken, daß bey ihnen nicht viel Tugend und Verstand zu suchen gewesen, wobey jedoch Chiron gleichwohl auch so viel erweist, daß solches nicht für allgemein anzunehmen sey. Sodann aber sollen sie zum Beyspiele dienen, daß man sich den Wein nicht allzusehr soll einnehmen lassen, noch auch seinen Begierden nachgeben, oder die Hände an fremde Dinge legen, weil es widrigen Falles gar leicht kommen kann, daß man alle das Seinige mit dem Rücken ansehen, und sein Leben in der Fremde und aller Dürftigkeit endigen müsse. Nat. Com. lib. VII. c. 4.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 655-661.
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