Medéa

[1539] MEDÉA, æ, Gr. Μήδεια, ας ( Tab. VI.)

1 §. Namen. Diesen hat sie von dem griechischen μῆδος, welches so viel, als Rath bedeutet. Omeis Mythol. in Medea, p. 150. Sie wird auch bald von ihrem Vaterlande Kolchis. Horat Epod. XVI. v. 58. bald von dem Flusse desselben Phasias. Ovid. de Arte Am. II. v. 382. bald von ihrem Vater Aeetias. Id. Met. VII. v. 9. oder auch Aeetis Val. Flacc. l. VIII. v. 233. u.s.f. genannt.

2 §. Aeltern. Ihr Vater war, nach einstimmigem Vorgeben Aeetes, König in Kolchis, ihre Mutter aber, nach einigen, Idyia, des Oceans Tochter. Apollod. l. I. c. 9. §. 23. nach andern Hekate, [1539] Diod. Sic. l. IV. c. 46. p. 173. & Euphorion ap. Schol. Apollon. l. III. v. 242. nach den dritten, Neära, Heraclid. Pont. ap. eumd. l. c. nach den vierten, Eurylyte, Dionys. Miles. ibid. und nach den fünften, Ipsea, Ovid. Epist. Helen. ad Par. v. 232. Cf. ad eumd. Heins. l. c.

3 §. Eigenschaften. Sie war von so schöner Gestalt, daß sie es selbst gegen die Thetis auf eine Entscheidung des Idomeneus ankommen ließ. Da solcher aber den Preis der Thetis zusprach, so antwortete sie, die Kretenser wären allezeit Lügner gewesen, und wünschete solchem Idomeneus, daß er niemals die Wahrheit sagen möchte. Athenodor. ap. Ptol. Hephæst. l. V. p. 323. Hiernächst war sie in der Kenntniß der Kräuter und deren Wirkungen sehr erfahren; daher sie denn insgemein für eine der größten Zauberinnen gehalten wurde, die selbst den Mond, die Sterne und Flüsse in ihrem Laufe aufhalten, die Wälder versetzen, die Sonne verdunkeln, die Steine bellend machen, die Erde mit Schlangen bedecken, die Seelen aus der Hölle herauf bringen können, und was dergleichen alles mehr war. Apollon. & Ovid. ap. Nat. Com. lib. VI. c. 7. Indessen wird doch auch an ihr gelobet, daß sie gar gütig und mitleidig gewesen, und an den Grausamkeiten ihres Vaters keinen Gefallen gehabt, sondern da derselbe alle Fremde, die zu ihm gekommen, abschlachten lassen, sie ihnen hingegen bald durch Vorbitte, bald, wie sie sonst gekonnt, losgeholfen. Weil sie nun auf diese Art ihrer Aeltern Willen immerzu entgegen gewesen, so habe sie sich dadurch endlich bey dem Aeetes so verdächtig gemacht, daß er sie in einen freyen Gewahrsam bringen lassen, aus dem sie sich in der Sonnen Tempel geflüchtet. Diod. Sic. l. IV. c. 47. p. 173.

4 §. Thaten und Schicksal. Als die Argonauten nach Kolchis giengen, so stießen sie unter Wegens in der Insel Dia auf des Phrixus und der Chalciope, einer Schwester der Medea, Kinder, welche Schiffbruch gelitten hatten, und sich daher in einem höchst elenden Zustande befanden. Sie nahmen [1540] sich derselben gütig an, und führeten sie wieder zur Chalciope mit sich zurück; wofür denn diese dem Jason Gelegenheit gab, mit der Medea zusammen zu kommen. Weil ihr nun Juno solchen schon im Schlafe erscheinen lassen, so warf sie sogleich ihre Neigung auf ihn, und versprach ihm, in allen zu Ausführung seines Vorha bens behülflich zu seyn. Hygin. Fab. 20. Jason verhieß ihr dagegen, sie nicht nur zur Gemahlinn zu nehmen, sondern auch stets zu behalten. Diod. Sic. l. IV. c. 47. p. 174. Sie hielt ihr Wort treulich, und brachte dem Jason das goldene Vließ glücklich in die Hände; worauf sie sich denn mit ihm auf dem Argo flüchtete. Sieh Argonauten 4 §. Ihr Bruder Absyrtus folgete ihr. Sie bedienete sich dessen aber nur, dem Nachsetzen ihres Vaters desto besser zu entgehen. Sieh Absyrtus. Indessen sendete er ihnen doch einen Theil seiner Leute zu Schiffe nach, welche sie auch bey dem Alcinous, in Phäacien, einholeten, und die Medea wieder bekommen sollten, wenn sie noch Jungfer wäre. Es wurde solches aber durch Vermittelung der Königinn Arete, des Alcinous Gemahlinn, vereitelt, und die Kolchier mußten leer abziehen. Sie gieng von dar weiter mit den Argonauten zur Circe, wo sie sich von ihr wegen des Absyrtus Hinrichtung aussöhnen ließen, weil sie sonst ihre Fahrt nicht zu Ende bringen mochten. Als sie nach Lemnos kamen, so soll sie aus Eifersucht wider die Hypsipyle den dasigen Frauenspersonen den übeln Geruch verursachet haben, welches man sonst der Venus zuschreibt. Myrtil. ap. Schol. Apollon. I. 612. In Kreta richtete sie darauf den Talos hin, welcher ein Mann von Erzte war. Als sie endlich wieder nach Thessalien kamen, und Jason sich gern an dem Pelias, wegen Hinrichtung der Seinigen, rächen wollte, so bewerkstelligte sie solches nach dessen Wunsche. Apollod. l. I. c. 9. §. 25. 26. 27. Cf. Ovid. Met. VII. v. 9. Sieh Pelias. Indessen stellete Jason doch desselben Sohne, dem Akastus, das Reich wieder zu, und gieng mit der [1541] Medea nach Korinth, woselbst er ganzer zehn Jahre sehr vergnügt mit ihr lebete. Allein, wie er hernach seine Augen auf des Königes zu Korinth, Kreons Tochter, Glauce, warf, so verlangte er, Medea sollte sich gutwillig seiner Ehe begeben. Da selbige nun nicht wollte, so schied er sich selbst von ihr, und machte Anstalt zu seinem anderweitigen Beylager, wobey der Medea angedeutet wurde, sich von Korinth hinweg zu begeben. Sie bath sich nur noch einen Tag Frist aus, gab sich eine andere Gestalt, schlich in das Schloß, und steckete es durch eine besondere Wurzel in den Brand. Nach andern schickte sie durch ihre Söhne der neuen Braut ein schönes Kleid zum Hochzeitgeschenke. Als dieselbe solches anlegete, so fieng sie an zu brennen, und ihr Vater nicht minder, als er zulief, ihr zu helfen. Zuletzt aber gieng das ganze Schloß auf, und konnte sich Jason selbst kaum aus der Flamme retten. Sie nahm darauf ihre mit dem Jason erzeugeten Sohne, ermordete solche, und machte sich mit ihren getreuesten Bedienten von Korinth nach Theben zu dem Herkules, der ihr in Kolchis Bürge dafür geworden, daß sie Jason nicht verstoßen sollte. Er versprach ihr auch aufs neue, ihr Unrecht an demselben zu rächen. Diod. Sic. l. c. c. 55. p. 179. Diese Rache und Flucht erblicket man noch auf einem alten Denkmaale in halb erhabener Arbeit. Es stellet dasselbe an der einen Seite Jasons Verbindung mit der Glauce vor, wo sich mitten zwischen denselben die Juno Pronuba findet. Auf der andern Seite sitzt Glauce auf einem Throne, an dessen Seite eine Decke hängt, das Zimmer anzudeuten, worinnen sie ist. Die beyden Söhne der Medea, welche von ihrem Hofmeister geführet werden, bringen ihr die Geschenke, nach denen sie die rechte Hand ausstrecket. Der eine trägt auf beyden Händen das Kleid, der andere die Krone. Darauf zeiget sich weiter hin eine Frauensperson in der heftigsten Bewegung der Unsinnigkeit, welche die von den grausamsten Schmerzen [1542] durch das angezogene Kleid gemarterte Glauce ist. Hinter ihr steht ihr Vater nebst zwoen andern Personen, die nicht erkläret werden, wovon man aber eine füglich für den Jason halten kann. Sie scheinen ihr zu Hülfe kommen zu wollen. Kreon ist in einem Talare mit einer Binde um den Kopf, und strecket die linke Hand nach seiner Tochter aus, mit der rechten aber scheint er sich die Haare ausreißen zu wollen. Vor ihr befinden sich die Kinder der Medea gleichsam spielend, da das eine einen Ball hat, wornach das andere greift. Ihre Mutter ist im Begriffe, ihr Vorhaben an ihnen auszuüben, und hat in der rechten den bloßen Degen, und in der linken die Scheide. Darauf besteigt sie ihren mit zweenen Drachen bespannten Wagen. Winkelm. monum. ant. 90. e 91. p. 121. Es scheint, mit demjenigen einerley zu seyn, welches Beger Spicileg. ant. p. 123. seq. in vier Tafeln heraus gegeben, worauf aber einige Figuren verstümmelt und mit etwas andern Dingen zuweilen gezeichnet sind. Wenigstens kommen beyde in der Erfindung, der Anordnung, der Stellung der Personen genau überein. Nach andern gieng sie auf einem Wagen mit davor gespannten Drachen von Korinth durch die Luft nach Athen, woselbst sie mit dem Aegeus sehr vertraulich lebte. Plutarch. Thes. p. 5. T. I. Opp. Einige wollen, er habe sie zur Gemahlinn genommen. Allein, als dessen Sohn Theseus bey ihm ankam, und Medea bey nahe gemacht, daß Aegeus solchen aus dem Wege geräumet hätte, so machte sie, um dem Zorne des Aegeus zu entgehen, einen Nebel um sich, und in demselben gieng sie von Athen fort. Ovid. l. c. v. 402. Sie nahm ihren mit dem Aegeus erzeugten Sohn, Medus, von dar mit sich hinweg, und kam endlich unbekannter Weise wieder nach Kolchis, woselbst ihr Vater indessen von seinem Bruder von dem Königreiche war vertrieben worden, dem sie aber wiederum darzu half. Apollod. l. I. c. ult. §. vlt. Sie hatte sich mit dem Jason wieder ausgesöhnet, und dieser bekriegete [1543] eben die Feinde ihres Vaters, und setzete ihn wieder auf den Thron. Iustin. hist. XLII. c. 3. Sie soll zu Buthroto gestorben, und von dem Jason begraben; Solin. Polyhist. c. 7. hingegen nach ihrem Tode in den elysäischen Feldern wiederum dem Herkules vermählet worden seyn.

5 §. Ehen und Kinder. Ihr erster Gemahl war, bemeldeter Maßen, Jason, welchen sie, nach einigen, selbst mit ihres Vaters Bewilligung, geheurathet haben soll. Timonax ap. Nat. Com. l. VI. c. 7. Sie zeugete mit demselben den Mermerus und Pheres; Apollod. l. I. c. 9. §. 28. nach andern den Thessalus, Alcimenes, und Tisander. Diodor. Sic. l. IV. c. 55. p. 179. Einige setzen noch den Polyxenus hinzu: andere aber machen nur den Medus und die Eriopis zu ihren beyden Kindern. Cinæth. ap Paus. Cor. c. 3. p. 91. Dagegen machen noch andere, und zwar die mehresten, den Medus zu ihrem Sohne, mit dem andern Gemahle, nämlich dem Aegeus Apollod. l. c.

6 §. Verehrung. Die Kolchier verehreten sie ehemals als eine ihrer Göttinnen. Alcmann. & Hesiod. ap. Athenagoram laudante Vossio Theol. gent. l. I. c. 24. Die Marsen erwiesen ihr nicht minder solche Ehre unter dem Namen der Anguicia, die an ihrem Orte zu sehen. Serv. ad Virg. Aen. VII. v. 750. Cf. Voss. l. c. c. 41.

7 §. Wahre Historie. Daß sie eine wahre Person gewesen, hat man wohl nicht zu zweifeln, die auch wegen ihrer Erfahrenhe, in der Botanik für eine Zauberinn hat können angesehen werden. Denn es hat durch zugerichtete Arzneyen und Kräuterbäder leicht geschehen können, daß sie den Aeson wieder gesund, und also gleichsam wieder jung gemacht, sich aber durch Bestreichung mit der Kräuter Säften, oder dergleichen eine andere Gestalt gegeben, als sie in der That gehabt. Palæphat de Incred. c. 44. Die Glauce hat sie mit der Naphtha verbrennen können. Die Drachen aber vor ihrem Wagen bemerken nichts anders, als daß sie sich eines Schiffes bedienet, welches [1544] dergleichen Thiere zum Wapen geführet. Bannier Entret. XIV. ou P. II. p. 115. Man hat vieles zu ihrer Geschichte hinzu gesetzet, solche nur desto wunderbarer, und die Person desto verhaßter zu machen. Dahin soll die Ermordung ihrer Kinder gehören, welche sie doch zu Korinth gelassen, wo sie von den Korinthern selbst in dem Tempel der akräischen Juno umgebracht worden. Apollod. l. I. c. 9. §. 28. Aelian. V. H. l. V. c. 21. Weil dieses nun ein Vorwurf für dieselben war, so sollen sie dem Euripides fünf Talente gegeben haben, damit er solchen Mord der Medea selbst andichtete. Schol. Eurip. ad Med. v. 9. Man hat aber auch solches hinlänglich zu widerlegen und den Euripides zu vertheidigen gesucht. Barnes. vit. Eurip. §. XVII. p. 15. Noch weniger statthaft ist ihre Begebenheit mit dem Aegeus, weil solcher lange vorher todt gewesen, ehe sie nach Griechenland gekommen. Ban. Erl. der Götterl. IV B. 588 S.

8 §. Anderweitige Deutung. Wenn ihr Namen von Μῆδος, Rath, herkommen soll, so wird durch sie aller guter Rath verstanden, der so wohl einem, wie dem Jason, zu seinen Absichten verhelfen, als in der größten Gefahr erhalten, allein auch Leute, die in Lastern alt geworden, wieder jung machen, das ist, wieder auf einen guten Weg bringen kann. Jedoch soll sie auch andern Theils ein Muster einer, unzüchtigen verlaufenen Frauensperson seyn, welche, um ihrer Geilheit, willen, Vater, Mutter und Vaterland verlassen und verrathen, alte Gecken zu ihrer Liebe gereizet, und wieder zu jungen Leuten gemacht: allein auch letzlich andere und sich in ihr Unglück gestürzet. Nat. Com. l. VI. c. 7. Omeis Mythol in Medea & alii. Sonst sind von ihr noch die Tragödien des Euripides und des Seneca bis jetzo vorhanden: des Aeschylus, Ennius und, anderer ihre aber verloren gegangen Fabric. Biblioth. Gr. l. II. c. 17. §. 2. n. 4. & ibid. c. 16. §. 7. idem Biblioth. Lat. l. II. c. 9. §. 11. n. 7. & l. III. c. 1. §. 4. n. 2. 4. 5.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 1539-1545.
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