[1426] LAOCŎON, ontis, Gr. Λαοκόων, οντος, (⇒ Tab. XXXI.) Antenors Sohn. Tzetz. ad Lycophr. v. 346. Doch machet man ihn auch zu des Anchises Bruder und des Acötis Sohne, wiewohl sein Vater alsdenn Kapys seyn müßte. Hygin. Fab. 135. & Muncker. ad ill. Er war des thymbräischen Apollo Priester, und heurathete, wider dessen Willen, die Antiope. Hygin. l. c. Serv. ad Virg. Aen. II. v. 201. Mit dieser zeugete er den Antiphas und Thymbräus, Hygin. l. c. oder, nach andern, den Ethron und Melanthus. Thessandrus ap. Serv. ad Virg. l. c. v. 211. Bey allem dem will man ihn doch nur für eine bloß poetische Person halten. Damms Götterl. 384 §. Als er durchs Loos erkieset wurde, dem Neptun ein Opfer zu bringen, weil dessen Priester abgegangen war, so schickete Apollo, ihn zu bestrafen, da er am Ufer der See sein Amt verrichtete, zwo ungeheuere große Schlangen, die Porces und Chariboa hießen. Lysimachus ap. eumd. l. c. cf. Lycophr. v. 346. & ad eum Tzetz. l. c. Sie kamen aus der Insel Tenedos, ergriffen dessen beyde Söhne und fraßen sie. Da er solchen nun zu helfen, auch mit Gewehre herbey lief, so umschlungen sie ihn ebenfalls, und brachten ihn zugleich elendiglich um. Hygin. l. c. Einige wollen, er habe des Apollo Zorn insonderheit damit verdienet, daß er mit seiner [1426] Frau selbst vor dessen Bildsäule zu thun gehabt. Serv. ad Virg. l. c. v. 201. Noch andere geben vor, Pallas habe ihm die Schlangen auf den Hals geschickt, weil er die Verrätherey mit dem trojanischen Pferde gemerket, und daher mit einem Spieße wider dasselbe geworfen, welches die Göttinn so übel aufgenommen, indem ihr dieses Pferd gewidmet gewesen. Es begaben sich auch beyde Schlangen darauf in ihren Tempel, und verkrochen sich daselbst unter ihren Füßen und Schilde. Virg. l. c. v. 50. & Donatus ad eumd. l. c. v. 225. Man erzählet diesen Zufall noch ein wenig anders. Laokoon äußerte seinen Verdachts wider das hölzerne Pferd und rieth, solches zu verbrennen. Man würde es auch gethan haben, wenn nicht Minerva die Erde unter ihm hätte erbeben lassen. Schrecken und Zittern überfielen ihn; es wurde ihm ganz dunkel vor den Augen, ein brennender Schmerz tobete darinnen und griff so gar sein Gehirn an; sie thräneten ihm gewaltig. Gleichwohl fuhr er fort, die Trojaner anzureizen, bis er endlich ganz blind wurde. Man führete ihn also fort, und das Pferd darauf in die Stadt. Weil er aber auch hier noch nicht nachließ, die Verbrennung des Pferdes anzurathen, so schickete Minerva zween schreckliche Drachen, welche seine Kinder angriffen, da alle andere Trojaner entflohen waren. Sie strecketen die Hände nach ihm aus: er konnte ihnen aber nicht helfen; und sie wurden zerfleischet, worauf die Drachen wieder unter die Erde krochen, dem Laokoon selbst aber nichts thaten. Q. Calab. XII. 383. sqq. Von dieser Begebenheit, wie wohl nach der ersten Erzählung, haben die vortrefflichsten Meister, Agesander, Polydor und Athenodor, insgesammt von Rhodus, eine Bildsäule aus einem Stücke weißen Marmor verfertiget. Plin. H. l. XXXVI. c. 5. Sie ist noch jetzo in dem Belvedere zu Rom zu sehen, und wird, obwohl dem Laokoon der rechte Arm, den Söhnen aber an beyden rechten Händen die Finger abgeschlagen worden, dennoch für eines der schönsten Stücke aus dem Alterthume gehalten. [1427] Lud Smids Scena Troica Fab. VI. sive Fig. 31. & Nardin. l. III. c. 10. Schon in demselben zog man es allen Gemälden und Bildsäulen vor, und es verdienet daher jetzo eine desto größere Aufmerksamkeit. Der Augenblick, den der Künstler zu seiner Vorstellung erwählet hat, ist, da die Schlangen bereits den Laokoon nebst seinen beyden Söhnen, einen auf jeder Seite, umschlungen und beynahe getödtet haben. Er unterscheidet sich merklich durch seine Größe. Man sieht an ihm eine Natur in dem höchsten Schmerze nach dem Bilde eines Mannes gemacht, der die bewußte Stärke des Geistes gegen denselben zu sammeln suchet. Indem sein Leiden die Muskeln aufschwellet und die Nerven anzieht, so tritt der mit Stärke bewaffnete Geist in der aufgetriebenen Stirne hervor und die Brust erhebt sich durch den beklemmten Athem und durch Zurückhaltung des Ausbruchs der Empfindung, damit er den Schmerz in sich verschließe. Das bange Seufzen, welches er in sich und den Athem an sich zieht, erschöpfet den Unterleib und machet die Seiten hohl, daß man gleichsam von der Bewegung seiner Eingeweide urtheilen kann. Sein eigenes Leiden scheint ihn weniger zu beängstigen, als die Pein seiner Kinder, die ihr Angesicht zu ihrem Vater wenden und um Hülfe schreyen. Das väterliche Herz offenbaret sich in den wehmüthigen Augen, auf welchen das Mitleiden in einem trüben Dufte zu schwimmen scheint. Sie sind nach der höhern Hülfe gewandt und sein Gesicht ist klagend, aber nicht schreyend. Der Mund ist voller Wehmuth und die gesenkte Unterlippe schwer von derselben: in der überwärts gezogenen Oberlippe aber ist dieselbe mit einem Schmerze, der mit einer Regung von Unmuthe, wie über ein unverdientes unwürdiges Leiden, in die Nase hinauftritt, dieselbe aufgeschwollen machet und sich in den erweiterten und aufgezogenen Nüssen offenbaret. Unter der Stirne ist der Streit zwischen Schmerz und Widerstand wie in einem Punkte vereiniget. Denn indem der Schmerz die Augenbrauen in die Höhe [1428] treibt, so drücket das Sträuben wider denselben das obere Augenfleisch niederwärts und gegen das obere Augenlied zu, so daß dasselbe durch das übergetretene Fleisch beynahe ganz bedecket wird. Die linke Seite, in welche die Schlange mit dem wüthenden Bisse ihren Gift ausgießt, scheint durch die nächste Empfindung zum Herzen am heftigsten zu leiden. Seine Beine wollen sich erheben, um seinem Uebel zu entrinnen; das Geblüt ist in höchster Wallung und alle Theile des Körpers sind leidend und angestrenget ausgedrückt; keiner ist in Ruhe; ja, die Meißelstreiche selbst helfen zur Bedeutung einer erstarreten Haut. Winkelm. Gesch. der Kunst II Th. 348 und 170 S. Unter den Abbildungen dieses Meisterstückes ist die schönste, welche uns diese Empfindungen am sinnlichsten machet, beym Maffei raccolta di Statue. Indessen zweifelt man doch, ob es so alt sey, als man vorgeben will, und meynet, der Künstler habe vieleicht eher nach Virgils Beschreibung dieser Begebenheit gearbeitet, als daß Virgil seine Beschreibung nach dieser Bildsäule gemacht; oder beyde könnten noch wohl ein älteres Muster vor sich gehabt haben. Lessings Laokoon, 50 und ff. S. Die Tragödie des Sophokles von diesem Laokoon ist verloren gegangen. Fabric. Bibl. Gr. l. II. c. 17. §. 3.
Hederich-1770: Laocoon [1]