[1477] LVNA, æ, Gr. Σελήνη, ης, (⇒ Tab. II.)
1 §. Namen. Den lateinischen Namen hat sie, nach einigen, von luceo, ich leuchte, der so viel als Lucina seyn soll. Cicer. de N.D. l. II. c. 27. p. 1183. Nach andern kömmt er von dem griechischen Cελήνη, durch Weglassung des Cε, da denn aus dem übrig bleibenden λήνη gar leicht Luna kann gemacht werden. Nunnes. ap. Voss. Etymol. in Luna. Die dritten holen ihn von λούω, ich reinige, weil sich die Meere alle Neumonden reinigen sollen. Voss. ipse l. c. & Plin. H. N. l. II. c. 46. Man will aber doch fast lieber glauben, daß er von dem ebräischen lon herkomme, welches so viel als übernachtet heißt, weil der [1477] Mond der nächtlichen Ruhe vsrsteht, wie die Sonne der täglichen Arbeit. Id. Theol. gent. l. II. c. 26. Den griechischen Namen aber hat sie von σέλας, Glanz, oder vielmehr von dem Phönicischen Schelanah, er übernachtet, daß er also mit dem lateinischen auf eins ankömmt. Da sie sonst noch Phöbe, Diana, Hecate u.s. ferner genannt wird, so sind solche Namen an ihren Orten besonders nachzusehen.
2 §. Aeltern. Für ihren Vater geben einige den Hyperion, und für die Mutter die Thia an. Hesiod. Theog. v. 371. & Apollod. l. I. c. 2. §. 2. Andere machen sie zu einer Tochter des Pallas, Homer. Hymn. in Mercur. v. 100. und noch andere zu einer Tochter des Sol. Eurip. Phoenis. 179. da sie sonst insgemein für dessen Schwester angegeben wird. Nat. Com. l. III. c. 17.
3 §. Wesen und Verrichtung. Sie ist zwar an sich nichts anders, als der Mond, wurde aber dabey doch für eine Göttinn gehalten, die insonderheit über die Geburt der Menschen gesetzet sey. Plutarch. Symp. l. III. qu. 10. & Chaldæi ap. Nat. Com. l. III. c. 17. Sie soll auch den Zaubereyen vorstehen, vornehmlich, wenn selbige auf Liebesdinge abzieleten. Theocrit. Idyll. II. v. 20. & ad eum Schol. l. c. Sofern sie aber mit der Diana und Hekate einerley seyn soll, so sind deren Verrichtungen weit mehr. Sieh deren Artikel.
4 §. Verehrung. Weil ihr Licht bey Nachtzeit so angenehm, nöthig und nützlich, als sie an sich selbst wunderbar ist, so haben die orientalischen Völker bald etwas göttliches unter ihr gesucht. Daher verehreten sie denn die Phönicier unter dem Namen der Astarte, wie die abgöttischen Juden unter der Astaroth. So soll sie auch der eben besagten Phönicier Baaltis, od. Beltis, der Syrer Salambo, wie auch Atergatis und Derceto, Voss. Theol. gent. l. II. c. 21. der Assyrier und Babylonier Mylitta und Nabo, Id. ib. c. 22. der Araber Alilat und Ciun, Id. ib. c. 23. und der Aegypter Isis seyn. Id. ib. c. 24. Die Griechen verehreten sie unter dem Namen der Artemis, wie die Lateiner [1478] unter dem Namen der Diana und Jana. Id. ib. c. 25. Jedoch hatte sie auch bey den Römern unter ihrem eigentlichen Namen Luna ihre Tempel in der IV, V, X und XII Region. Onuphr. Panvin. ap. Rosin. l. I. c. 13. Ihr Fest wurde den 24 Aug. in der Gräcostasi gefeyret. Rosin. l. IV. c. 13. p. 289. Man opferte ihr insonderheit einen Ochsen. Lactant. Inst. I. c. 21. §. 30. Ihr Opfer wurde an einigen Orten von den Männern in Weibeskleidern, und von den Weibern in Mannskleidern verrichtet. Philochor. ap. Nat. Com. l. III. c. 17. p. 259.
5 §. Ehe und Liebeshändel. Ihr Mann soll eigentlich Aër, Luft, gewesen seyn, mit welchen sie den Thau, Ros, gezeuget. Alcman. ap. Voss. Theol. gentil. l. II. c. 19. Hiernächst soll sie insonderheit ihre Liebeshändel mit dem Endymion gepflogen, und mit selbigem bis auf die funfzig Töchter gezeuget haben. Pausan. El. prior. c. 1. p. 287. Cf. Apollod. l. I. c. 7. §. 5. Nach einigen soll sie sich bey ihm auf dem Latmus, einem Berge in Karien, Catull. Epigr. 67. v. 5. nach andern aber auf den Bergen bey Trachine eingefunden haben, welche letztern Berge daher Aseleni genannt worden, weil sie von der Luna, unterdessen sie bey dem Endymion geschlafen, nicht beschienen worden. Rhianus & Nicander ap. Nat. Com. l. I. c. 7. §. 5. Sie ließ sich auch von dem Pan zu seinem Willen beschwatzen, da er ihr frey ließ, dafür aus seiner Heerde zu nehmen, was sie wollte, da sie denn einen weißen Widder er griff, allein sofern doch betrogen wurde, daß solcher eine schwarze Zunge hatte, und hernach ihre ganze Heerde mit fleckichter Zucht anfüllete. Virgil. Georg. III. v. 391. & ad eum Taubm. l. c. Einige wollen, Pan selbst habe dergleichen Fell um sich genommen, und ihr darinnen so wohl gefallen, daß sie ihm in seinem Begehren nicht entstanden. Nicand. ap. Philargyr. ad eumd. l. c. Noch andere geben vor, daß nicht Pan, sondern Endymion, da er ihrer Liebe nicht habhaft werden können, sie endlich mit seinen weißen Schafen gewonnen [1479] habe. Serv. ad eumd. l. c. Außerdem soll sie auch mit dem Jupiter selbst zu thun gehabt, und mit ihm die schöne Pandea gezeuget haben. Homer. Hymn. in Lunam v. 14.
6 §. Bildung. Sie wurde als ein Frauenzimmer vorgestellet, das zwey Hörner, oder einen mit den Spitzen in die Höhe stehenden halben Mond auf dem Kopfe hatte. Pausan. Eliac. post. c. 24. p. 391. & Caudian. de R. P. l. II. v. 54. Sie fuhr dabey auf einem Wagen, den zween Maulesel zogen. Tzetz. ap. Voss. Theol. gent. l. IX. c. 27. Andere geben ihr zween Pferde, Ovid. Fast. V. v. 16. oder auch zween Rinder. Auson. Epist. V. v. Ι. & XIX. 3. Fulgent. Myth. l. I. p. 618. & ad eum Muncker & Staveren. So sieht man sie noch auf einem geschnittenen Steine, Gorlæl Dactyl. T. II. v. 223. Gleichwohl scheint es, daß sie nur auf einem Pferde oder Maulthiere geritten. Pausan. Eliac prior. c. 11. p. 307. Wenigstens hatte sie stets nur einen zweyspännigen, so wie Sol einen vierspännigen Wagen. Manil. Astron. V. 3. & Voss. l. c. Ihre Pferde aber waren weiß. Ouid. Remed. Amor. v. 258. Doch will man, das eine soll schwarz, und das andere weiß gewesen seyn. Nat. Com. l. c. p. 250. Hiernächst sollen ihre neu angelegten Kleider, nachdem sie sich im Oceane gebadet, den schönsten Glanz von sich gegeben haben. Homer. Hymn. in Lunam. v. 7.
7 §. Deutung. Hyperion soll ihr Vater gewesen seyn, weil solcher die obere Gegend bedeutet, wo sich dieselbe befindet, oder auch solcher Hyperion ein Sternseher gewesen, der ihren und der Sonne Lauf zuerst bemerket. Jedoch wird sie auch für eine Tochter des Sol oder der Sonne angegeben, weil sie von dieser ihr Licht empfängt; allein auch für dessen Schwester, weil sie mit ihm zugleich geschaffen worden. Sie fährt auf einem Wagen, um ihren geschwinden Lauf anzuzeigen; badet sich im Oceane, weil man glaubete, daß sie in demselben untergehe; trägt glänzende Kleider, ihren Schein dadurch anzudeuten; hat Hörner, nachdem sie nämlich im neuen Lichte, gehörnt erscheint, [1480] und was alles dergleichen mehr ist, das ein jeder nach seiner Phantasie sich ein bilden kann. Nat. Com. l. III. c. 17.