Jutta, S. (1)

[581] 1S. Jutta, (5. Mai), auch Judith1, Juditha, bei den Preußen Otta, eine Wittwe und Einsiedlerin zu Kulmsee oder Chelmzo (Culmenzea, Culmza) im preußischen Regierungsbezirke Marienwerder, wird von dem Bollandisten Papebroch im Appendix zum 5. Mai (VII. 602–623) ausführlich behandelt. Nach einer Einleitung gibt er ihr Leben aus dem Polnischen des Jesuiten P. Friedr. Schembeck. Nach diesem war die hl. Jutta geboren zu Sangerhausen in Thüringen, in der heutigen preußischen Provinz Sachsen, Regierungsbezirk Merseburg, südwestlich von Eisleben. Von ihren Eltern wurde sie fromm erzogen und war von Kindheit auf der Gottseligkeit ergeben. Beständig flehte sie zu Gott um die Gnade, ihr Leben ganz nach seinem heiligsten Willen einrichten zu können, und erkannte dann im Geiste, daß sie zwar für das eheliche Leben bestimmt sei, daß dieses jedoch nicht lange währen werde, sie aber ihre Kinder ganz zum Dienste Gottes erziehen müsse. So ward sie nun mit einem Manne vornehmen Geschlechtes vermählt.209 Während des Ehestandes war sie wirklich ein Muster für alle Hausfrauen in Beziehung auf reine Gottesfurcht, Hochachtung gegen ihren Gemahl, mütterliche Zuneigung gegen ihre Hausgenossen, christliche Nachsicht gegen die Dienstboten und ungeheucheltes Mitleid gegen die Armen. Allen überflüssigen Aufwand auf kostbare Kleider vermied sie und sprach deshalb öfters zu ihrem Gemahle, der sie gern in kostbare Stoffe gekleidet sehen wollte: »Nicht aus Sparsamkeit enthalte ich mich von überflüssiger Pracht, sondern weil es mir eine Thorheit zu seyn scheint, so große Auslagen auf die Glieder zu verwenden, die bald in übelriechende Fäulniß übergehen werden. Viel besser ist es, das so Ersparte den dürftigen Unterthanen und andern Armen zukommen zu lassen.« Ungeachtet ihrer Sorge für das Hauswesen vernachlässigte sie durchaus nicht die geistigen Fortschritte. Jede [581] übrige Zeit verwendete sie zum Gebete; sie drang darauf, daß alle ihre Untergebenen ein wahrhaft christliches Leben führten und jedes unsittliche oder zweideutige Gerede, sowie gefährliche Spiele vermieden. Vorzüglich aber sorgte sie dafür, daß ihre Kinder zum Dienste Gottes und zur Verachtung der Welt angehalten wurden. Da sie ununterbrochen für dieselben zu Gott betete, verdiente sie auch die Versicherung zu erhalten, daß Alle sich dem Klosterleben widmen und glücklich in demselben ausharren würden. Große Sehnsucht ergriff sie nach einem Leben in evangelischer Armuth, wie ein solches die hl. Elisabeth von Thüringen geführt hatte. Als sie einst sich ganz mit diesem Gedanken beschäftigte, erschien ihr Christus mit heiterem, glänzendem Angesichte und sprach: »Folge mir nach!« Dieses heil. Verlangen, ihrem Heilande nachzufolgen, machte ihren sonst kräftigen Körper ganz krank und elend. Im Umgange mit ihr wurde auch ihr Gatte von Tag zu Tag frömmer, und so von Liebe zu Gott entstammt, wallfahrtete er nach Jerusalem, um die durch das Geheimniß der Erlösung geheiligten Orte zu besuchen. Doch während er damit beschäftigt war, ereilte ihn der Tod. Die Nachricht hievon schmerzte zwar die hl. Jutta, aber versetzte sie durchaus nicht in übermäßigen Schrecken. Sie brachte nun ihre Kinder sämmtlich in Klöstern unter, vertheilte alle ihre Kostbarkeiten, Geräthschaften und die ihr gehörigen Besitzungen nach dem Rathe ihres Beichtvaters unter die Armen, und behielt für sich nichts, worauf sie nur ihr Haupt hätte hinlegen können, um so die Armuth Christi nachzuahmen. Mit einem rauhen Habit bekleidet, mit einem Stricke umgürtet, bettelte sie sich Almosen von jenen, deren Herrin sie zuvor gewesen, und zwar nicht blos für sich, sondern auch für Blinde und Lahme, denen sie als Auge und Fuß diente, indem sie dieselben an der Hand führte. Diese Umgestaltung brachte verschiedene Wirkung hervor; die Einen lachten darüber, die Andern betrachteten sie als eine Heilige. Um den Ehrenbezeugungen der Letzteren zu entgehen, beschloß sie, sich in fernere Gegenden zu begeben, um nicht nur Armuth, sondern auch Verachtung zu ertragen. Auch hierin wollte sie ihrem göttlichen Bräutigame gleich seyn, der ihr deßhalb auch erschien und ihr sagte: »Alles das Meine ist auch das Deinige, und all' das Deine ist auch das Meinige.« Um sich recht in der Demuth und Geduld zu üben, ging sie von Dorf zu Dorf, ja von einer Thüre zur andern, um Kranke, Schwache, Aussätzige und mit ekelhaften Krankheiten Behaftete aufzusuchen, denen sie die Geschwüre abwischte, die Wunden verband und den Schmutz abwusch. Einst bediente sie ein Weib, dem der Aussatz die Kinnbacken (maxillas) ganz zerfressen hatte, so daß sie die heilige Wegzehrung auf keine Weise hinunterbringen konnte; kaum hatte Jutta dieses wahrgenommen, als sie, allen natürlichen Abscheu überwindend, die heil. Hostie mit ihrer Zunge aus dem mit Eiter angefüllten Munde der Kranken nahm und genoß, worauf der Herr für die Ehre, die sie Ihm erwiesen, sie dadurch entgegen ehrte, daß Er ihr Angesicht den ganzen Tag über wunderbar vor Allen, die dort sich aufhielten, leuchten ließ und ihr nun zum drittenmal, und zwar in Gesellschaft des Lieblingsjüngers Johannes, mit dem Er sie zuerst an Seiner Brust ruhen, dann auch Seine Wunden berühren und aus Seiner Seite himmlische Süßigkeit saugen ließ. Damit sie in diesen Gesichten und Erscheinungen keine Täuschung befürchten durfte, gab ihr der Herr eine solche Kenntniß der heil. Schriften, daß sie sich selbst über die schwierigsten Geheimnisse so beredt aussprechen konnte, wie die heiligen Väter und Kirchenlehrer, obschon sie dieselben nie gelesen hatte. Außerdem vermehrte Er in ihr die Gnade der Betrachtung in Bezug auf das Leiden und die Verherrlichung Christi und seiner über alle Geschöpfe erhobenen Mutter, und flößte ihr die brennendste Sehnsucht ein, zu sterben und ihren Heiland zu genießen, sammt der tiefsten Demuth, in welcher sie sich, wegen der geringsten Versäumniß in dem Dienste gegen die Armen, selbst demüthigte und von Herzen verachtete. Fortan beschloß sie nun, den Aussätzigen als ihren Herren zu dienen, um derentwillen sie zahllose Mühseligkeiten auf sich nahm, und nicht nur im Sommer, sondern auch im Winter weite Reisen mit bloßen Füßen unternahm. Als sie einst 14 Tage ohne jegliche Speise zugebracht hatte, erschien ihr Christus und versicherte sie ihrer Seligkeit, ließ ihr aber die Wahl, ob sie gleich in den Genuß derselben versetzt werden, oder noch länger für Ihn arbeiten und dulden wolle. Jutta bedachte sich nicht lange, sie nahm einen Bissen Brod zu sich, worauf sie sich gleich gekräftigt fühlte und ihrer frühern Strengheit noch dieß hinzufügte, [582] daß sie ihrem Brod statt des Salzes Asche beimischte, nur auf bloßem Boden schlief, ihren Leib durch Geißeln, Fasten und Beten züchtigte und hiebei nicht weniger als zuvor den Aussätzigen diente. Da sie einmal im Dienste derselben einen glühenden Dreifuß, ohne sich im Mindesten zu beschädigen, in einer Entzückung aufhob und dieß von Einigen mitangesehen wurde, zog sie die Verehrung Aller, die davon Kunde erhielten, auf sich. Um dieser zu entgehen, entschloß sie sich, anderswohin zu ziehen. Wie gewöhnlich bat sie auch hier Gott um Rath und erfuhr, daß Ihm der den Aussätzigen erwiesene Dienst wohlgefällig sei, doch wolle Er, daß sie diesen jetzt aufgeben, sich aber ganz der Betrachtung himmlischer Dinge überlassen solle. Sie wanderte also weiter und lag in Wäldern und Einöden der Betrachtung ob. So kam sie denn endlich auf ihrem Zuge nach Nordwesten zu den Pruthenen210, d.i. in die heutige Provinz Preußen, die bekannt war durch ihre dichten Waldungen und erst kürzlich das Licht des Glaubens erhalten hatte. Fremd und arm kam sie dahin im J. 1260, als in Polen König Boleslaus mit seiner Gemahlin, der sel. Chunigundis2 (s. B. Kinga), regierte, und der Großmeisterstuhl der »Kreuzträger« (Cruciferorum) in Preußen durch den Tod des Poppo von Osternau erledigt war. Sie wählte sich zur Wohnung einen Ort in der Culmer Diöcese, 3 Meilen nördlich von Thorn (Thorunium) und 1/2Meile von Kulmsee (Culmza), in einem damals verlassenen, ganz ruinösen Hause an einem großen Weiher, Namens Bielczna. Dort beobachteten sie die Bewohner dieser Gegend, wie sie zweimal an jedem Tage in die Luft gehoben und durch dienende Engel gehalten wurde, wo sie dann von der Unterredung mit Gott, gleichwie Moyses, mit schimmerndem Gesichte zurückkehrte. Um die heil. Sacramente zu empfangen, besuchte sie die hl. Dreifältigkeitskirche zu Kulmsee. Zu Beichtvätern hatte sie zuerst den sel. Franciscaner Johanes245 Lobedavius von Thorn (s.d.), auch Johannes Pruthenus genannt, und nach diesem den Prediger-Provinzial Heinrich, der in früherer Zeit Erzbischof von Armagh in Irland gewesen war und nach Preußen vom apostolischen Stuhle aus versetzt wurde, jedoch noch immer den Titel Erzbischof führte. Beide Männer waren ausgezeichnet durch Gelehrsamkeit und Frömmigkeit. Unter ihrer Leitung lebte nun Jutta; mit ganzer Seele bat sie den Herrn um Bekehrung der Heiden, und Stärkung der Neugetauften, wobei ihr nicht nur Thränen, sondern bisweilen auch Blut aus den Augen strömte, was ihr jedoch keinen Schaden brachte. Eben so betete sie für Sünder und Verbrecher, für Betrübte, für alle Lebendige und Todte und für die Bedürfnisse der ganzen Christenheit, da ihr das Feuer der Liebe himmlisch eingegossen war. Wo und wann sie immer mit Menschen zusammen kam, sprach sie nur von Gott und göttlichen Dingen, und von den Mitteln zu ihm zu gelangen. Bisweilen diente sie auch noch nach ihrer alten Gewohnheit den Aus, sätzigen etc. mit aller Demuth und Heiterkeit. Auf diese Weise brachte sie 4 Jahre in den Wäldern des Culm'schen Gebietes zu, immer voll Sehnsucht nach dem Himmel, bis sie sich ergriffen von einem heftigen Fieber am Ziele angekommen erblickte. Auf bloßem Boden, mit dem Haupte auf einem Steine liegend, sprach sie zu jenen, die zu ihr kamen: »O welche Glückseligkeit! o welch sicherer Weg, zum Herrn zu gelangen, sind diese 3 Dinge, nämlich schmerzliche Krankheit, Entfernung vom Vaterlande in einem abgelegenen Winkel fremden Gebietes, und freiwillige, aus Liebe zu Gott übernommene Armuth!« Nachher empfing sie noch mit großer Reue über im Dienste Gottes begangene Versäumnisse von ihrem Beichtvater, dem Bischofe Heinrich vom Culm, die heil. Sacramente. Sich dem Tode nähernd, sprach sie noch sehr geistreich über die sieben Worte Christi am Kreuze, bei deren Letztem: »Es ist vollbracht,« sie verstummte. Der Bischof, überzeugt von ihrer Heiligkeit, wich nicht mehr von ihrer Seite. Er las die Leidensgeschichte des Herrn aus dem Evangelium vor, wobei sie in gespanntester Aufmerksamkeit verblieb bis zu den Worten: »Der Herr verließ den Speisesaal, um das Werk der Erlösung zu vollbringen,« [583] worauf sie Augen und Hände zum Himmel erhob, dann das Haupt neigte und den Geist aufgab. So starb sie denn, wie sie es gleich vielem Andern im prophetischen Geiste vorhergesagt hatte, am 5. Mai 1264, und zwar wie der zur nähern Untersuchung der Sache vom Könige Sigismund III. eigens in jene Gegenden gesendete Jesuit Schermbeck ausdrücklich bemerkt, zu der Zeit, da der 7. Großmeister des Kreuzherrnordens regierte, nämlich Hanno von Sangerhausen, der entweder ihr Bruder oder doch ihr Verwandter war. Der Bischof beerdigte sie in Kulmsee, und zwar, wie sie es von ihm gewünscht hatte, bei den Armen, wobei aber so viele Menschen erschienen, wie man sie nie zuvor in Culm gesehen hatte. Es ereigneten sich bei ihrem Grabe vielfache Wunder, und schon im 15. Jahre nach ihrem Tode ward der Proceß ihrer Heiligsprechung eingeleitet. Was aber zu Rom geschehen, weiß man heute nicht mehr. da alle Kirchenschriften zu Culm verloren gingen, als unter dem häretischen Herzoge Borbonius die Soldaten mit den Papieren ihren Pferden einstreuten. Jedoch so viel ist gewiß, daß die hl. Jutta allzeit als heil. Patronin von Preußen verehrt wurde, und zwar mit der sel. Dorothea15 und dem sel. Johannnes245. Der im J. 1636 zum Bischofe von Culm beförderte Johannes Lipskt hat am 15. April 1637 zu Kulmsee, wohin der bischöfliche Stuhl von Culm verlegt worden ist, ein Decret erlassen, durch welches dem Erzpriester von Thorn aufgetragen wird, daß er die unter den Decreten des Papstes Urban VIII. nicht begriffenenen Bilder und Reliquien der hhl. Dorothea und Jutta von San gerhausen in seiner Pfarrkirche öffentlich zur Verehrung aussetze etc. Am Schlusse sindet sich bei den Bollandisten aus alten Handschriften noch ein Hymnus und eine Oration zu Ehren der hl. Jutta. (VII. 602–613).


Quelle:
Vollständiges Heiligen-Lexikon, Band 3. Augsburg 1869, S. 581-584.
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