Elysivm

[986] ELYSIVM, i, Gr. Ἠλύσιον, ου.

1 §. Namen. Den Namen Elysium hat solches erdichtete Land der verstorbenen Frommen, nach einigen, von ἄλυτος, unauflöslich, weil die Leiber der Verstorbenen daselbst nicht mehr aufgelöset werden; oder auch von λύσις, Auflösung, weil die Frommen daselbst von allem Bösen los und befreyet sind. Proclus ap. Becmann. Orig. L. L. in Elydum. Serv. ad Virg. Aen. V. v. 734. Allein, andere leiten ihn lieber aus dem [986] Ebräischen, und zwar von El eschel her, welches so viel als Gottes Garten heißt, Becmann. l. c. oder auch gar von Eden, wo das Paradies war. Struchtmeyer Theol. myth. L. IV. c. 10. Beydes aber ist etwas weit gesuchet. Sonst nennen solchen Ort einige insgemein Campos Elysios, die elysäischen Felder, Virgil. Georg. I. v. 38. & Tibull. lib. I. El. 3. v. 58. andere Vallem Elysiam, das elysäische Thal, Ovid. Amor. III. Eleg. 9. v. 60. die dritten die Νησους μακάρων oder Insulas beatorum, die Inseln der Seligen, Hes. O. & D. v. 171. & Lycophron v. 1204. die Insulas divites, reichen Inseln, Horat. lib. IV. Od. 8. v. 27. u.s.f. nachdem man sich nämlich dieselben bald als eine Insel, bald als ein freyes Feld, oder dergleichen mehr eingebildet hat.

2 §. Beschaffenheit. Dieser Aufenthalt der Frommen soll eine lustige Gegend seyn, wo es die schönsten grünen Wiesen und angenehmsten Wälder giebt; wo die Luft und das Licht viel heiterer, als sonst auf der Welt, sind; wo ein Theil der Verstorbenen sich mit Ringen auf grasichten Gegenden übet, oder spielet, die dritten tanzen, und Orpheus sich mit seiner Musik hören lasse; wo sich die alten Helden mit ihren Waffen, Wagen, und Pferden befinden, und, woran sie im Leben ihr Vergnügen gehabt, solches auch daselbst treiben. Da sollen sich wohlriechende Lorbeerwälder, mit dem Flusse Eridanus finden; da sollen die, welche für ihr Vaterland sich verwunden lassen, imgleichen fromme Priester, Wahrsager, Künstler, oder die sich sonst um andere wohl verdient gemacht, mit ihren weissen Binden um die Köpfe gehen, sich in Haynen, oder Thälern, an lustigen Flüssen, auf Wiesen, die mit hellen Bächen durchflossen, einzeln, oder auch mehrere zusammen aufhalten, nachdem es nämlich ihnen gefällt, niemand aber an einen gewissen Ort gebunden seyn. Virgil. Aen. VI. v. 638. Da sollen die Vogel aufs lieblichste singen, die Kasia von sich selbst auf den Feldern wachsen, und ganze Aecker voller Rosen stehen; da sollen Jungfern und Junggesellen [987] mit einander tanzen, und auch wohl sonst thun, was dergleichen Völkchen insgemein anzugeben pfleget, wenn es seine vermeynte ruft aufs höchste treibt. Tibull. lib. I. Eleg. 3. v. 59. Da soll kein Schnee, kein Winter, kein Regen seyn, wohl aber Zephyr stets annehmlich wehen. Homer. Odyss. Δ. v. 566. Da soll sich niemand um seinen Unterhalt oder seine Kleidung bekümmern dürfen. Cic. de Fin. lib. V. c. 19. p. 1100. Da soll niemand alt, schwach oder krank werden, und wie die Menschen, also die Früchte und was zu ihrem Unterhalte gehöret, stets unverändert in ihrer Vollkommenheit verbleiben. Lucian. ap. Nat. Com. lib. III. c. 19. Ueberhaupt soll da ein jeder finden, was ihn vollkommen vergnügen konnte; daher sich denn auch ein jeder solche elysäische Felder nach seiner eigenen Einbildung vorstellete. Indessen aber konnte auch keine Seele dahin kommen, wo sie nicht erst gereiniget, und alles das, was sie etwan von dem Leibe noch an sich hatte, ganz und gar weggeschaffet war. Es wurden daher einige in die Luft aufgehänget, und von solcher ausgefächelt, andere im Wasser abgespület, oder auch im Feuer ausgebrannt. Virgil. ibid. v. 735. Sie blieben aber auch nicht stets in solchen elysischen Feldern; sondern je früher alle ihre Unreinigkeit weggebracht werden konnte, desto eher kamen sie wieder aus denselben, und vereinigten sich sodann aufs neue mit einem andern Leibe. Insgemein wurde eine Zeit von tausend Jahren dazu erfordert, wie es scheint. Id. ibid. v. 748. Damit sie auch der elysischen Herrlichkeiten vergessen möchten, so tranken sie aus dem Flusse, Lethe, welcher sich in Elysien, und zwar in einem angenehmen Walde befand, am Ufer voller Lilien, allein zugleich so voller Seelen war, als etwan im Sommer eine bluhmenreiche Wiese voller Bienen ist. Id. ib. v. 703.

3 §. Gegend. Einige setzen sie in das Innerste der Erde, Virgil Aen. V. v. 731. andere in den Kreis der Fixsterne, oder über alle bewegliche Sterne hinauf, Ap. Nat. Com. lib. III. c. 19. die dritten in die Gegend des Mondes, Ap. [988] eumd. l. c. die vierten in Spanien, oder doch in die glückseligen Inseln, Strabo lib. I. p. 2. die fünften überhaupt in das atlantische Meer, Plutarch. Sertor. c. 3. die sechsten zwischen Britannien und die Insel Thule, Tzetz. ad Lycophr. v. 1204. und die siebenten in Böotien, und zwar insonderheit um Theben herum. Ap. eumd. l. c. Jedoch sollen sie auch in dem reizenden Lande Bätica oder dem heutigen Andalusien zu suchen seyn. Ban. Erl. der Götterl. IV B. 14 S. Ja, man hat die schönsten Gegenden in Europa, Asia und Africa dazu ersehen. Struchtmeyer l. c. §. 18. Wenn aber jemand in dieselben kommen wollte, so mußte er erst durch eine finstere Höhle einen großen Weg unter der Erde hinweg gehen. Virgil. Aen. VI. v. 262. Darauf kam er zum Eingange oder Vorhofe der Hölle, vor welchem die Krankheiten, Sorgen, der Kummer, das Alter, die Furcht, der Hunger, die Dürftigkeit, die Furien u.d.g. ihren Aufenthalt hatten. So stund auch ein großer und alter Ilmenbaum daselbst, unter dessen Blättern die eitlen Träume saßen. Ferner befanden sich daselbst die Centauren, die Scylla, die lernäische Schlange, die Chimära, die Gorgonen, Harpyien u.d.g. Idem ibid. v. 273. Von da gieng der Weg nach dem Acheron und dem andern höllischen Flusse, über welche er sich von dem Charon mußte fahren lassen. Idem ibid. v. 295. Immittelst fanden sich an solchem aller Verstorbenen Seelen, alt und jung, Männer und Weiber, so häufig ein, als die Blätter bey angehendem Winter von den Bäumen fallen, und verlangten, übergeführet zu werden. Charon nahm einen Theil davon an, einen Theil aber wies er zurück, welches denn die waren, die nach ihrem Tode nicht waren begraben worden, und daher erst hundert Jahre warten mußten, ehe sie übergesetzet werden konnten. Idem ibid. v. 305. Wenn aber jemand über solchen Fluß gekommen, so stieß ihm zuerst Cerberus in seiner Höhle mit einem entsetzlichen Gebelle auf, Idem ib. v. 417. sodann kam er in die Gegend [989] der kleinen verstorbenen Kinder, welche ein elendes Weinen und Winseln verführeten; Idem ibid. v. 426. ferner in die Gegend derer, die fälschlich zum Tode verdammet worden, und viertens in die Gegend, oder wie solche Gegenden auch genannt wurden, in den Kreis derer, die sich selbst aus Verdrusse das Leben genommen, die aber doch alle erst vor des Minos Gerichte stehen mußten, der ihnen darauf ihre Gegenden anwies. Idem ibid. v. 430. & Serv. ad v. 426. Von da eröffneten sich zwey weite, aber betrübte und düstere Felder, mit allerhand heimlichen Wegen und Myrtenwäldern, wo sich die aufhielten, welche ihre Liebe in den Tod gestürzet. Virgil. l. c. v. 440. Nach diesen fand sich die Gegend derer, welche Helden im Kriege gewesen, die aber nicht minder, als die vorigen, auch ganz düster war. Idem ib. v. 478. Hierauf theilete sich der Weg und gieng der zur rechten nach Plutons Schlosse und den elysischen Feldern, der linke aber nach dem Orte der Verdammten oder dem Tartarus zu, und konnte man da sowohl denselben sehen, als auch der darinnen Gequäleten Heulen und Geschrey hören. Idem ib. v. 540. Wenn man inzwischen auf dem erstern aber doch noch immerzu finstern Wege fortgieng, so kam man an eine eiserne Mauer, welche die Cyklopen geschmiedet hatten, und durch solche endlich in die elysäischen Felder. Idem ib. v. 630.

4 §. Eigentliche Bewandniß. Weil die vernünftigen Heyden allerdings die Unsterblichkeit der Seelen glaubeten, Augustin. de C. D. lib. I. c. 36. & ad eum Coqueus l. c. auch den Göttern so viel Gerechtigkeit beymaßen, daß sie das Gute nach dem Tode nicht unbelohnt, und das Böse nicht unbestraft ließen, so haben sie für die Frommen die elysäischen Felder, für die Bösen aber den Tartarus gedichtet, und zu jenen, nach einiger Meynung, das Muster von dem Paradiese genommen. Banier Entret. IX. ou P. I. p. 249. Cf. Becmann. Orig L. L. in Elysium, s. p. 434. Indessen fanden sich doch genug, welche alles, was von beyden vorgegeben wird, für [990] Mährchen hielten. Ap. Nat. Com. lib. III. c. 19. p. 274. Den Grund zu dieser ganzen Fabel soll Orpheus aus Aegypten mit nach Griechenland gebracht haben, welche nachher mit neuen Erdichtungen ausgeschmücket worden, die in der alten Erzählung davon nicht waren. Denn nach derselben führete Mercur die Seelen über den Ocean, da sie denn an die Pforten der Sonne kamen und bald zu dem Volke der Träume gelangeten, worauf sie die grünenden Wiesen erreicheten, welche die Schatten der Menschen, die bloßen Bilder ihrer Leiber, bewohneten. Hom. Od. Ω. 11. Nun soll der Ocean nichts anders, als der Nilstrom seyn, der bey den Aegyptiern fast einen solchen Namen hat. Die Pforten der Sonne sind Heliopolis und die grünenden Wiesen, wo sich die verstorbenen Gerechten aufhielten, die schönen Gefilde am acherusischen See bey Memphis. Da sich nun hier die Leichenbestattungen der meisten Aegyptier endigten, und ihre Gräber in der schönsten Ordnung befanden, so konnte man nicht ganz ohne Grund sagen, daß die Todten daselbstwohneten. Diod. Sic. L. I. p. 61. Banier am angef. Orte 39 S.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 986-991.
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